Epidemien und Pandemien

CoLyrik-Gefährliches Kurzgeschichten können zum Nachdenken anregen, müssen aber nicht...

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Epidemien und Pandemien

„Was hatten wir nicht schon alles auf der Welt? Epidemien und Pandemien, so z.B. die Attische Seuche, die Antoninische Pest, Cyprianische Pest, Justinianischen Pest, das italienische Fieber, den schwarzen Tod, sogar Englischer Schweiß, die Syphilis, das Hämorrhagische Fieber, auch Picardsche Schweißfieber, Fleckfieber, Pocken, Cholera, Poliomyelitis, Typhus, Diphterie, die Asiatische Grippe, dann die Hongkong-Grippe, Milzbrand, HIV, EHEC, die SARS-Pandemie, aber auch Schweinegrippe, die Zikavirusgrippe, die Legionelose, das Chikungunyafieber und Ebolafieber. Im Laufe der Weltgeschichte überlebten immer wieder aufs Neue mehr oder weniger Menschen und pflanzten sich fort.“ Jennifer sitzt vor ihrem Pamphlet, das noch lange nicht fertig ist. Sie reibt sich die Augen. Ihr Kopf wird immer schwerer und sie hat Mühe die Augen offen zu halten. Sie fühlt sich schlapp, wird immer müder. Der Beginn einer schweren Depression kündigt sich an, vermutet sie. Jennifer soll in den kommenden Tagen eine Präsentation über Epidemien und Pandemien vor 250 Kommilitonen halten, aber ihr Körper gibt langsam den Geist auf. Seit sie die Wahl in Amerika verfolgt hat, ist sie tieftraurig, irritiert, verwirrt, aber auch wütend. Ein viel zu großer Teil der amerikanischen Bevölkerung hat einen Populisten, diesen „Hassprediger“ und Rassisten zum mächtigsten Mann von Amerika gewählt. Unglaublich, aber wahr. Die bittere Realität bringt sie an ihre Grenzen. Jetzt geht es ihr richtig schlecht, wie damals bei der Appendizitis während ihres Schüleraustauschs in Jacksonville, Florida. So miserabel hat sie sich gefühlt, als sie einen Blindarmdurchbruch erlebte und ihr ganzer Bauchraum voll Eiter lief. Sie entkam damals knapp dem Tod.

Seit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist ihr speiübel. Ihr Magen krampft sofort, wenn sie nur an den Wahlausgang denkt. Ihr ist zum Erbrechen zumute. Eigentlich ist sie in einem Alter, da dürfte sich noch nicht an Reflux-Symtomen leiden. Saurer Magensaft schießt urplötzlich und ohne Vorwarnung durch ihre Speisröhre nach oben. Ein brennender Schmerz hält sie vom angestrebten Sekundenschlaf zurück. Druck spürt sie auf der Brust. Nun ist sie zumindest für eine kurze Zeit wieder hellwach. Sie verzieht unterdessen ein extrem angewidertes Gesicht. Genau so, wie Mittwoch in der Früh, als sie das Wahlergebnis im Fernsehen live sah. „Bäh. Wie widerlich ist das denn?“, flüstert sie leise und ist sichtlich über die Reaktion ihres Körpers geschockt. Sie will nun tapfer, ruhig bleiben und unter keinen Umständen in Panik verfallen. Außerdem ist sie furchtbar müde vom Aufklären. In den vergangenen Wochen war sie das erste Mal in ihrem Leben politisch aktiv und intensiv verliebt. Doch sie konnte außerhalb Amerikas keinen Einfluss auf das politische Treiben nehmen, aber auch nicht auf ihre Internetliebe Mike aus dem Bundesstaat Indiana, der sie unglaublich viel Nerven kostete. Sie hätte zu gern eine Tinktur aus speziellen Wildkräutern hergestellt, um die Menschen über dem Teich auf andere Gedanken zu bringen, so auch Mike. Für ihn hatte sie sowieso schon einen leckeren, aphrodisierend wirkenden Tee mit Sexualduftstoffen kreiert, der nun innerhalb Deutschlands zum Einsatz kommen würde. Kommilitone Kai, ein Langweiler mit hübschem Body, würde sie ihren Tee beim nächsten Lerntreff unterjubeln. Sie gab sich wirklich Mühe, um anderen zu helfen, wenn es hakte, klemmte.

Mit Hilfe einer von ihr natürlich hergestellten Schluckimpfung hätte sie vor der großen anstehenden Pandemie Schutz bieten können von der sie zuvor träumte. Dieser Alptraum machte ihr seit dem extrem zu schaffen. In den vergangenen zwei Jahren hatte sie Nächte für die Forschung geopfert, um einen Impfstoff zu entwickeln, der ohne chemisch hergestellte Substanzen wirkt. Jennifer studiert Medizin, aber all das Wissen ihrer weiblichen Ahnen, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde, will sie für gute Zwecke nutzen. Jennifer stammt aus einer Kräuterhexen-Dynastie und ihre Wurzeln könnte man in Erde von verrotteten Scheiterhaufen des Mittelalters finden. Seit diesem Alptraum spürt sie eine schreckliche, weltweite Bedrohung. Sie hat telepathische Fähigkeiten und kann in die Zukunft blicken. Diese außergewöhnliche Begabung treibt sie in eine schwere Depression. Sie hat vor ihrem geistigen Auge gesehen, dass das Trumpsche Kotzbrocken-Fieber ausbrechen wird, wenn man nicht rechtzeitig agiert. Die Pandemie könnte viele Opfer kosten. Deshalb geht es ihr nun in diesem Moment körperlich absolut schlecht, so dass sie nun lieber für eine Weile die Augen schließt, um an Schöneres zu denken: Sie sieht eine friedliche Welt, denn alle Menschen sind gleich, egal welcher Ethnie, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Religionszugehörigkeit. Mit dem Einschlafen wird nichts. Kai steht vor der Tür. Jennifer ahnt noch nicht, dass er aus einer bemerkenswerten Henker-Dynastie stammt…

©Corina Wagner, 11.11.2016

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Corina Wagner

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