Schlaflose Nacht

CoLyrik-Gefährliches Schlaflose Nacht im "Wahlkampfgetöse" - eine Kurzgeschichte zur Ablenkung

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Schlaflose Nacht

Mitternacht ist längst vorbei. Ich bin spät nach Hause gekommen. Nach einer kleinen Ewigkeit im Bad gehe ich zu Bett. Von Nacht zu Nacht dauert die Prozedur länger, bis ich bettfertig bin. Das Anziehen der Schlafanzugshose zieht sich in die Länge, da im Hosenbein ein Knoten war. Wer auch immer den hineingemacht hat, wird seine Gründe dafür gehabt haben. Ich war es definitiv nicht. Nun bin ich hellwach und überlege mir, ob ich die Stereoanlage aufdrehe, um meinen Mitbewohner zu ärgern. Ich lasse es bleiben und spiele mit der Nachtischlampe. Ich knipse das Licht an und aus. Es ist eine kleine Marotte von mir, wenn ich nicht schlafen kann. Es nervt nur andere, mich nicht. Heute bin ich alleine im Bett. Mondlicht sucht sich den Weg durch die Rollladenschlitze und blendet mich. Ich wälze mich hin und her, suche die richtige Position, um einschlafen zu können. Beinahe hätte ich den Daumen zum Nuckeln in den Mund genommen, wie früher, als ich noch klein war. Ich kann mich gerade noch beherrschen. Dafür drehe ich mir aus lauter Langweile kleine Locken ins Haar und starre an die Schlafzimmerdecke. Ich zähle währenddessen wie von Sinnen Schäfchen, um endlich einschlafen zu können. Nichts passiert. Ich kann nicht einschlafen. Ich knipse das Licht wieder an und aus und an und aus und an und aus und an und aus. Um mich abzulenken, denke ich an etwas total Schönes und öffne nun die Nachtischschublade. Dort liegt für Notzeiten ein Keks in Folie eingeschweißt. Ein Geschenk eines Freundes, der vor dreißig Jahren bei der Bundeswehr seine Grundausbildung absolvierte und mir für den Fall der Fälle diesen Keks schenkte. Es gab schon schlimmere Nächte als diese. Nun fange ich wieder an tief ein- und auszuatmen. Dann werde ich meistes ganz ruhig, besonders dann, wenn ich kurz die Luft anhalte. Bislang schaffte ich es jedes Mal und riss die Alufolie nicht auf, legte den Keks zurück in die Nachttischschublade. Oft erst dann, wenn mein Gehirn wieder mit mehr Sauerstoff versorgt wird. Ich atme wieder tief ein und aus. Vermutlich verliere ich wieder das Bewusstsein. Blackout. Plötzlich sitze ich senkrecht im Bett. Ich höre Stimmen. Schreie. Schreie einer Hyäne. Es sind Lustschreie. Ich knipse das Licht an und stelle fest, dass ich ganz alleine in meinem Bett liege. Meine Nachbarin kopuliert vermutlich gerade mal wieder nach langer Zeit. Ich knipse das Licht wieder aus. Das Mondlicht sucht sich immer noch den Weg durch die Rollladenschlitze und blendet mich erneut. Ich fange wieder an und wälze mich hin und her, um die richtige Position zum Einschlafen zu finden. 10 Minuten benötige ich für die richtige Stellung und liege nun mit dem Kopf am Fußende. Dadurch sehe ich genau auf das Bild, das über meinem Bett hängt. Bis dorthin schafft es auch das Mondlicht, das von Draußen nach innen dringt. Ich starre nun unentwegt auf dieses Bild und atme tief ein und aus. Dann halte ich die Luft an. Blackout. Plötzlich träume ich, verarbeite Bilder vom Tag. Ich sehe die riesengroßen Werbeplakate, die rechts und links an den Straßen nun hängen. Am 24. September ist Bundestagswahl und die Parteien werben nun für ihre Kandidaten. Überdimensional sehe ich vor meinem geistigen Auge diverse Politiker in irgendeiner ansprechenden Pose, die zum Wählen einladen soll. Die Bundeskanzlerin lächelt mich an und ich lächele zurück, denn ich weiß etwas, was sie nicht weiß. Ich höre wieder Stimmen. Schreie. Schreie einer Hyäne. Dieses Mal weiß ich, dass meine Nachbarin wieder Sex hat und ich knipse das Licht nicht wieder an und aus, träume weiter, aber ich merke währenddessen, dass ich einen Albtraum habe. Ich beginne zu schwitzen. Die Plakate werden immer größer und das Lächeln diverser Politiker immer aufdringlicher. Plötzlich wird mir schwindelig. In meinem Kopf dreht sich alles. Immer mehr überdimensionale Wahlplakate tauchen vor mir auf. Ich schlage wie wild mit meinen Armen. Mitten im Traum bekomme ich vermutlich eine Panikattacke. Schreie mir die Lunge beinahe aus dem Hals, so wild träume ich und rufe ganz laut: „Hülfe! Hülfe! Hülfe!“. Ich knipse das Licht an und bekomme die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Ich rauf mir zunächst die Haare und gebe mir aus lauter Verzweiflung eine Ohrfeige. Ich sehe das haushohe Werbeplakat immer noch vor mir. Ich bekomme das Bild nicht mehr aus meinem Kopf. Ich knipse das Licht an und aus und an und aus und wieder an. Es herrscht Totenstille im Schlafzimmer. Ich bin alleine. Keiner kann mir helfen und deshalb knipse ich das Licht vorsichtshalber wieder aus. Das Mondlicht sucht sich immer noch den Weg durch die Rollladenschlitze und blendet mich erneut. Ich liege wieder am Kopfende meines Bettes. Ich schließe die Augen abermals und bekomme die haushohen Wahlplakate nicht mehr aus dem Kopf. Erdogan wirbt für die AfD. Ich atme tief ein und aus und tief ein und aus, dann halte ich die Luft an. Blackout. Ich höre Stimmen. Schreie. Schreie einer Hyäne. Ich knipse das Licht an und öffne meine Nachttischschublade. Ich nehme den Keks in die Hand. Meine Hände zittern so krass, als hätte ich Entzugserscheinungen. Ich reiße die Alufolie deshalb ziemlich ungelenk auf und glaube in jenem Moment beim Hineinbeißen immer noch es könnte mir jetzt in diesem Moment helfen, um endlich friedlich einzuschlafen. Haha. Ich höre Stimmen. Schreie. Schreie einer Hyäne…

© CoLyrik, August 2017

Anmerkung

Die Kurzgeschichte Schlaflose Nacht ist frei erfunden und nicht biografisch zu verstehen. ;-) Moderne Literatur kann persönliche Anfeindungen gegen Autoren bei der jetzigen politischen Lage in Deutschland auslösen. Im deutschen Grundgesetz ist die Meinungsfreiheit verankert.

Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Corina Wagner

Wer das Wort Alphabet buchstabieren kann, ist noch kein/e Autor/in. (C.W.)

Corina Wagner

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden