Abschied und Neuanfang (6)

Abschied von Mindelo Hier kommt die 6. Folge (Schluss) von Mindelo aus dem Roman "Abschied von Bissau" mit Grüssen an die dFC in der Hoffnung, für seelische Erwärmung gesorgt zu haben

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Foto: Typischer Sandweg von Mindelo aus ins Innere von São Vicente, wie ihn Joaquím und Teresa gemeinsam zur "Baía das gatas" gefahren sind. Autor: Zeca Soares

An diesem Aschermittwoch brachen Teresa und Joaquím zusammen mit einigen Freunden schon früh morgens nach der „Baía das Gatas“ auf. Sie fuhren in einem offenen Militär-Jeep, der nur mühsam auf dem Schotterweg durch die unwegsame, leicht hügelige Gesteins- und Gerölllandschaft vorankam. Den Geschwistern war bewusst, dass es vielleicht ihre letzte Fahrt zu der von Felsbrocken eingerahmten Bucht war, bevor sie ihre Ausreise antraten. Sie wollten sich ihre Heimatinsel so genau wie möglich im Gedächtnis einprägen, denn wer weiß, ob es für sie in Zukunft jemals eine Rückkehr gäbe. Während der Fahrt wehte ihnen der auf São Vicente typische starke Seewind Sandkörner ins Gesicht, vor denen sie sich schützten, in dem sie eng aneinander rückten und sich ein großes Handtuch über Kopf und Schultern hielten.

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Foto: Wikimedia Commons, "Baía das Gatas", 60 Jahre früher standen hier nur ein paar Fischerhütten

An der Bucht „Baía das Gatas“ angekommen suchten sich Teresa und Joaquím einen einsamen Platz zwischen den Felsbrocken am äußersten Ende der Bucht, abseits von den Anderen. Hier waren sie leidlich gegen den Wind geschützt und konnten ungestört über ihre Zukunft sprechen und Zärtlichkeiten austauschen. Bei einer Fischerfamilie hatten sie zuvor gegrillten Fisch für den frühen Nachmittag bestellt. Den beabsichtigten sie, mit dem aus Mindelo mitgebrachten Brot zu essen. Reis, Mais, Bohnen und Gemüse waren schon seit Langem Mangelware geworden.

„Joaquím, weißt Du jetzt, was Du später einmal machen willst,“ begann Teresa das Gespräch.

Anstatt ihr gleich zu antworten, ergriff er erstmal ihre Hände und drückte sie an seinen Mund und seine Nase. Dabei schloss er die Augen, atmete heftig und zog den Geruch ihrer Hände tief in sich hinein. Er war sich gewahr, wie lieb er sie hatte. Eine Zukunft ohne sie schien ihm schwer vorstellbar. Nach geraumer Zeit entgegnete er ihr: „Teresa, ich habe Dir schon oft gesagt, dass ich die Stelle in der Bank nur angetreten habe, weil es in São Vicente und auf den anderen Inseln keine Möglichkeit gibt, eine Farm aufzubauen, vor allen Dingen nicht in diesen Zeiten der Dürre. Seit unseren Ferien auf dem Land bei Onkel Rui habe ich meine Leidenschaft zur Landwirtschaft entdeckt. Ich sehe die Büro-Anstellung für mich nur als vorübergehende Beschäftigung. Meine ganze Liebe gilt den Pflanzen, den Tieren und der Erde, die Wachstum hervorbringt. Am liebsten hätte ich eine Farm, wie sie Onkel Rui hatte, aber mit besseren Voraussetzungen, nicht eine Farm, auf der ich jedes Jahr um die Ernte bangen muss.“

„Wenn Du mit uns nach Amerika kommst, kannst Du dort sicherlich eine Arbeit auf dem Lande finden, die Dir gefällt,“ entgegnete Teresa.

„Bestimmt, aber ich kann dort keine tropische Landwirtschaft betreiben. Außerdem gibt es dort lange Winter. Ich fühle mich wohl in südlichen Breitengraden. Zuckerrohr und tropische Früchte kann ich in den Vereinigten Staaten nicht anbauen. Für mich bieten die portugiesischen Überseeprovinzen auf dem afrikanischen Festland die idealen Bedingungen für ein zukünftiges Leben als Farmer.“

Teresas Gesichtsausdruck spiegelte eine große Traurigkeit wieder, als sie Joaquím antwortete: „Wenn Du in eine andere Überseeprovinz auswanderst, werden wir uns trennen müssen.“

„Teresa, in letzter Zeit habe ich oft über unsere Zukunft nachgedacht und mich gefragt, ob sie eine gemeinsame sein könnte. Du weißt wie ich, warum wir bis jetzt gezögert haben, uns gegenseitig ganz hinzugeben, obwohl wir beide uns das wünschen. Aber wir sind Geschwister, auch wenn wir nicht blutsverwandt sind. Was würde unsere Familie sagen, wenn wir ein gemeinsames Leben beginnen würden? Wir müssten mit denen brechen, die uns lieb haben, und müssten uns einen Ort auf der Welt suchen, wo uns niemand kennt.“

„Aber Joaquím, wir könnten jeder eine Familie aufbauen und trotzdem nahe beieinander wohnen. Wir könnten unsere Freundschaft ausnutzen, um uns in der neuen Umgebung zu stärken und Zuflucht bei dem Anderen zu suchen, wann immer es notwendig sein sollte.“

Joaquím schüttelte den Kopf und legte seinen Arm liebevoll um Teresas Schulter.

