Bildlegende David Bailey war das Vorbild für Michelangelo Antonionis Film „Blow Up“. Er gilt als Ikone der sechziger Jahre. Nun hat der Fotograf in Indien eine neue Welt entdeckt
Machen Sie sich ein Bild von diesem Mann, bevor ich anfange, von ihm zu erzählen. David Baileys Welt ist eine bildliche, die mit wenigen Parolen auskommt. Stellen Sie sich also einen Helmut Schmidt vor, dessen scharfzüngige Sprache einen schweren Cockney-Akzent und dessen Angriffslust nichts Kämpferisches hat, sondern einen Sexappeal, der alles elektrifiziert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Stellen Sie sich einen Mick Jagger in den Kleidern eines psychedelischen Dandys vor, dessen Gebärden jedoch die hässlichen Spitzen der modischen Übertreibung genommen wurden.
Unser Mann, der wie ein Heckenschütze in die Welt der noch nicht swingenden frühen sechziger Jahre kam, und diese mit seinen Bildern revolutionierte, scherte sich nicht um die Mod
um die Mode, die die von ihm fotografierten birds trugen. Und schließlich stellen Sie sich das Grinsen eines Jack Nicholson vor, dessen Ausdruck aber nichts Diabolisches hat, sondern von einer stets amüsierten Neugierde getrieben wird, mit der unser Mann hinter der Kamera auf sein Gegenüber blickt, und diesen hineinzieht in die phänomenale Welt des David Bailey.Geboren ist Bailey in Londons Arbeiterviertel East End als Kind eines umtriebigen Vaters und einer sanftmütigen Mutter, die dem kleinen Mann, der es als Legastheniker in der Schule zu nichts bringt, viel Freiheiten einräumt. Mit 17 macht er mit der Kamera seiner Mutter die ersten Selbstporträts, in denen er wie Chet Baker zu posieren versucht. 1948 bekommt er ein Ticket für die Olympischen Spiele geschenkt, wo er die indischen Fußballer barfuß spielen sieht – eine Haltung, die ihn tief beeindruckt und den Startschuss für seine „Liebesaffäre mit diesem Land und seinen Leuten“ gibt.Mit 18 zieht er nach Indochina in den Krieg, wo er in der Hoffnung, nicht viel zu tun zu haben, sich als Fallschirmjäger meldet. Ein weiteres Selbstbildnis aus jener Zeit zeigt den jungen Dandy lesend auf seinem Tropenlager ausgestreckt. 1960, pünktlich zu dem Beginn des neuen Zeitalters, in dem das Wirtschaftswunder wirkt und London zum Swinging London macht, kehrt Bailey zurück. Die alte Moral, man habe sich das gute Leben hart zu erarbeiten, wird über den Haufen geworfen. Schnell entdeckt der Markt die Jugend, die auf einmal Geld hat und bereit ist, es auszugeben. Sie kaufen sich die Dinge, die unentbehrlich scheinen, um ihr neues Lebensgefühl zu zelebrieren, und so säumen immer mehr Boutiquen die Carnaby Street, in denen sich hübsche birds und coole mods ihre Sgt.-Pepper-Uniformen, ihre Lavalampen, ihre phosphorisierenden Minikleider und samtene Schnürstiefel kaufen können, bevor sie in die nahegelegenen Clubs ziehen, um eine Runde zu tanzen.Der Look, den die Jugend in diesen Jahren in Windeseile etabliert, kann nur mit Mühe von der Modeindustrie aufgegriffen werden, da sie bis dato nur Damen, Herren und Kinder kennt. Es kommt zu einem kleinen Kampf in den etablierten Modehäusern von Paris, aus dem Dior mit dem jungen Yves Saint Laurent als klarer Sieger hervorgeht. Nun wäre die Presse am Zug, doch sie hat noch kein Bildkonzept für das Gefühl dieser neuen Generation, ihre Mode und ihre Gesichter. Sie inszenieren Frauen noch immer wie starre Kleiderständer, die ein zwar schönes, aber abwesendes Gesicht ziert. Bailey wird sich später erinnern, dass die britische Vogue eine Art Hafen für ambitionierte Homosexuelle bildet. Die strengen und absolut nüchternen Frauenbilder, die ihre Ära hervorbringt, harmonieren mit dem divenhaften Look der vierziger und fünfziger Jahre, doch sie vermögen den Lebenshunger dieser neuen Generation nicht so recht einzufangen und abzubilden.Wie ein BesessenerBailey findet einen Job als Assistent eines altehrwürdigen Vogue-Fotografen. Er ist Anfang zwanzig und hübsch, jedoch ungewaschen, er ist charmant, aber mit einem frechen Maulwerk, allem voran provoziert seine Kluft aus Lederjacke, Jeans und spanischen Absatz-Stiefeln die Modeszene, auf die sich diese aber glücklicherweise dann doch einlässt. Im Gegenzug liefert Bailey die neuen Bilder. Der Aufbau neigt zu einer von Picasso geprägten Abstraktion, harte, aber lebhafte Kontraste zwischen schwarz und weiß geben ihnen eine unverkennbare Klarheit, vor allem aber bilden sie Charaktere ab, die so unmittelbar zur Kamera sprechen, dass es scheint, als träten sie jeden Moment vor den Betrachter. 