Meisterkurs für Liedgesang während der Schubertiade 2013 – Thomas Quasthoff
Eindrücke einer unbekannten Sopranistin
Kann man sich im fortgeschrittenen Erwachsenenalter wie ein kleines Kind freuen? Ja man kann, kommt allerdings darauf an, ob man Emotionen zeigen kann bzw. will, die nicht unbedingt kindisch wirken, aber große Freude ausdrücken. Manche Menschen bekommen leuchtende Augen, wenn sie zum Beispiel bei Ebay ein altes Lego-Auto ersteigern oder eine Vinyl-Schallplatte der Beatles. Andere klettern zum Beispiel im Hochseilgarten und fühlen sich einen Augenblick lang wie Tarzan, schreien aus vollem Halse: „Uaaaaaaaaaaaaaaaah!“ Sie sind für einen Moment überglücklich. Dann gibt es Leute, die ganz aus dem Häuschen sind, wenn jene eine Eintrittskarte für ein Auswärtsfußballspiel ihres Lieblingsvereins geschenkt bekommen. Diese könnten dann im Endorphinen-Rausch die halbe Welt umarmen. Man kann sich natürlich total spontan über ein respektvolles Lächeln des Erzfeindes freuen, wenn man mit ihm um die Wette trinkt. Alles ist möglich.
Diese Woche Montag freute ich mich zumindest sehr, als ich vom Kartencenter der Schubertiade eine E-Mail erhielt. Man bestätigte mir, dass es noch ein Tagesticket für den von mir angegebenen Wunschtermin gibt. Da saß ich vorm PC und sagte völlig euphorisch: Yeah!
Auch in diesem Jahr würde ich wieder mit Gleichgesinnten in einem Konzertsaal sitzen und jungen begabten Menschen zuhören, wenn diese öffentlich Kunstlieder im Meisterkurs üben. Zwei Tage später war es dann soweit.
Es ist Mittwoch, der 28. August und der zweite Tag des Meisterkurses für Liedgesang mit Prof. Thomas Quasthoff. Pianist Justus Zeyen ist für die Betreuung der Pianisten verantwortlich.
Zeyen begleitete Quasthoff zwanzig Jahre lang bei Konzerten. Zwei Könner ihre Fachs sind quasi als musikalische Symbiose im Angelika-Kaufmann-Saal in Schwarzenberg zu sehen und zu hören, wenn sie dem musikalischen Nachwuchs Tipps geben. Ein echter Ohrenschmaus, wenn man Beide im Doppelpack erleben kann. Das dritte Mal habe ich nun das Vergnügen, dass ich beide Künstler in einem Meisterkurs erlebe. Gegen 10 Uhr beginnt der Kurs.
An diesem regnerischen Morgen schaffe ich es gerade noch pünktlich anzukommen. Während der Fahrt nach Österreich kam es durch Baustellen zu einigen Verzögerungen. Ich hole meine Karte gegen 9.50 Uhr ab und stelle dann einige Minuten später im Saal fest, dass meine Karte doppelt ausgedruckt wurde. Schrecksekunde! Muss ich nun über drei Stunden lang stehen? Eine Platzanweiserin wusste bereits von der Doppelbuchung. Im Saal sind einige wenige Plätze freigeblieben, so dass man mir zwei Reihen weiter vorne einen anderen Platz zuwies. Kaum saß ich, wurden die Türen geschlossen und dann ging es los.
Quasthoff und Zeyen sind ein eingespieltes Team, ein cooles Duo mit flotten Sprüchen, die aber nicht nur eine Menge Humor bieten, sondern ein immens Fachwissen. Besser geht nicht! Man kann sich glücklich schätzen, wenn man als junger Künstler an solch einem Meisterkurs teilnehmen kann.
Während des Meisterkurses sang das Ausnahmetalent Quasthoff auch, um den SchülerInnen Tipps zu geben. Und diese Augenblicke waren tatsächlich: wow! Gänsehautalarm. Zeyen spielte grandios am Flügel, um den jungen Pianisten Verbesserungsvorschläge zu machen. Das klang Beides wie Balsam für die Seele.
Dieser Tag im Meisterkurs war wieder von sehr viel Humor geprägt, so macht Lernen Spaß.
Auf die einzelnen SchülerInnen möchte ich nicht eingehen, aber u.a. einige wenige Zitate noch erwähnen.
