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CoLyrik Über billige Kochweine kann man debattieren, muss man aber nicht. Zu teuer? Auf den Durchblick kommt es eventuell an ...

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Zu teuer?

Haben Sie auch schon einmal teurer eingekauft wie ursprünglich geplant? Wahrscheinlich, so vermute ich spontan. Wenn nicht, dann sind Sie sehr diszipliniert. Ich gratuliere! Viele Menschen können sich den Weg in den Delikatessenladen sparen, da sie Prioritäten setzen müssen. Und mal ehrlich – nicht jeder will verständlicherweise z.B. die außergewöhnliche Qualität des Jahrgangs 1811, einen „Château d’Yquem“ erwerben oder einen „Mouton Rothschild 1945“. Allesamt sind ebnso nicht dazu bereit – für einen uralten Weiß- oder Rotwein Omas Häuschen zu verkaufen, wenn dies möglich wäre. Viele Leute trinken Wein, den sie beim Discounter gekauft haben – dies ist schlichtweg Realität in deutschen Landen. Eine großzügige Auswahl aus aller Herren Länder steht mittlerweile zum kleinen Preis in den Regalen. Ob spanische, französische, italienische, österreichische, griechische oder südafrikanische Weine, die interessantesten Gaumenkitzler warten auf die Endverbraucher. Modrig erdige Abgänge mit einem Johanniskirsch- bzw. Brombeerfeigenfeeling im Einklang mit den Geschmacksknospen zuzüglich eines Hauchs Dioxinbelastung beim Schlucken können positiv überraschen. Die Preise sind auch für einen schmalen Geldbeutel erträglich, denkt man spontan an die Marke „Pennerglück“.

Mit zunehmendem Alter wird man nicht selten wählerischer, wenn man im Laufe der Jahre lediglich das ein oder andere Glas Wein getrunken hat. Manche Menschen dürfen allerdings durch welche Gründe auch immer – im Alter keinen Alkohol mehr trinken. Ein geschmortes Ochsenbäckchen mit einer Rotweinjus mundet auch mit Mineralwasser, aber der Rotwein muss unbedingt ans Fleisch. Ein rheinischer Sauerbraten ohne Rotweinbeize – nicht vorstellbar. Eine leckere Limetten-Rieslingsauce z.B. zu einem ordinären Zander – man könnte sie zur Beilage weglassen, aber wer will das schon gerne? Deshalb gibt es ältere Menschen, die mit Vorliebe essen und Kochwein beim Discounter kaufen. Haben Sie, wenn Sie noch etwas jünger sind, diese schon einmal durch Zufall beim Einkaufen beobachtet?

Ein älteres Ehepaar kauft gemeinsam ein und wie das im Alltagsleben so ist, unterhält man sich oftmals spontan in der Endlosschlange vor der Kasse. Wie das vereinzelt natürlich auch so bei älteren Leuten ist, fällt der Frau urplötzlich ein, dass sie für das Fischgericht den Kochwein vergessen hat. Da sie weiterhin Smaltalk mit der netten Person, die hinter ihr in der Schlange steht, halten will, schickt sie ihren Gatten zu den Weinregalen. Er huscht nun absolut gut gelaunt und zielstrebig im schnellen Einkaufsschritt dorthin, während über faule Kirschen philosophiert wird. Jener Weg quer durch den Discounterladen kann an einem Freitagnachmittag sehr anstrengend sein. Jener ältere Herr muss sich an Einkaufswagen vorbeizwängen, die mitten in den Gängen platziert werden. Nach einer verpfuschten Roboterhüft-OP eigentlich eine Glanzleistung für diesen Mann. Er ist ein zäher Bursche. Ansonsten wäre er vermutlich in der Region nicht als widerstandsfähiger „Globuliverpackungskünstler“ bekannt, der bereits schon etliche Ausstellungen in Foyers von Seniorenresidenzen erfolgreich absolviert hat. Doch dies ist ein anderes Thema über das er sich bestimmt gerne mit Herrn Jung vom Altenschutzbund unterhalten hätte, den er gestern beim Tanken traf. Doch da musste seine liebe Frau dringend zur Fußpflege und trat zur Abschreckung kurz mit ihrer Krücke aufs Gaspedal, als er noch zögerlich den Tankrüssel in den Händen hielt. Ja so ist es, wenn man über fünfzig Jahre ein Paar ist, denkt der ältere Herr, als ihm ein Kind auf der rechten Seite eine Orangensaftverpackung in die Rippen rammt, als er links einem Einkaufswagen ausweichen will. Und auf dem schmalen Einkaufspfad Richtung Weinflaschen dackelt.