1960 trifft Bailey auf seine erste Muse, Jean Shrimpton, die neben Twiggy als das Gesicht dieser Dekade in die Geschichte eingehen sollte. Er fotografiert sie wie ein Besessener, gemeinsam steigen sie in den Olymp der Jungen, Wilden und Schönen auf. Er freundet sich mit Mick Jagger an, heiratet Catherine Deneuve und fotografiert weiterhin die schönen birds, die zu ihm ins Studio geflogen kommen und ihn „anknipsten“ (wie er es später nennen sollte). Der Jingle, den sich die Neider in jenen Tagen zuraunen, lautet „David Bailey makes love Dailey“.Es ist Indien, in dem der berühmteste Modefotograf seiner Generation bald die Anonymität sucht. Das riesige Land wird das Antidot zum Leben eines Starfotografen und Rockers in London, es ist direkt und schmutzig, leuchtend schön und schwanger von Religion und Kultur. Und es sind die Farben des Subkontinents, die ihn faszinieren, das „Pink Indiens, welches“, wie Vogue-Chefredakteurin Diana Vreeland sagt, „das Marineblau Englands ist“.Bailey ist gerade mal 23, als italienische Typen in seinem Studio aufkreuzen, die ihm mit ihren ernsten Mienen und strengen Anzügen wie Mafiosis vorkommen. „Willst du einen Film machen?“, fragen sie. Er antwortet: „Was denn für einen, ein Remake von Citizen Kane?“, und lacht. Sie geben ihm zu verstehen, dass es ein Film über ihn werden soll, und beginnen ihn über seine Kleidung und sein Studio auszufragen, bis er realisiert, dass er auch seine eigene Rolle spielen soll. Das lehnt er ab, nicht zuletzt, weil er Legastheniker ist, und hört nie wieder etwas von Michelangelo Antonioni und seiner Entourage. Umso mehr wundert er sich, als derFilm Blow Up 1966 herauskommt und gespickt ist mit Anekdoten und intimen Details aus seinem Leben. Jahre später gestand sein damaliger Weggefährte, der Autor Francis Wyndham, dass er Baileys Lebensstil in einer zweihundertseitigen Synopse für Antonioni zusammengefasst hatte.„Who cares?“, sagt Bailey zur Antonioni-Affäre und auch zu vielen anderen Dingen, zu denen er von der britischen Presse befragt wird. Doch auch wenn seine krude Sprache, die im Alter keinen Deut ihrer Radikalität verloren hat, anderes vermuten lässt, ist aus Bailey kein abgehobener Starfotograf geworden, und anders als Blow Up vermuten lässt, auch kein Zyniker, sondern eher einer, der sich der Vergänglichkeit seiner eigenen Person und derer, die er fotografiert hat, schmerzlich bewusst ist. Vor ein paar Jahren haben sich neue Figuren in seinen Bilderkanon eingeschlichen – es sind menschliche Schädel, die man unter anderem in Indien in den Händen der heiligen Männer, der Sadus, sehen kann, die diese als Almosenschalen benutzen. Bailey nennt seine Schädelbilder die „ultimativen Portraits“ und arrangiert sie mit getrockneten Rosen und anderen Gegenständen. Für ein Kamerateam der BBC, das ihn in seinem Studio besucht, holt er ein paar dieser Arbeiten hervor, und ein seltsamer Abzug fällt ihm in die Hände.Die Hände waschenEr stutzt einen Augenblick, bis er realisiert, dass dieses Bild den gleichen Aufbau hat wie ein Foto, das er vor Jahren von den blutjungen John Lennon und Paul McCartney machte, auf dem der eine das Kinn auf den Scheitel des anderen stützt. „Manchmal endest du an demselben Ziel, obwohl du deinen Weg an zwei unterschiedlichen Orten begonnen hast.“Auch in den zwei Atlaten, die Baileys Dilemma von der Nicht-Abbildbarkeit Indiens eindrücklich widerlegen, finden sich etliche Souvenirs aus Baileys eigener bildnerischen Vergangenheit. Etwa bei der mit hoch gereckten Armen in eine Pose der Ergebung fallen, junge Hijra, eine indische Transsexuelle, gepaart mit dem provokativen Blick, den sie hierbei in die Kamera wirft, der an ein Bild von Jerry Hall erinnert, auf dem diese mit heruntergezogenem Silp und ebenfalls entblößten Achseln drei Dekaden zuvor eine ähnliche Haltung gegenüber dem Fotografen einnahm. Ähnlich ergeht es dem faszinierten Betrachter bei den hart kontrastierenden Schwarz-Weiß-Aufnahmen einer Brahmanen-Gruppe, die sich mit forschendem Blick der Kamera nähert: Es ist das Bild der Kray Twins, den britischen Gangstern, die Bailey kurz vor ihrer Verhaftung 1969 fotografiert hatte. Die Patina dieser beiden Bilder, der farbige Staub Indiens, der sich aus roter Erde, dem Pollen der überbordenden Blumen, den nicht haften wollenden Pigmenten der Kleider und Gebäude zusammensetzt, verkörpert dieses Buch so sinnlich, dass man sich nach dessen Lektüre die Hände waschen will.
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