„Wenn Sie an dieser Stelle atmen, bricht nicht der Dritte Weltkrieg aus. Es wäre aber schöner, wenn sie nicht atmen.“, so Quasthoff.
Gerade wenn man aufgeregt ist, geht einem gerne die Luft aus. Gute Atemtechnik ist wichtig, aber die Gedanken, das Kopfkino löst manchmal "Schnappatmung" aus. ;-)
Quasthoff ging aus aktuellem Anlass kurz auf den Syrien-Konflikt ein. Für seine klugen Worte bekam er deswegen vom Publikum viel Applaus.
Bezüglich der schlechten Aussprache beim Singen sagte Quasthoff: “ Ich bin ein Vokalfetischist!“
SängerInnen sollen Emotionen transportieren, da nutzt es nichts, wenn man eine schöne Stimme hat und jeden Ton im Takt, im angegebenen Rhythmus einer einstudierten Partitur trifft. In diesem Zusammenhang erwähnte Quasthoff: „Schumann kann sich nicht beschweren, er ist tot!“
Emotionen beim Publikum zu wecken, ist ein ganz wichtiger Faktor. Wenn man talentiert ist, eine gut ausgebildete Stimme hat, bedeutet dies nicht, dass man das Publikum in seinen Bann zieht und verzaubert. Eine schöne Stimme ist langweilig schön, wenn man keine Gefühle zeigt, so die Message. Während des Singens sollte man sich in bestimmte Situation hineinversetzen. Wenn ein Lied von Liebe handelt, dann sollte man diese Liebe auch dem Publikum näher bringen. Quasthoff sagte zu einer Schülerin, dass sie sich „Johnny Depp vorstellen soll“. Das Publikum amüsierte sich köstlich. Zum Thema Emotionen und Sinnlichkeit gab es dann gute Tipps. Die junge Sängerin konnte diese umsetzen und sang das Stück mit sehr viel mehr Gefühl als zuvor. Ihre Stimme klang plötzlich ganz anders. Bei einer anderen Sängerin fehlte es auch an der Umsetzung von Emotionen. Da sagte dann Justus Zeyen: „Sie müssen sich nicht Johnny Depp vorstellen!“ Quasthoff daraufhin: „Heinz Rühmann und Hans Moser gehen auch.“
Quasthoff: „Das ist hier keine Operette in Sindelfingen Süd.“ Wieder großes Gelächter im Saal.
Interessant ist auch, wenn man das Publikum beobachten kann.
Neben mir saß ein sehr sympathischer Herr mit niederländischem Akzent, der jeweils die Partituren der ausgewählten Gesangsstücke in den Händen hielt und genau mitlas, was die jungen Talente sangen. Er machte sich auch Notizen. Viele im Saal hatten Stift und Papier zur Hand. Eine Reihe vor mir saß ein älterer Herr mit Schal, meiner Ansicht nach ein ausgebildeter Bassist. Er lachte sehr tief und laut, also mit Stütze bzw. trainiertem Zwerchfell. Es lachten übrigens viele Menschen im Saal laut, so auch Frau Wagner. Das war nicht peinlich, eher ansteckend komisch. Dann beobachtete ich in der Pause ein englisch sprechendes Paar. Es war derart wackelig auf den Beinen, dass man Angst haben musste, dass einer der beiden im Saal sterben könnte. Echte Schubertiade Fans reisen solange es irgendwie noch möglich ist... :-) Das Durchschnittsalter lag an diesem Tag vermutlich bei 68 Jahren.
Das Kunstlied ist leider vom Aussterben bedroht und es wäre schade, wenn man es nicht retten könnte...
Klangbeispiele:
http://www.youtube.com/watch?v=UrI6Xz6mmcU
https://www.youtube.com/watch?v=GzpJ6jUZnwM
http://www.youtube.com/watch?v=moW1p7aoDco
http://www.youtube.com/watch?v=CRGCuoSGGKo
Nächste Jahr werde ich mir wieder ein Tagesticket kaufen. Darauf freue ich mich heute schon.
Musik verbindet!
@Corina Wagner, 31. August 2013
Kommentare 14
Nachtrag: Herr Quasthoff hat seit Mittwoch mein Buch Kleiner USB-Stick ohne Anschluss und darüber freue ich mich sehr.
