Zart fühlt sich der Schaum des Saftes an, der träge wie Lava aus der Kalebasse in meinen Mund geronnen ist. Ich reiche das leere Gefäß zurück über den von Neonlicht beschienenen Altar und schaue dem Schamanen kurz in die Augen. „Gar nicht so schlimm“, denke ich zunächst noch, bevor ich mich abwende und zurück zum Feuer trotte, wo mein Lager gleich dem eines New-Age-Cowboys aus Yogamatte und mehreren Decken bereitet ist. Einige Momente später ist der Saft in meinen Magen gelangt, der sich daraufhin empfindlich zusammenzieht. Ich streife mir die silberne Daunenjacke über, die ich mir mit der knallroten Skiunterwäsche als Outfit für diese Nacht zurechtgelegt habe, und lehne mich zurück. Jetzt geht’s also los.
Ayahuasca ist der Gastgeber beziehungswese die Gastgeberin dieser Nacht in Tepoztlán südlich von Mexiko-Stadt: der mysteriöse, Halluzinationen verursachende Saft, welcher aus zwei im Amazonasgebiet zu findenden Pflanzen zubereitet und von seinen Anhängern als verflüssigter weiblicher Waldgeist wahrgenommen wird. Yagé nennen die Kolumbianer diesen Urwaldgeist, wie auch William S. Burroughs, der versuchte, ihn in seinen Yage Letters (1963) zu fassen zu bekommen. Die Ureinwohner der Anden sprechen von Aya – vom Todesgeist, der ihrer Auffassung nach in der Liane Banisteriopsis caapi steckt, aus der der psychedelische Saft gewonnen wird. ‚„Waska“ ist ihr Wort für den Strick, der es dem menschlichen Geist ermögliche, den berauschten Körper zu verlassen. Zusammengenommen wird daraus: Ayahuasca. Die meisten Ayahuasca-Konsumenten, so las ich, erleben, wie der Waldgeist sie durch die Kaskaden ihres Ego ins Universum leitet.
Ich lege mich hin und schaue den Wolken zu, wie sie unter dem Mond vorbeiziehen. Abgesehen von einem leichten Flickern in meinem Körper spüre ich nichts. Einige andere, die sich ebenfalls von dem Schamanen haben verköstigen lassen, scheinen bereits zu halluzinieren. Mein Nachbar hat sich in seinem Schlafsack zu einer großen Raupe verpuppt, aus deren Innerm gedämpftes Kichern dringt. Doch da ist noch ein anderes Geräusch. Umständlich darum bemüht, den bitteren Saft in mir nicht zum Überschwappen zu bringen, richte ich mich auf. Eine Frau sitzt nah am Feuer. Im Schein der Flammen spielen sich auf ihrem großflächigen Gesicht wie auf einer Leinwand Ausdrücke größter Qualen ab. Leise wimmert sie und verzerrt ihre Mimik derart, wie ich es zuvor nur bei japanischen Nō-Theater Masken gesehen habe. Das Bild ist so faszinierend, dass ich meinen Blick nicht abwenden kann.
Neo-Hippies und Krebskranke
Jede Epoche hat ihre Drogen. Während das synthetisch hergestellte Ecstasy dem hedonistischen Zeitgeist der 1990er perfekt entsprach, kommt Ayahuasca dem heute weit verbreiteten Bedürfnis nach Selbstfindung, nach seelischem und physischem Wohlbefinden entegegen – dem Hunger nach so genannter Wellness. Ayahuasca, „die Droge der Wahl für das Zeitalter des Grünkohl-Revivals“, wie der New Yorker schrieb, hat nicht nur Mexiko-Stadt erfasst. Auch im Umland von New York City, Los Angeles, London, Tokio, Paris und Berlin treffen sich Grüppchen, um sich im Schoße von Mutter Natur auf die kosmische Reise zu begeben.
DMT, die psychoaktive Hauptsubstanz in Ayahuasca, ist ein Amin. Pur hätte es keine Wirkung auf den Menschen, weil es schnell durch ein Monoaminoxidase-Enzym im Darm abgebaut werden würde. Die Schlingpflanze Banisteriopsis caapi enthält jedoch auch potente Monoaminoxidase-Hemmer. Durch diese Kombination gelangt DMT in das menschliche Gehirn. Im Amazonasraum wird der Saft seit mehr als einem Jahrtausend zubereitet und als Medizin eingenommen.
Die Verquickung von indigenen und westlichen Weltanschauungen wurde in Mexiko von den Künstlern der Bewegungen des Estridentismus, des Surrealismus und des Muralismo schon während der 1930er Jahre postuliert; in den 1960ern floss dieser Ansatz, befördert von der Hippiegeneration, auch in den Mainstream ein. Im August 1960 war Timothy Leary, damals Professor für Psychologie an der Harvard-Universität, nach Mexiko gereist, er konsumierte dort einen Pilz, der „Mexikanischer Kahlkopf“ genannt wird. Dieser enthält den psychoaktiven Stoff Psilocybin und wird von den Zapoteken-Indios bereits seit Jahrhunderten eingenommen. Für Leary war es ein Erlebnis, das den Lauf seines Lebens verändern sollte. Später schrieb er, er habe „in den fünf Stunden nach der Einnahme dieser Pilze mehr über mein Gehirn und dessen Möglichkeiten gelernt, sowie über Psychologie im Allgemeinen, als in den vorangegangenen fünfzehn Jahren samt Studium und Forschung“.
Mara Sánchez-Renero geht als Fotografin der Frage nach, wie Naturräume die Identität von Menschen prägen. Hier sind Auszüge aus ihrer Arbeit iluikak zu sehen, einer Serie, mit der die mexikanische Künstlerin sich dem Lebensraum der indigenen Nahua-Bevölkerung nähert
Zwischen 1953 und 1973 vergab die US-Regierung Forschungsgelder in Höhe von vier Millionen US-Dollar, um 116 LSD-Studien zu mehr als 1.700 Forschungsansätzen zu finanzieren. Psychedelika wurden an Alkoholikern getestet, an Menschen mit Zwangsstörungen oder Depressionen, an autistischen Kindern, Schizophrenen, Krebspatienten im Endstadium und Strafgefangenen. Erst nachdem Richard Nixon 1970 ein neues Gesetz, den Controlled Substances Act, auf den Weg gebracht hatte, wurde die Forschung mit Psychopharmaka eingestampft und auch Learys Experimente mit LSD waren nun illegal. Aus dem hochgeachteten Wissenschaftler wurde ein Star-Guru der Hippiebewegung.
Heute nehmen die meisten Konsumenten Ayahuasca im Rahmen von kleinen Zeremonien ein. Diese werden jeweils von einer Person geführt, die sich selbst als Schamane, Ayahuasquero, Shipibo, Curandero, Vegetalista oder einfach Heiler bezeichnet. Der Zeremonienmeister stammt meist aus der Ahnenreihe von Shipibo-conibo- oder Shuar-Medizinmännern aus Peru oder aus den Gemeinden der Inga und Kamsá im kolumbianischen Amazonasgebiet. Der Saft wird aus der zerstampften Liane, wahlweise auch aus den Zweigen der Büsche Psychotria viridis, Diplopterys cabrerana oder Mimosa hostilis gewonnen und langsam köchelnd zu einem grünlich-braunen Milchschaum reduziert. Die traditionellen Rezepturen für den Saft sind von Ort zu Ort, von Medizinmann zu Medizinmann unterschiedlich. Neu hinzugekommen sind mittlerweile die Yogahuascas – Menschen, die Ayahuasca ohne grundlegende Erfahrung an Dritte verabreichen. Seit dem Boom mit dem Geschäft rund um Ayahuasca – eine Sitzung kann bis zu 80 oder gar 200 Euro kosten – machen diese Newcomer oft negative Schlagzeilen. Von Vergewaltigung bis zum versuchten Mord während der Drogrenrunden ist die Rede.
