Gefahr in der Provinz

CoLyrik Überall Vorurteile, wo das menschliche Auge im Wahlkampf hinsieht und dann gibt es noch zusätzlich Gefahren... :-)

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Kalorienbombe

Es war an einem sehr heißen Sommertag. Überall flimmerte es auf dem Asphalt. Hier und da stolperte man über diverse Wahlplakate. Irgendwo da draußen in der Provinz. Noch war es friedlich. Ich war schon eine kleine Ewigkeit unterwegs und völlig abgekämpft mit Heimatgefühlen im Gepäck. Man könnte auch schreiben, dass ich bereits auf den Sporen lief. Dann entdeckte ich in der Ferne ein Zeichen. Wespen säumten meinen Weg bis dorthin. Dieses Symbol machte mir instinktiv Angst und ich schaute mich um. Es war kein Wahlplakat, was mich verunsicherte. Und doch war es mir vertraut, was ich da sah. Ich sah Leute wie Du und ich. An einem Gebäude hing ein überdimensionales Handwerker-Symbol, das auf das Gewerbe aufmerksam machte und es war tatsächlich keine Fata Morgana, wie ich zunächst annahm. Ich griff mir an den Kopf. Im ersten Augenblick haderte ich, hatte ich an jenem Nachmittag ein minimales Identitätsproblem oder vielleicht doch nicht? Hatte ich wirklich Lust auf eine Kalorienbombe? Wollte ich mich wirklich der Gefahr von Schokolade aussetzen? Diese Fragen lenkten mich kurz ab. Plötzlich entdeckte ich noch mehr Typen, die mir irgendwie ein bisschen glichen. Sie folgten mir, als ich wie in Schoki-Trance die Tür öffnete. Dann standen wir alle kunterbunt in diesem Raum. Keine Fata Morgana. Pure Realität an einem viel zu heißen Tag irgendwo am Ende der Welt, aber noch in Deutschland. Alle sahen so ähnlich aus wie ich, hatten die gleiche Angst dicker zu werden. Mal mehr oder weniger Bauch, mal mehr oder weniger groß, mal mehr oder weniger dunkelhäutig, mal mehr oder weniger fröhlich. Und doch waren es keine Flüchtlinge, Asylanten, sondern nur Deutsche mit Integrationshintergrund. Wer will schon mit einem Wohlstandbauch in Krisenzeiten erwischt werden? Es roch dort aber verdammt gut nach frisch Gebackenem. Nur ein Typ unterschied sich extrem von uns. Gedanklich flüchtete ich leise vor jener Gefahr, bis das heimliche Zurückweichen für den Feind zur seiner eigenen Katastrophe wurde, quasi wie ein Schuss nach hinten los ging, der dann als Querschläger in seinem viel zu kleinen Hirn landete und ihn wie auch immer wieder ruhig stellte. Jenes Ungetüm in voller Kriegsmontur mit Springerstiefel und Glatzkopf schrie abartig laut das Wort: Ich, so dass der Fluchtinstinkt sofort Bescheid wusste, dass dort die Gefahr vorüber ist, wenn der kalorienreiche Feind, also die leckere Herrentorte hinter der Kuchentheke erkennen konnte, dass es für einen Rückzug auf jeden Fall zu spät war. In jenem Moment wusste niemand mehr so recht wer jetzt Feind oder Freund war. Innerlich wollte jeder diese Kalorienbombe. Wie ein Kriegerdenkmal stand ich da, bewegte mich keinen Millimeter. Die Bewacherin der Kalorienbombe starrte völlig entsetzt in die Menge von Menschen, deren Wohlstandsbäuche mal mehr oder weniger ausgeprägt waren. Sie hatte zuvor sehr zackig nachgefragt, wer von den Fettsäcken an der Reihe ist. Ein fataler Fehler wie sich herauskristallisierte. Alle standen für Sekunden unter Schock. Nur der Schreihals mit stupidem Gesichtsausdruck zögerte nicht. „Ich will das letzte Stückle Dorte im Eck!“, kam es dem extremen Typ dermaßen angsteinflößend über die Lippen, als hätte er scharfe Munition geladen und den Finger am Abzug. Die anderen Typen, die Widerstandskämpfer wollten das auch, das Stückle und so standen sie neben mir, meinten, dass er, der Schreihals wohl ziemlich rechtslastig einen an der Waffel hätte. Ich, ja ich, wäre als erstens an der Reihe gewesen, dass hätten sie alle genau beobachtet. Sie waren friedvoll in der Überzahl und guckten irgendwie linkisch. So kam es wie es kommen musste, wenn man in einer Demokratie unterwegs ist. Ich wollte dann auch nur noch das Eine, das eine Stückle "Dorte". Alle freuten sich für mich. Nur nicht der Typ mit dem stupiden Gesichtsausdruck, der Schreihals mit Glatze und viel zu dickem Bauch. Ich, der völlig abgekämpfte Touri , der Großstadtmensch mit dem winzig kleinen Wohlstandsbauch verließ triumphierend den Raum. Ich bekam die allerletzte Kalorienbombe an jenem Tag, da draußen irgendwo in der Provinz. Gefühlte 1000 Kalorien hatte ich in der Hand und wusste nicht wirklich, ob ich sie vernichten sollte.

© Corina Wagner, August 2013

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Geschrieben von

Corina Wagner

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