Für Miriam Saage-Maaß ist ganz nah, was für die meisten Deutschen weit weg ist: hunderte Tote bei Bränden in Textilfabriken, Kinderarbeit bei der Kakaoernte, Vertreibung von Kleinbauern für neue Kaffeeplantagen. Saage-Maaß arbeitet als Menschenrechtsanwältin für das European Center for Constitutional and Human Rights. Sie erlebt täglich, wie die Verantwortung von den Fabriken in Bangladesch, Pakistan oder Sudan entlang der Lieferketten bis zu deutschen Firmen reicht – und wie die sich aus ihrer Verantwortung stehlen können, weil Gesetze fehlen.
Doch jetzt könnte sich die Rechtslage in Deutschland ändern. Die Bundesregierung erarbeitet einen „Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte“, voraussichtlich im Mai wird er vorgestellt. Er soll die „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ umsetzen, die der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen im Jahr 2011 beschlossen hat. In den Prinzipien ist etwa vorgesehen, dass Betroffene gegen Verletzungen ihrer Rechte klagen und Entschädigung verlangen können.
Bisher ist das schwierig, wie Saage-Maaß berichtet. Nachdem 260 Menschen bei einem Brand in der Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan gestorben sind, will sie nun den deutschen Kleidungshersteller Kik haftbar machen. Das Unternehmen habe die Gefahr bei Begehungen vor Ort leicht erkennen können: Fluchtwege führten ins Nichts, Fenster waren vergittert. Doch Kik hält dagegen, dass ein Zertifizierungsunternehmen bei seinen Prüfungen keine Mängel festgestellt habe.
Es ist ein beliebtes Argument der Unternehmen, das auch beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch eine Rolle spielte: Hier hatte der TÜV Rheinland nur wenige Monate vor dem Einsturz den Bau als sicher eingestuft. Jedoch ist im deutschen Recht eine Haftung für Fehlurteile von Zertifizierungsunternehmen nicht vorgesehen, und Saage-Maaß scheiterte mit ihrem Versuch, den TÜV rechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Saage-Maaß will daher, dass die deutsche Politik eine Sorgfaltspflicht einführt, deren Verletzung zur Haftung führt. Doch die UN-Leitprinzipien geben den Staaten bei der Umsetzung in nationales Recht großen Spielraum. Von Gesetzen bis zu freiwilligen Selbstverpflichtungen ist alles möglich.
Siemens im Ministerium
Wohl auch deshalb holte die Bundesregierung für die Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans alle mit ins Boot: Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Wissenschaftler und Wirtschaftsverbände durften im vergangenen Jahr auf zahlreichen Konferenzen und Expertenanhörungen ihre Positionen darstellen.
Doch nicht jeden überzeugt das aufwendige Verfahren. Aus Sicht des Grünen-Abgeordneten Uwe Kekeritz ist das bloß „Schaufensterpolitik“ mit Methode: „Die zivilgesellschaftlichen Akteure werden ein Jahr lang scheinbar ernst genommen mit ihren Forderungen nach ökologischen und menschenrechtlichen Sorgfalts- und Berichtspflichten, nach Unternehmenshaftung und gesetzlicher Verbindlichkeit, und am Ende wird es auf eines hinauslaufen: Die Wirtschaft setzt sich durch.“
Die spricht deutlich aus, was sie will. Ein Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Industrie sagt, sein Verband sei – „ebenso wie die anderen Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft“ – gegen „sanktionsbewehrte Regelungen“. „Wir setzen stattdessen auf eine verstärkte freiwillige Auseinandersetzung der Unternehmen mit diesem Thema.“ Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fürchtet bei Gesetzen „erhebliche Bürokratie“ und „hohe Kosten für die Unternehmen“.
Für Sarah Lincoln von Brot für die Welt sind das Scheinargumente. Wie gut es Unternehmen möglich sei, Menschenrechte zu achten, zeigten Firmen wie Tchibo, Vaude oder Hess Natur, die menschenrechtliche Sorgfalt in ihre Geschäftspolitik integrierten. Aus Lincolns Sicht fehlt es am politischen Willen: „Die Verhandlungen um TTIP zeigen, wie leicht es der Politik fällt, sich für Verbindlichkeit einzusetzen, wenn es um Investorenrechte der Wirtschaft geht. Aber bei Menschenrechten gibt sie sich mit bloßen Empfehlungen zufrieden.“
Für Unmut in der NGO-Szene sorgt auch die Tatsache, dass ein Siemens-Angestellter während der Erarbeitung des Aktionsplans im Außenministerium arbeitete – im Rahmen des umstrittenen Personalaustauschprogramms „Seitenwechsel“. Das Außenministerium wiegelt zwar ab: „Die Tätigkeit des Siemens-Mitarbeiters im Rahmen des Prozesses zur Erstellung des Nationalen Aktionsplans beschränkte sich auf organisatorische Zuarbeit.“ Er habe „keinen inhaltlichen Einfluss“ genommen. Menschenrechtsaktivisten sind aber empört: „Das verletzt die Waffengleichheit, denn von uns zivilgesellschaftlichen Akteuren durfte niemand täglich ins Ministerium“, meint Julia Duchrow vom Forum Menschenrechte. Außerdem werfen Kritiker Siemens vor, an Menschenrechtsverletzungen bei Staudammprojekten beteiligt zu sein. Duchrow hält den Seitenwechsel daher für unverantwortlich: „Da sehe ich ganz klar eine Interessenkollision.“
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