Für meinen Selbstversuch hatte ich mich mit Edgar verabredet, einem Investmentbanker Ende 30. Die Hitze des Tages wabert noch zwischen den Mauern von Mexiko-Stadt, als ich gegen 22 Uhr in seinen Sportwagen steige. „Tut mir leid, dass es so spät geworden ist“, sagt er und steuert den Wagen auf den segundo piso, die kostenpflichtige Stadtautobahn. Edgar erzählt, er habe die Verlobungsfeier seines Bruders frühzeitig verlassen, um heute Nacht an der Zeremonie teilnehmen zu können. „Die Arbeit“ mit der Pflanze sei ihm derzeit wichtiger als alles andere. „Es sind Lerneinheiten, die sie mir gibt.“ Um welche Themen es dabei gehe, frage ich. „Um das ganze Geflecht aus Gegensätzen, mit denen wir täglich zu tun haben – Macht und Unterwerfung, Empathie und Antipathie, Wahrheit und Lüge.“
Keine vierzig Minuten später haben wir die Felsformationen von Tepoztlán erreicht. Hier trifft sich die rund 30-köpfige Gruppe, mit der Edgar auch in dieser Nacht wieder seine spirituelle Reise antreten will. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Jung und Alt, konservativ und alternativ, prekär und wohlhabend. Diese Charakteristika, welche die mexikanische Gesellschaft für gewöhnlich aufs Tiefste spalten, scheinen in Ayahuasca-Nächten keine Rolle zu spielen. Am Lagerfeuer sitzen schon ein paar Frauen beieinander und rauchen, neben ihnen sind zwei Zelte aufgebaut, um die drei kleine Buben, acht, fünf und gut ein Jahr, herumwuseln. Was für ein netter Mutter-Kind-Ausflug, denke ich: Während die Mütter sich dem Rausch hingeben, schlafen die Kleinen im Zelt. Später werde ich eines Besseren belehrt – als der Achtjährige selbst zum Altar läuft, um sich seine Portion Ayahuasca zu holen.
Es strömt, blitzt und flackert
Die Renaissance der psychedelischen Forschung hat erst vor wenigen Jahren eingesetzt, als Wissenschaftler aus den USA aus Brasilien, England und Mexiko begannen, den aus dem Mexikanischen Kahlkopf synthetisierten Stoff Psilocybin zur Behandlung von Angststörungen bei Krebspatienten, Langzeitdepressiven sowie Drogenabhängigen einzusetzen. Laut einer Forschergruppe des Londoner Imperial College versetzt die Substanz die Probanden in einen kindähnlichen Zustand. Die Welt wirke dadurch ganz ungefiltert auf den Menschen, so erklärt es der Neurowissenschaftler Robin Carhart-Harris. Die starken, immer neuen Eindrücke lösen demnach extrem wechselhafte Emotionen aus. Joan Didion beschrieb in ihrer Essay-Sammlung Stunde der Bestie (1968) die LSD-Kindergärten von San Francisco. Jedoch ist kaum bekannt, was später mit diesen Kindern geschah. Bekannt sind nur einige persönliche Erfahrungsberichte von Flashbacks, Gedächtnisschwund, Sprachstörungen, Angstzuständen – genau den Leiden, denen man mit den neuen Psilocybin-Therapien beizukommen versucht.
Doch die Erfolge eines Forscherteams der New Yorker Universität NYU versetzen Teile der US-Gesellschaft nun in regelrechte Euphorie. Dort haben Tony Bossis und Stephen Ross mit den aus Pilzen gewonnenen Psychedelika Menschen behandelt, die schwer an Krebs erkrankt sind, und diese berichteten von einer neuen Offenheit, die sie plötzlich spürten, von einer gestiegenen Wertschätzung ihres von der Krankheit gezeichneten Äußeren, von mehr Toleranz für die Sichtweisen anderer sowie einer tiefen Dankbarkeit für ihr Leben.
Ich setze mich zu den Frauen am Feuer, sie bieten mir eine Zigarette aus selbstgezüchtetem Tabak an. „Tabak ist Teil der Zeremonie, nur organisch und ohne Zusatzstoffe muss er sein“, erklärt eine, deren Hals ein Tattoo mit kyrillischen Schriftzeichen ziert. Neben ihr sitzt Regina, eine Beamtin im Ruhestand. Sie sieht die Ayahuasca-Sessions als Gelegenheit, endlich mal etwas „für mich zu tun“. Dann kommen weitere Teilnehmer an: ein paar Männer mit geschäftsmäßig wirkenden Rollkoffern, einer gar in einem rosafarbemen Ralph-Lauren-Shirt, wie so genannte Yuppies es gern tragen, er begrüßt die Runde mit Küsschen. Jeró, ein Balletttänzer der Staatsoper, ist dabei, er spannt sogleich eine Hängematte zwischen zwei Bäumen auf. Unterdessen baut William, ein kolumbianischer Biologe und der Zeremonienmeister dieser Sitzung, seinen Altar auf. Sich selbst transformiert er mit wenigen Handgriffen vom sportlichen Typen im Joggingshirt zu einem mit Federn geschmückten Amazonas-Ritualmeister.