Muttis sind wieder mit quengelnden Kleinkindern unterwegs. Eigentlich eher ein seltenes Szenario, sollte man annehmen, wo es doch so wenig Nachwuchs in Deutschland gibt. Genau jener Geburtenrückgang tut aber nichts zur Sache, wenn ein Kind mit dem “Melitta-Benz-Syndrom” alle Filtertüten-Verpackungen vor Zorn auf den Gang wirft. Und dies in der Nähe vom Weinregal. Schweißgebadet kehrt der Gatte jenseits der Siebzig mit einem Siegerlächeln auf den bläulichen Lippen noch rechtzeitig an die Kasse. In der Zwischenzeit wartete seine Herzallerliebste weiterhin geduldig in der Schlange. Sie steht nun mit ihrem Einkaufswagen kurz vor dem Ablagerollband und überbrückte die Wartezeit durch Austausch von Kochrezepten mit der netten Frau, die direkt hinter ihr wartet.

Ohne Groll legt der abgekämpfte Ehemann die Flasche in den Einkaufswagen, denn er freut sich auf das leckere Abendessen. Seine Frau kann vorzüglich kochen und im Alter zahlt sich dies nun aus. Es ist eigentlich mit gutem Sex zu vergleichen, würde nun Sigmund Freud vermutlich schreiben. Ein Feuerwerk der Gefühle, wenn das Essen die Sinne weckt. Zurück zum Wein im Einkaufswagen. Dreht sich die ältere Frau zur Jüngern herum und sagt: „Schön, dass Götz ohne Fluchen noch brav den Kochwein geholt hat.“ Die jüngere Frau starrt auf das Etikett der Flasche und zwinkert mit der Augenbraue. Gleichzeitig sagt sie zu der älteren Dame: „Zum Essen gönnen Sie sich bestimmt ein Schlückchen von dem leckeren Weißwein!“ „Nein!“, sagt die ergraute Dame energisch zur Jüngeren und fügt hinzu: „Wissen Sie diesen billigen Kochwein würden wir nie trinken!“ Gleichzeitig legt sie die Flasche demonstrativ zuerst aufs Band. Jene junge Frau grinst über diesen energischen Ausbruch von Gefühlen an der Discounterkasse. Sieht zu, wie Mann und Frau in einer Symbiose des Älterwerdens in völliger Harmoniesucht ihre restlichen Waren aufs Band legen. Und wünscht ihnen nachdem die Kartenzahlung zackig erfolgt ist – noch „eine schöne Zeit“.

Während beide älteren Herrschaften danach völlig geschlaucht zum Wagen gehen, kontrolliert die Gattin nochmals mit Lesebrille den Kassenbon. Eine Flasche „Châteneuf –du- Pape“ für 9,99 Euro entdeckt sie als erstes auf dem Bon. Ein kleiner Aufschrei entfleucht ihr dabei. „Was ist?“, fragt ihr Lebenspartner ganz aufgeregt. Leichenblass antwortet sie ihrem Herzallerliebsten: „Dein grauer Star hat aber heute voll ins Budget geschlagen!“ Er stoppt ohne Vorwarnung den Einkaufswagen und brüllt sie liebevoll an: „Warum Frau Dr. Altersgeiz?“ Sie antwortet mit all ihrem Charme: „Bärchen, so dicke ist Deine Rente auch wieder nicht, dass wir uns neuerdings einen Kochwein für 9.99 Euro leisten können. Die junge Frau hinter uns an der Kasse dachte bestimmt, dass wir zwei Alte dekadente Volltrottel sind …“

© Corina Wagner, September, 2012

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Geschrieben von

Corina Wagner

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