Vielen Dank, liebe Corina,
wie schon letztes Jahr, hatte ich durch Deinen plastischen Bericht das Gefühl, mit im Saal gesessen zu haben !
Super, wäre sehr gern dabei gewesen :-)
Liebe Grüße
Anchesa
Liebe Anchesa,
wir könnten uns dort nächstes Jahr treffen. ;-)
So und nun muss ich ins Bett, sonst bekomme ich Falten. :-)
Ganz liebe Grüße
Corina
Liebe Corina,
mal sehen, was das nächste Jahr Gutes bringt...
Wäre schön ja...
Gute Nacht und schönen Sonntag
Gerne gelesen. Danke.
"Quasthoff:„Schumann kann sich nicht beschweren, er ist tot!“
Das ist Kritik vom Feinsten! ;-))
Auf Ihren Bericht vom nächsten Jahr freue ich mich schon heute.
Grüße...und schönen Sonntag.
Liebe Corina, auch von mir gerne gelesen. Nichts gegen Sindelfingen-Süd, aber auch die Sprüche sind echt gut. :)
Herzliche Grüße
poor on ruhr
Sehr herzlichen Dank. Das muss klasse gewesen sein. Wobei: Ich habs nötig. Ich kriege immer Einladungen von der Hochschule für Musik. Und kürzlich war auch mal eine Sendung über so einen Kurs mit Quasthoff.
Aber, das isses ja auch nicht allein: Du hast das so sachkundig geschildert und engagiert. Du kennst Dich halt auch aus damit und weißt, wie lange es dauert, bis ein Lied erarbeitet ist.
Hihi und dann noch sowas.
Er lachte sehr tief und laut, also mit Stütze bzw. trainiertem Zwerchfell.
Also nochmal Danke.
Liebe Anchesa,
habe Dir bei Youtube einen Beitrag herausgesucht. Er dauert zwar über 8 Minuten, zeigt aber gegen Ende, wie witzig Quasthoff Schülern erklärt, wenn sie etwas ausdrücken sollen. Die Stimme des Nachwuchssängers wird Dir gefallen.
https://www.youtube.com/watch?v=kl1OWwn5Gq8
„...belauschen…“ "... Stasi..."
LG und guten Wochenstart!
Corina
Lieber Vaustein,
schön dass Ihnen meine Zeilen über den Vormittag im Meisterkurs gefallen haben. Quasthoff ist ungemein vielseitig, denn er ist auch Kabarettist. Er weiß genau, was er auf der Bühne tut. :-)Deshalb auch die Gags während des Meisterkurses, die das ganze Üben auflockern. Nächstes Jahr gibt es wieder Wagners Bericht! Versprochen!
Da müsste ich bereits im Sterben liegen, wenn ich mir kein Tagesticket kaufe. ;-)
https://www.wuehlmaeuse.de/#spielplan/details/4899
Schönen Sonntag!
Musikalische Grüße
Corina
Lieber Poor,
die Sprüche sind der Hammer! :-) Wenn Du lachen willst:
https://www.youtube.com/watch?v=32paBRwyqgA
Herzliche Grüße
Corina
Liebe Magda,
ja man wird süchtig, wenn man mal dort war. Ich war auch schon im Meisterkurs vom verstorbenen Fischer-Dieskau. Sein Arbeiten sollte man nicht mit Quasthoffs Wirken während eines Meisterkurses vergleichen. Doch wenn er heute noch leben würde und ich dürfte als Schülerin einen Kurs besuchen, dann würde ich mich sofort für Quasthoff entscheiden. Da seine Tipps gut umzusetzen sind. Beispiel Lampenfieber: Ich scheiterte damals an meinem Lampenfieber und Quasthoff nimmt den jungen Schülern diese Angst, wenn er mit ihnen arbeitet. Das finde ich einfach genial.
Das Lachen ist manchmal unglaublich gefährlich in der Öffentlichkeit, wenn man sich köstlich amüsiert und dabei vergisst, dass man durch die Gesangsausbildung in der Lage ist, relativ laute „Brüller“ loszulassen. ;-)Dann besteht echte Tinnitusgefahr für Wildfremde! :-)
https://www.youtube.com/watch?v=Yr0HJdwKMzI&list=PL60CFBBBD3512E4BB
Ich wünsch‘ Dir noch einen schönen Sonntag!
