Schubertiade – Was ist das? „Noch nie davon gehört!“, könnten nun einige Leser/innen denken.
Für all jene die meine Artikel darüber noch nicht gelesen haben, erkläre ich dies gern.
Ein Festival der besonderen Art, so nennt man die Schubertiade im Bregenzer Wald. Jährlich strömen in den österreichischen Ort Schwarzenberg knapp 45000 Besucher, die an etwa 90 Veranstaltungen teilnehmen. Nirgendwo sonst finden Zuhörer innerhalb kürzester Zeit eine bemerkenswerte große Anzahl von Liederabenden, die von den besten Sängern der Welt gestaltet werden. Wer einmal vor Ort war, entdeckt Suchtpotenzial.
Menschen verschiedener Nationalitäten drängen morgens bereits in den Angelika-Kauffmann-Saal. Während der Schubertiade finden auch Meisterkurse statt. Musikbegeisterte harren freiwillig mehrere Stunden dort aus, um beim Üben junger Musiker dabei zu sein, so wie ich, die auch wieder zum Festival angereist ist. Wenigstens einen Vormittag im Meisterkurs von Herrn Prof. Thomas Quasthoff zu sitzen und die einzigartige Akustik des Konzertsaales genießen, wenn der begnadete Sänger Quasthoff mit seinen Schülern übt. Mit einer Tageskarte oder einer Generalkarte ist dies möglich.
„Quasthoff kann es einfach.“ Prägnant und keine Augenwischerei, wenn Sie mich fragen würden. 2010 besuchte ich schon einmal als Zuhörerin Quasthoffs Meisterkurs während der Schubertiade.
Die „Methode Quasthoff“ ist inzwischen kein Geheimtipp mehr und macht Schule. Junge begabte Menschen investieren in einen Meisterkurs mit dem studierten Bariton, der in meinen Augen ein Ausnahmetalent ist. Und Justus Zeyen (Pianist, Liedbegleiter und Lehrmeister) unterrichtet zeitgleich die angereisten Pianisten. Denn die Schüler/innen melden sich in der Regel als Duo an. Zeyen und Quasthoff harmonieren als Symbiose des Lehrens und die Dialoge können sich absolut hören lassen. Sie haben Unterhaltungswert, wenn z.B. Zeyen sagt: „Bitte kein klebriges Legato!“ Über Quasthoffs Lippen kommen unzählige kesse Formulierungen, die auch vor dem Publikum nicht Halt machen. Da spricht er Frauen in der ersten Reihe an, ob der junge Sänger während des Lieds den Liebhaber gut verkörpert hätte und ehe diese etwas überfordert antworten können, sagt er schon: „Sagen Sie nein!“ Der junge Sänger soll mehr Gestik auf die Bühne zaubern und mit mehr Gefühl, diesem Lieberhaber-Gefühl singen.
Ein anderer Schüler singt einige Töne mit „zu viel“ Luft und er soll die Töne vorne unter der oberen Lippe spüren, da wo das Lippenbändchen sitzt. Gerade bei dem Wort Ach, das der junge Sänger in dem Stück singen soll, ist Quasthoff zu wenig Stimme drin und sagt: „Ach – man hört den Fön raus. Doch wer trocknet sich denn nachts noch die Haare?“ Und bietet dann dem Publikum eine unterhaltsame Geräuschkulisse. Quasthoff hat Alleinunterhalter-Qualitäten. Der Schüler kann diesen Ton aber nach der Kritik umsetzen und das Ach klingt plötzlich schön. So macht das Üben nicht nur Sinn, sondern auch Freude.
Ein grandioser Lehrmeister mit dieser gewissen Aura, die sich auf die Schüler/innen überträgt, so mein überzeugter Eindruck. Wer ihn beim Arbeiten mit den Meisterschülern beobachtet, ist von seiner Technik fasziniert. Quasthoff besitzt die Gabe - Schwachstellen, sei es u.a. in der Gestik, Haltung, Mundstellung bzw. Atemfehler oder z.B. der Aussprache beim Singen von Liedern, den Schülern so zu erklären, dass sie es verinnerlichen und auch umsetzen können.