Einige Stunden später, als ich noch auf die Effekte meiner ersten Ayahuasca-Schlucke warte, stelle ich mich zum zweiten Mal vor Williams Altar in die Schlange. Diesmal möchte ich eine richtig große Portion haben, zuvor war es wohl nur eine harmlose Anfängerdosis gewesen. William fragt mich, ob ich mich schon übergeben oder sonst etwas gespürt hätte. Als ich den Kopf schüttele, schenkt er mir fast die doppelte Menge der vorherigen Portion ein und ich stürze den Saft herunter. Diesmal weiß mein Magen sofort, was los ist. „Leg den Kopf in den Nacken und atme durch die Nase“, weist mich William an, als er das Entsetzen in meinem Gesicht sieht. Ich lege mich auf mein Lager und spüre den Saft die Kehle hinaufsteigen. Dass wir nichts zu befürchten hätten, hatte William bei seiner einführenden Rede erklärt. Ein Jahr lang hat er mit den Ureinwohnern dieses Dorfes gelebt und ihr Wissen studiert. Er sei noch kein Medizinmann, sagt William, doch er scheint zu wissen, wie er den Menschen zu einem guten Trip verhelfen kann. Die Gefahr eines bad trip hängt wie ein Damoklesschwert über jedem Versuch mit psychoaktiven Substanzen.
Ich liege also da, mit geschlossenen Augen, und plötzlich beginnt es: Mein Atem wird zu einer Woge, die zwischen der Krone meines Kopfes und meinen Fußspitzen vor- und zurückströmt. Über mir formen sich flackernd Streben aus bunten Lichtern wie ein Raster und bilden eine sphärische Kuppel. Dann fangen sie an zu tanzen. „Sie ist es“, denke ich, „Ayahuasca, die Göttin!“ Die Streben bilden plötzlich einen Strang aus Lichtblitzen, der sich auf einen Punkt in meinem Hals richtet, wo mir zwei Jahre zuvor ein Knoten in der Schilddrüse diagnostiziert wurde. Es prickelt, ich rufe: „Mach weiter!“, und spüre, wie sie durch meinen Körper fährt, bis sie ihn komplett ausfüllt. Zierliche Frauenhände bilden sich an den Knotenpunkten des Rasters, sie neigen sich zu mir herunter, während mein Körper fast überläuft vor glühender Liebe. „Zeig mir mehr!“, rufe ich, und es bilden sich kaleidoskophafte Formationen aus Blumen und Edelsteinen. Derweil hat sich mein Geist in Form einer schwarzen Flüssigkeit erhoben und schwebt wabernd auf die Koppelstruktur zu. Wir tanzen ein wenig, die Göttin, mein Geist und ich, wenn man das so sagen kann, dann verblassen die Bilder. Ich flehe sie an, noch zu bleiben, kann aber die Konzentration nicht halten, ein tiefer Schlaf überkommt mich.
Williams Stimme weckt mich – es sei Zeit für den dritten Gang. Wie ein Schiffbrüchiger, der auf einem Felsen erwacht und noch die salzigen Küsse einer Sirene auf seinen Lippen spürt, schaue ich mich um. Ich schlüpfe aus meinem Schlafsack und stehe schwankend auf. Ob ich mich bereits erbrochen hätte, will William wieder wissen, als ich erneut vor seinem Altar stehe. „Nein, immer noch nicht“, sage ich, „aber ich habe sie gesehen.“ Er gibt mir eine weitere kleine Portion, aber ich bringe den Saft diesmal nicht herunter, will den Rest zurückgeben. „Trink!“, befiehlt der Zeremonienmeister, und so stürze ich alles herunter und reiße die Nase in die Höhe, um gegen das Würgen anzukämpfen. Ich wünsche mir, dass sie zurückkommt. Doch sie zeigt sich nicht. Etwas sagt mir, dass es Zeit ist, loszulassen – dann muss ich mich tatsächlich übergeben. Während ich zu meinem Lager zurückwanke, höre ich eine Ukulele und eine Frauenstimme, die dazu singt. Es ist die Nō-Masken-Frau, die am Feuer geweint hat.
Der Morgen danach
Am nächsten Morgen, die Sonne sendet sanft ihre Strahlen über die Wiese, blicke ich in abgekämpfte, doch glückliche Gesichter. Eine der Mütter schält ihre Kinder aus dem Zelt und kleidet sie an, fröhlich, scherzend. Im Schatten finde ich den Mann im rosa Poloshirt. Der Mittfünfziger ist ausgebildeter Musiker und nimmt seit anderthalb Jahren regelmäßig Ayahuasca. Er erzählt mir von einem Flashback-haften Erlebnis in seiner Wohnung, mit einer Platte von Brian Eno. Eine der Mitgereisten bietet mir Obst an, und ich nehme ein paar Bissen von einer Banane. Doch der Geschmack ist zu intensiv, zu mühselig das Essen und ich falle zurück in mein Kissen und schaue in den Himmel. Trotz der Erschöpfung fühle ich mich ausgefüllt von einem wonnigen, warmen Gefühl, das in den folgenden Wochen nicht mehr von mir weichen wird. Bin ich dank Ayahuasca etwa ein besserer Mensch geworden? Das wohl nicht, aber manche meiner Freunde sagen, dass meine Augen seither angeblich stärker leuchten und meine Aura sich verändert hat. Und doch kann ich nicht ganz einstimmen in dieses Frohlocken. Es bleibt ein Zweifel: War diese Reise zur vermeintlichen Erkenntnis letztlich nicht auch wieder nur ein Egotrip? Etwas wie Yoga, Meditation und Detox – eine Abkürzung zur so genannten Selbstfindung?
In dem 2011 anonym verfassten und im Internet kursierenden Ayahuasca Manifesto steht, dass die Pflanze beschlossen habe, zu uns Menschen zu sprechen, da wir ihren Lebensraum, den Amazonas, zerstören. Tatsächlich: Als Ausgleich zu dem Umstand, dass Pflanzen vor ihren Feinden nicht weglaufen können, verfügen sie über eine Biochemie, die in ihrer Komplexität über die von Tieren und Menschen hinausgeht. Pflanzen setzen ein molekulares Vokabular ein, um Gefahr zu signalisieren, Feinde zu vergiften oder abzuwehren. Pflanzen haben bis zu 3.000 Chemikalien in ihrem jeweiligen Baukasten. Sie rekrutieren Tiere, damit sie Dienste für sie ausführen, und können sie, falls nötig, mit Gift töten. Dabei ermittelt die Pflanze aus den Speichelresten, die das Tier an ihr hinterlassen hat, welche Aromen oder Bitterstoffe sie produzieren sollte, um sich selbst ungenießbar bis tödlich zu machen. So wurde aus Afrika berichtet, dass, wenn während einer Dürre Antilopen die Blätter von Akazienbäumen fessen, diese in der Lage sind, ausreichende Mengen an Toxin zu produzieren, um die Antilopen zu töten.
Die sensorischen Fähigkeiten der Pflanzenwurzeln faszinierten auch Charles Darwin. In seinem Buch The Power of Movement in Plants (1880) malt er das Bild der Pflanze als eine Art umgedrehtes Tier – mit ihren wichtigsten Sinnesorganen wie dem Gehirn unterhalb der Erdoberfläche und ihren Sexualorganen weit oberhalb. Wissenschaftler haben seitdem festgestellt, dass Pflanzen über ihre Wurzeln ihren Wachstumskurs rechtzeitig ändern können, um die Begegnung mit Hindernissen oder giftigen Substanzen zu vermeiden. Auch können Wurzeln erkennen, ob andere Wurzeln zu ihrer eigenen Art zählen oder andersartig sind. Ist Letzteres der Fall, prüfen sie, ob es genug Platz, Wasser und Licht für beide gibt oder ob sie besser in eine andere Richtung streben sollten. In diesem Sinne sind Pflanzen wahre Diplomaten, Meister des Konsenses. Es scheint an der Zeit, endlich auch ihrer Intelligenz Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Vertreibung der Menschheit von ihrem Sitz im Zentrum des Universums begann bereits mit Kopernikus. In dessen Sinne spricht Ayahuasca zu uns – wenn sie sagt, dass wir Menschen mitnichten der Nabel der Welt sind, sondern nur ein kleiner, noch ziemlich junger Teil von ihr. Diese Botschaft – nein: diese Erfahrung – habe ich auf jeden Fall aus diesem kleinen Abenteuer mitgenommen.
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