Liebe Grüße
Corina
Liebe Corina,
ich muss mich bei Dir entschuldigen, dass ich bisher nicht auf den Beitrag geantwortet habe. Erst gestern am späten Abend/Nacht las ich ihn mit gesteigertem Genuss. Auch Deine eingestellten Gesangsbeispiele haben mir geholfen, meinen Kopf von anderen Dingen zu lösen und mich der Musik hinzugeben. Am meisten hat mir Dein persönlicher Beitrag gefallen. Die Akustik in der Ulmer Kirche muss ja auch ganz besonders sein. Ich kann Dir nur ein herzliches Dankeschön von hier aus schicken.
Wenn wir Dich in Hamburg in der St. Michaeliskirche hören könnten, wäre das sicherlich fanstastisch! Wie bereits angedeutet: Ich könnte mir auch gut ein von Volker vorgetragenes Gitarrenstück und einen von por verlesenen Beitrag aus dem "Pott" vorstellen. Ich würde mir auch noch etwas einfallen lassen. Alles könnte in Form einer öffentlichen "Session" erfolgen.
Corina, auch der Meisterlehrer hat eine "ungeheure" Stimme, wie es sie selten gibt. Ich habe genau in der Zeit, als er herauskam, in Übersee gearbeitet, so dass ich diesbezüglich völlig aus der europäischen Musikwelt draussen bin.
Stell' Dir einmal Folgendes vor. Vor etwa einer Woche sah ich zufällig einen Beitrag in der Deutschen Welle über den Wagner-Ring in Buenos Aires. Da kam auch ein früherer lieber Klassenkamerad zu Wort, der heute ein berühmter Mann in der klassischen Musikszene ist. Sicher wirst Du seinen Namen kennen: Cord Garben. Er hatte den Ring von 13 Stunden auf 7 zusammengestrichen, so dass er an einem Stück aufgeführt werden kann. Ich ging sofort auf Google, um mir seinen Lebenslauf anzusehen. Wahnsinnig, was seit dem Gymnasium passiert ist. Ich werde sehen, wie ich ihn kontaktieren kann. Er und ein anderer Klassenkamerad waren meine besten Freunde, sozusagen das unzertrennliche Trio. Er konnte damals schon meisterlich Klavierspielen, was mir beileibe nicht annähernd so gelang.
LG, CE
PS: Ich hatte in der Nacht von Sonntag auf Montag auch einen "Sommerschönheit"-Beitrag eingestellt, polemisch selbstverständlich, der mir sogleich, wie absehbar, um die Ohren gehauen wurde. Heute ist ein wunderschöner Tag. Da muss ich raus an den Strand.
Lieber CE,
es gibt ja noch eine Welt da draußen, fernab von Freitag. ;-)
Es freut mich sehr, wenn Dir mein Beitrag über den Meisterkurs gefallen hat, auch die eingefügten Klangbeispiele. Wie Du feststellen konntest, bin ich ein ganz großer Fan von Quasthoff. Ich singe übrigens sehr gerne Kunstlieder und deshalb bin ich immer bei Youtube auf der Suche, dann Hörbeispiele zu finden. Schön, wenn Dir meine Stimme gefällt. Ich bin sehr froh, dass es die Aufnahmen gibt, so habe ich einen hörbaren Zeitzeugen meiner Veranstaltung. Ich sang damals 13 Kunstlieder. ;-) Das mit dem Treffen in Hamburg wäre super und wenn man es mit einer Veranstaltung verbinden könnte, aber da müsste man wieder organisieren. ;-) Gord Garben ein Schulfreund von CE? Zeitgemäß sagt man wohl dazu: Echt cool!
Ganz liebe Grüße nach Panamá
Corina
Wenn ich dann nach Deutschland komme, muss Cord Garben ebenfalls anmarschieren. Als Klassenkamerad war er ein Super-Typ und wird es heute ebenfalls sein. Aus so ein Treffen, wie auf ein Treffen mit Euch von der dFC freue ich mich ganz besonders. Ich werde da am Ball bleiben. Ich weiss nicht, ob Cord auch Orgel spielt, meine aber ja. Dann könnte er ja, wenn man ihn für ein gemeinsames Treffen bekommen kann, Dich begleiten und eine kleine Aufnahme davon machen. Träumen schadet nicht, aber zumindest ist das erstmal ein Anfang.
LG, CE