„Der Herr gab uns ein Zwerchfell. Wir sollten es benutzen!“ Zitat Quasthoff
Und wenn es nicht in die Tat umgesetzt wird, dann steht er auch auf, läuft zu den Schülern, stellt sich hinter sie und legt seine Hände auf. Manche müssen sie sich knien, da Quasthoff nur 1,35 m groß ist und zu den vielen Contergan-Geschädigten gehört, die es in Deutschland gibt. Plötzlich wird die Spannung im Körper der Schülerinnen bis zum Schluss gehalten, wenn Quasthoff hinter ihnen steht. Die Töne klingen natürlich gleich ganz anders, wenn die Spannung bis zum Ende eines Lieds gehalten wird. Nach einem Lob von Quasthoff kann es dann passieren, dass eine Schülerin nachfragt, ob er jetzt immer bei den Konzerten hinter ihr stehen könne und er dann spontan sagt: „Das wird aber teuer!“
Größe ist nicht gleich Größe und Quasthoff ist ein ganz Großer, was sein Können betrifft. Er bietet auch eine Menge Selbstironie. Wenn bei „Urlicht“ von Mahler nicht das gewisse Feeling im Wortlaut herüber kommt und zwar an der Stelle: „Da kam ein Engelein und wollt‘ mich abweisen.“, dann hilft Quasthoff mit Gestik und gekonnter Ausdrucksweise nach, um es dem Schüler näher zu bringen. „Da kam ein Engelein, so wie ich: flatter, flatter!“. Das Publikum lacht und in jenem Zusammenhang sagt er dann noch: „Stell Dir bitte einen Rubensengel vor. Die waren fettleibig, so wie ich.“ Er arbeitet mit allen Tricks, um verständlich zu machen, dass man Liedern Leben einhauchen muss. Die Schüler sollen die „Töne im Körper spüren“. Und wenn der Prof. zwischendurch lobt, dann glaubt man sogar witziger weise für einen kurzen Moment man säße in einem Stadion und nicht in einem Konzertsaal: „Lippen vor – noch ein Tor!“ Da wird so manche/r Sänger/in zum Libero.
Fazit: Von den jungen Sänger/innen bzw. Pinanist/innen, die an diesem Meisterkurs teilnehmen, wird man in Zukunft noch viel hören, da bin ich mir ganz sicher!
Kommentare 11
Wirklich sehr gerne gelesen, Frau Nachbarin!
Schubert ist fantastisch. Nur die Besten sterben jung? Hier stimmt das. Man stelle sich mal vor, dieser Mann wäre 90 Jahre alt geworden... Was hätte er noch alles geschrieben.
Was ich sehr gut kenne, ist die Literatur für Männerchor und Männerchor und Solist. Durfte selbst mal eine Schubertiade genanntes Konzert darüber mitgestalten, in den 90er Jahren mit dem (damals noch sehr guten) Bischmisser Männerchor, oben auf dem Rundfunk: (immerhin) 2 Stunden Schubert-Männerchöre pur... Und den "Nachgesang im Walde" begleitet von Waldhörnern des damaligen RSO... Himmlisch!
Schöne Grüße mit einem Ständchen!
http://www.youtube.com/watch?v=9MFxaFFKe6U
Sucht ein Weiser nah und ferne Menschen einst mit der Laterne...
Guten Morgen Herr Nachbar,
Morje,
vielen Dank für den eingefügten Link. Diese Musik zieht mich magisch in ihren Bann.
Wenn ich das Wort Männerchor lese, dann werde ich sentimental, weil jene Chorform vor dem Aussterben bedroht ist. Schade, dass sich nur so wenige kleine Jungs für einen Kinderchor bzw. Knabenchor begeistern können. Im Frühjahr war ich bei einer Veranstaltung, da dachte ich: Gleich stirbt einer der Sänger wegen Altersschwäche auf der Bühne. ;-) Man erzählte mir später, dass dieser Chor einst einen sehr guten Ruf hier in der Region genoss.
Auf dem Halberg, also im Funkhaus, war ich in jüngeren Jahren öfters, aber nicht zu Aufnahmen. ;-) Und bislang leider auch nicht mehr… Dafür habe ich aber Ende Juni im Rathausfestsaal in Saarbrücken ehrenamtlich während eines Festkommers gesungen und das Ambiente habe ich genossen, zumal ich dort vor 25 Jahren getraut wurde. ;-)
Kunstlieder muss man mögen. Vergleichbar mit der Liebe zu einem Mops. ;-) Die einen finden diese Hunde nur hässlich und die anderen …
Ich mag zwar keine überzüchteten Hunde, aber z.B. Noten von Schubert.
