"Islam in Deutschland und die Demokratie“

Wagners Randnotiz Podiumsdiskussion im Haus der Begegnung in Ulm

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„Islam in Deutschland und die Demokratie“

Eine Podiumsdiskussion mit viel Beifall, großer Zustimmung und lautstarken Zwischenrufen

„Islam in Deutschland und die Demokratie“ – zu diesem heiklen, sensiblen Thema fand gestern Abend im Haus der Begegnung in Ulm eine Podiumsdiskussion statt. Veranstalter waren die Grünen und somit war einer der Redner Cem Özdemir, Spitzenkandidat und Bundesvorsitzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Es sprach der Islambeauftragte der Evangelischen Landeskirche in Württemberg Pfarrer Heinrich Georg Grothe sowie Islamwissenschaftler und Imam Bilal Hodzic, ein Vertreter des bosnischen islamischen Kultur Center Ulm. Ein großes Raunen ging durchs Publikum, als es erfuhr, dass Imam Israfil Polat, ein Vertreter der DITIB-Moschee Ulm absagte und somit den Eindruck hinterließ, mit seinem Fernbleiben unangenehmen Dialogen, Fragen auszuweichen.

Das Publikum durfte bei dieser brisanten Themenauswahl rundum den Islam in Deutschland auch mitmischen, so dass einige Veranstaltungsbesucher Fragen stellen konnten. Ursprünglich sollte die Veranstaltung im Chorraum stattfinden. Der Saal fasst ca. 120 Menschen, wenn er bestuhlt wird. In den Großen Saal passen bei Bestuhlung ca. 500 Menschen. Die Veranstaltung sollte gegen 20 Uhr im Chorraum stattfinden. Pfarrer Dr. Michael Hauser, Leiter der Bildungs-und Kultureinrichtung der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Ulm, begrüßte die Veranstaltungsbesucher bereits vor Beginn und teilte mit, dass man aus Sicherheitsgründen spontan beschlossen hätte, den Raum zu wechseln. Es waren viele interessierte Leute gekommen, so dass es nicht genügend Sitzplätze für alle gab. Stehplätze fielen aus Sicherheitsgründen bei dieser Art der Veranstaltung weg. Alle aufgestellten Stühle im Großen Saal waren besetzt. Pfarrer Hauser stellte Özdemir kurz vor und die daraus entstandene Message kam mit einer Prise Humor beim Publikum gut an, da Özdemir eigentlich auch ein bisschen evangelisch sei. Später erfuhr man von Özdemir selbst, warum dies so ist und das Publikum amüsierte sich. Özdemir wurde in Bad Urach geboren, erzählte kurz über sein Heranwachsen im Schwäbischen, seine Schulerlebnisse, denn u.a. nahm er auch am evangelischen Religionsunterricht teil, da es noch kein Ethikunterricht gab und für seine Mutter eine Hohlstunde nicht in Frage kam. Özdemir hat wahrlich keine Berührungsängste mit anderen Religionen, da seine argentinische Ehefrau eine Katholikin ist. Er führte mit Bravour das Publikum in die schwierige Materie ein, gab Hintergrundwissen, setzte Impulse, die ihre Außenwirkung nicht verfehlten. Seine Wortwahl kam im Saal an, aber nicht bei den Menschen, die durch religiöse Ideologien keineswegs weltoffen geprägt sind. In einigen Veranstaltungsbesuchern brodelte es gewaltig, die seine Worte aushalten mussten. Özdemir redete Tacheles, schönte nichts, ganz im Gegenteil. Ca. 4,4 bis 4,7 Millionen Muslime leben in Deutschland. Einer davon ist Imam Hodzic und er bedankte sich gestern, dass er in Deutschland leben kann. Seit 2001 steht Hodzic als Imam im Dialog mit den Christen. Er schrieb gemeinsam mit dem deutschen Katholiken Wilfried Weber ein Buch mit dem Titel “Unser Gott und euer Gott ist Einer". Er ist zumindest überzeugt, dass sein Gott der gleiche Gott ist wie der des Christentums.

Mit dem richtigen Biss zwecks Einhaltung der begrenzten Fragezeit moderierte Holger Greif von den Grünen souverän die Veranstaltung. Der studierte Politikwissenschaftler und Historiker ist Büroleiter der Bundestagsabgeordneten Ekin Deligöz, die Präsenz zeigte und im Publikum saß. Seit sie im Bundestag die Armenien-Resolution mit verabschiedet hat, wird sie wie alle anderen türkischstämmigen Abgeordneten angefeindet. Sie erhält auch Morddrohungen.

Es war eine informative, interessante Veranstaltung, die leider ganz deutlich zeigte, dass im Ulmer Raum kein Interesse von Seiten DITIB mit verlängertem Arm Erdogans besteht, dass der hiesige, für Ulm verantwortliche, Imam der DITIB -Moschee Ulm Israfil Polat in der Öffentlichkeit Rede und Antwort steht, wenn Politiker wie Cem Özdemir oder Veranstaltungsbesucher kritische Äußerungen tätigen, nachhaken und Fragen stellen. Man gewann den Eindruck, dass Polat unter Druck steht, der von der Zentrale DITIB in Köln ausginge, so sah es auch Özdemir. Ein Mitglied von DITIB Ulm war auch unter denjenigen, die Fragen stellten. Allerdings fiel jener Herr unangenehm auf, da es sich lautstark Zwischenrufe erlaubte, als Özdemir die Fragen beantwortete. Wahrheiten hört man nicht gern.

Es gab viel Beifall, akustische Zustimmung, aber auch aggressiv wirkende Zwischenrufe, so mein persönliches Fazit der Veranstaltung. Ich bin vermutlich nicht die einzige Person, die im Ulmer Raum lebt und sich nun fragt, warum DITIB schon wieder „gekniffen“ hat. Angesichts der Spannungen innerhalb der türkischstämmigen Gemeinde hatte der Ulmer OB Gunter Czisch im November 2016 einen Dialog angestoßen. Es folgten Treffen mit verschiedenartig orientierten türkischen Gruppen, die gemeinsam ein Papier erarbeiteten.30 Organisationen unterzeichneten am Ende eine Erklärung, deren Kernbotschaft es ist, dass alle hier in Frieden leben wollen. Diese "Ulmer Erklärung" haben laut Medienberichte nun Vertreter von Kulturvereinen, Frauengruppen, religiösen Gemeinden, politischen Gruppen, Sportvereine, Türken und Kurden von politisch linksstehend bis traditionell-konservativ und Vertreter/innen der Gülen-/Hizmet-Bewegung unterschrieben. Nur die Verantwortlichen der größten Institution, der in Ulm lebenden Türken, die Menschen, die der DITIB angehören, haben die „Ulmer Erklärung“ nicht unterschrieben. Dass der größte islamische Moscheen-Verband in Deutschland gestern Abend bei der Veranstaltung nicht teilnahm und deshalb Imam Israfil Polat sich dadurch nicht an der Podiumsdiskussion beteiligte, stimmt sehr nachdenklich und schürt weiterhin in der Bevölkerung Gerüchte, dass DITIB eindeutig die Politik von Staatspräsident Erdogan hier in Deutschland unterstützt und auch kein Interesse daran hat, sich kritischen Fragen in der Öffentlichkeit zu stellen. Es wäre wahrscheinlich die Publikumsfrage gestellt worden, ob Polat es in Ordnung findet, dass die aus Ulm stammende Mesale Tolu seit Mai in der Türkei inhaftiert ist.

Medienquellen: SWP, Ulm News

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Geschrieben von

Corina Wagner

Wer das Wort Alphabet buchstabieren kann, ist noch kein/e Autor/in. (C.W.)

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