Sturmwichteln
Das Orkantief Sabine zieht heute über Deutschland hinweg. So ein von den Medien angekündigtes Orkantief bringt Menschen auf die tollsten Ideen.
Heute Mittag habe ich im Internet gelesen, dass Sturmwichteln stattfindet.
Könnte ein mega Spaß werden. Man stellt Grässliches vor die Tür und schwuppdiwupp tragen die Windböen mit Orkanstärke dazu bei, dass das Hässlichste nicht auf dem Recyclinghof oder in der Restmülltonne landet, sondern je nach Windstärke häuserweit, vielleicht sogar kilometerweit davon geweht wird. Diese Idee regt die Phantasie an.
Langsam zieht Sturm auf. Die ersten Vorboten des Orkantiefs kündigen sich hier in der Region an.
Bislang war ich tiefenentspannt, bin im Haus, mir kann nichts passieren.
Der Aufruf zum Sturmwichteln reizt mich jetzt doch irgendwie, lässt mich nicht in Ruhe. Die Bahn stellt bundesweit den Fernverkehr ein und ich komme jetzt ins Grübeln, was ich hinausstellen könnte.
Beim letzten Sturm hing anschließend ein handelsüblicher Plastikbeutel von einer Gemüseabteilung irgendeines Discounters oder Supermarktes in einem der Bäume im Vorgarten. Kondome wären lustiger für die Nachbarn gewesen, dachte ich mir, als zerbröseltes Styropor, das wie ein Hauch von Schnee beim Nachbarn in der Hofeinfahrt lag. Wir hatten damals Glück, nichts Dramatisches war passiert. Kein Baum wurde entwurzelt, auch die Dachziegel hielten, nichts wurde zerstört. Kein Personenschaden entstand.
Was ist, wenn etliche Menschen nun diesem Aufruf folgen und das Sturmwichteln praktizieren?
Irgendwie kribbelt es nun doch in meinen Fingern. Ich werde hyperaktiv, werde hippelig, könnte jetzt noch auf die Schnelle irgendeinen Scheiß, sorry, Nmzgdbz vor die Tür stellen.
Für alle die nicht wissen, was die Abkürzung bedeutet: Nichtmehrzugebrauchendingsbumszeug.
Auffällig ist es natürlich, wenn ich den Nmzgdbz-Wichtel an den Straßenrand stelle, also dorthin, wo immer die Mülltonnen stehen, wenn sie abgeholt werden. Dann werde ich sichtlich zum Umweltsünder. Will ich das? Nein.
Manno! Es reizt so sehr - etwas Verbotenes zu tun. Was stell ich vor Tür? Jetzt gleich. Beinahe bricht ein bisschen Panik aus. Ich stürze in den Keller, durchwühle hastig Kisten, so als wolle ich flüchten. Ich entdecke Nippes, so ein Nmzgdbz von Verwandten, reine Dekostücke, die ich grässlich hässlich finde. Wäre eigentlich total praktisch, wenn ich alle diese Geschenke vor die Tür stellen könnte.. Draußen wird es immer windiger. Inzwischen ist es draußen stockdunkel. Ich könnte eine Menge Sturmwichtel vor die Tür stellen. Ich beherrsche mich und schließe lieber die Kellertür hinter mir zu, so als hätte ich zuvor in keiner Kiste gewühlt. Danach gehe ich wieder nach oben. Das Nmzgdbz bleibt in Keller zurück. Im Fernsehen sehe ich schon die ersten Sturmschäden. Wow. Bäume knicken wie Streichhölzer um. Welche Kraft diese Orkanböen haben. Das Orkantief passt zur allgemeinen miesen Stimmung in Deutschland. Manno! Soll ich doch noch mal in den Keller gehen. Nein. Ich setze mich in den Sessel und denke nach.
Dann entfleucht mir ein kleiner Seufzer. Eigentlich wäre das totaler Kack, wenn morgen früh ein leichtgewichtiger Nazi in meinem Vorgarten völlig benommen liegen würde, weil er heute Abend im Dunkeln einen Sturmwichtel ganz unauffällig vor die Tür stellte. Ratzfatz hat ihn Orkantief Sabine mitgenommen und durch die Lüfte gewirbelt, wie die Plakate, die er in der Hand hielt. Ich weiß dann zwar, dass er dem Aufruf gefolgt ist, etwas Grässliches vor die Tür zu stellen, aber das löst doch keine Probleme. Dann muss ich ihn aufheben, gerade biegen und ihm gut zureden.
Sturmwichteln ist doch nicht mein Ding.
Ich geh auch morgen früh nicht raus, bleib‘ lieber im Haus. Sicher ist sicher. Sollen doch die anderen Sturmwichteln. Ich nicht.
Kommentare 2
Lustig, lustig Dein Text.
Hier in Sydney sind in der letzten Nacht, bei mir gegenueber, ein paar Platten von einem Hochhaus geweht worden. Unten stand leider Leute. Hin. Naja, falsche Zeit falscher Platz. Viel Blaulicht.
Ansonsten 700 Feuerwehreinsaetze. Strassen gesperrt. Einige Metrolinien sind geflutet. 100.000 Leute ohne Strom usw. Sturm und 10 cm Regen letzte Nacht. Vor Ort ist son Sturm dann doch nicht so sehr lustig. Gar nicht.
Nichts fuer Ungut, sagt man wohl in Deutschland.
Oweia, liest sich nicht so prickelnd, lieber Aussie. Hoffentlich weiten sich die Schäden nicht noch mehr aus. Australien kommt aus der Tragik von Naturkatastrophen nicht mehr heraus,so gewinnt man immer mehr den Eindruck. In der Ulmer Region kommt nun auch das Orkantief Sabine langsam an. Mal sehen, wie schlimm die Nacht wird, wenn es so heftig draußen stürmt. Es wird hier im Landkreis mit erheblichen Windböen gerechnet. Orkantief Lothar werde ich nicht mehr vergessen, da waren wir zu Weihnachten bei den Verwandten im Saarland zu Besuch. 1999 richtete Lothar große Schäden an, galt als Jahrhundertsturm, war damals abartig heftig, als wir dann die Strecke von 330 km wieder nach Hause fuhren. Wir sahen ein Bild der Verwüstung. Herzliche Grüße nach Sydney!Corina