Viele liebe Grüße zurück, die ich mit Schubertnoten und etwas Wagnerstimme bestücke…
;-)
http://www.youtube.com/watch?v=CRGCuoSGGKo
http://www.youtube.com/watch?v=JW33gPGVXwM
Vielen Dank für diesen Bericht, leider ist Bregenz so weit :-(
Besonders der Meisterkurs bei Thomas Quasthoff macht Lust darauf, das live zu erleben...
"...Wenn ich das Wort Männerchor lese, dann werde ich sentimental, weil jene Chorform vor dem Aussterben bedroht ist. Schade, dass sich nur so wenige kleine Jungs für einen Kinderchor bzw. Knabenchor begeistern können..."
Empfehle dazu den Leipziger Thomanerchor ;-)
Liebe ANCHESA,
bis Schwarzenberg sind es für mich nur 150 km und deshalb kann ich dieses kulturelle Angebot nutzen, muss dort nicht übernachten. Allerdings habe ich mir vorgenommen, auch mal in Zukunft dort zu übernachten und mir eine Generalkarte zu kaufen, so dass ich während des Meisterkurses jeden Tag zuhören kann, wenn mit den Schülern geübt wird. Leipzig liegt für mich auch nicht um die Ecke, wenn ich an den Thomanerchor denke. ;-)Ich finde übrigens diese Jungs auch ganz süß:http://www.youtube.com/watch?v=TvThHk-wMRk&feature=related
Schönes Wochenende
Corina
Ganz meine Meinung. Klingt wunderbar.
tja bei 140 km ist das natürlich gut zu händeln... Viel Spaß im Meisterkurs, den Du so gut beschrieben hast, das ich Herrn Quasthoff direkt vor mir sah und hörte :-)
Gerne gelesen. Dieses Metier sagt mir zwar nicht so viel, aber was Sie geschrieben haben liest sich doch sehr spannend. Auch der Witz und der der Humor von Thomas Quasthoff ist nocheinmal so etwas wie die Würze im Blog. Ich mag Menschen , die sich für eine Sache total begeistern können, auch wenn mnir das Gebiet manchmal weniger sagt, als den Menschen, die sich stark damit beschaftigen.
Herzliche Grüße
por
@ANCHESA
2010 besuchte ich auch als Zuhörerin während der Schubertiade einen Meisterkurs von Quasthoff.
Er wollte den Schülern u.a. erklären, dass man immer weitersingen soll, egal was da so im Publikum passiert…
;-)
… und so erzählte Quasthoff von einem Liederabend, als er die Winterreise von Schubert sang, wie es ihm ergang. Gerade als er sehr gefühlvoll sang, stand eine Dame in der zweiten Reihe auf. Laut Quasthoff sah sie grün im Gesicht aus. Sie würgte und währenddessen er gefühlsbetont weitersang, er als Sänger alles auf der Bühne gab, interessierte sich das Publikum überhaupt nicht mehr für ihn. Alle starrten auf die Dame, die dann den Konzertsaal Richtung Ausgang verließ. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, hörte man von Draußen diese gewissen Geräusche. Wie sagte Quasthoff dann so schön: „Das war das einzigste Mal, dass jemand meine Winterreise zum Kotzen fand!“ ;-)
http://www.youtube.com/watch?v=IVzfSnKng94&feature=relmfu
LG
Corina
@ POHR ON RUHRLieber Por,
wenn man als Kind mit Kunstliedern aufwächst, weil z.B. Mutter und Großvater Kunstlieder singen, prägt dies dann doch irgendwie...Ein entfernter Verwandter sang in jenem Metier auch öfters öffentlich, daaaaaaaaaaaaaaaaas ist aber schon sehr lange her:
http://www.youtube.com/watch?v=ZiShzijX9VM
Eigentlich kann ich garnichts dafür, dass ich mich dafür begeistern kann...
;-)
Klasse... Ich wünschte, ich wär dabei ;-)
@ANCHESAJa... es lohnt sich, denn der Unterhaltungswert ist groß. :-)
Schreibst einfach wörtlich mit, dann hab ich auch meine Freude dran ;-)