„Das wird nicht funktionieren. Wenn Du mir nahe bist, werde ich keine wirkliche Beziehung zu einer anderen Frau aufbauen können. Du siehst doch selbst, wie stark die Gefühle sind, die wir zueinander haben. Unsere Partner, aber auch wir selbst, würden darunter leiden. Du, Fernando, Dein Vater und Deine Mutter waren mir bisher meine Familie. Euch habe ich alles zu verdanken. Aber ich glaube, dass jetzt die Stunde unseres Abschieds herbeigekommen ist. Teresa, ich werde Euch und besonders Dich in Gedanken mitnehmen. Das wird mir Kraft für den Neuanfang geben. Ich wünsche mir, dass wir noch einige Fotos machen, bevor wir von hier zurück nach Mindelo fahren. Ich möchte sie mir zur Erinnerung mitnehmen.“

Teresa überfiel eine heftige Resignation. Joaquím war doch der Mann, den sie begehrte, den sie sich an ihrer Seite wünschte. Obwohl sie seine ‚Schwester‘ war, hatte sie sich, im Gegensatz zu Joaquím, bisher niemals ernsthaft damit auseinandergesetzt, dass ihre Zukunft eine getrennte sein würde. Sie begann zu weinen und warf sich in Joaquíms Arme. Er hatte Mühe, sie allmählich zu beruhigen. Schließlich erhoben sich beide und gingen gedankenversunken Hand in Hand ins Wasser.

Trotz des stetigen Windes rollten heute die Wellen in der Bucht nur langsam auf dem Strand aus. Das Meer war wie geschaffen zum Baden. Beide schwammen nebeneinander her, ließen sich nicht außer Augen und tauchten ein ums andere Mal hinunter in die warmen Fluten, um sich zu umarmen und salzige Küsse auszutauschen. Wieder zurück am Strand streckten sie sich im Sand aus. Mit halb geschlossenen Augen, die sich vor den blendenden Sonnenstrahlen schützen mussten, folgte Joaquím den Linien von Teresas schlankem, goldbraunen Körper. Auf den Härchen ihrer Beine glitzerten winzige Wassertröpfchen. Ihre Fußzehen waren übersät mit Sandkörnern. Joaquím seufzte leicht und sprach wehmütig zu sich selbst:

„Wie gut habe ich sie in den letzten Jahren kennengelernt! Ist es nicht ungerecht, dass wir uns trennen müssen? Aber wie Teresa mir schon vor langer Zeit versicherte: Meine Eltern werden mich bestimmt auf meinen zukünftigen Wegen begleiten, so wie auch meine Gedanken Teresas Leben begleiten werden.“

Die Zeit des Essens nahte. Die Freunde versammelten sich nahe der Fischerhütte. Jeder bekam einen gegrillten Goldbarsch. Das Brot, das sie bei „Meyer“ gekauft hatten, teilten sie mit der Fischerfamilie, deren tägliche Mahlzeit in diesen schweren Zeiten nur aus Fisch bestand. Vor der Rückfahrt nach Mindelo holte der Fischer seine zerkratzte Violine hervor und spielte und sang mit melancholischer Stimme die beiden Mornalieder von B. Leza: „Miss Perfumado“ und „Bejo di Sôdade“ (Kuss der Sehnsucht). Dann wurden die letzten Fotos geschossen. Als sie alle auf dem Jeep Platz genommen hatten, war die Sonne im aufkommenden Grau über dem Meer bereits rosa verschwommen. Wieder blies der Wind den Sand über die raue Landschaft und zwang die Freunde, sich so gut es ging, hinter ihren Tüchern zu verstecken. Schon von Weitem wurden vereinzelte Lichter der Stadt vor der weiten Hafenbucht und dem Monte Cara im Hintergrund sichtbar. Ein Tag ging zur Neige, den Teresa und Joaquím ihr ganzes Leben lang nicht vergessen sollten.

Noch vor dem Sommer 1947 verließ die Familie Mindelo. Joaquím war der Erste, der abreiste. Onkel Manuel hatte Bekannte in Guinea Bissau, die zusagten, Joaquím aufzunehmen und ihm eine Stelle in der Kolonialverwaltung zu verschaffen. Die Voraussetzungen, um später eine Tätigkeit in der Landwirtschaft zu finden, seien gut, vor allem, weil es nur wenige portugiesische Siedler gab und reichlich urbar zu machendes Land zur Verfügung stünde. Auch schien Guinea Bissau die Kolonie zu sein, in der der „Estado Novo“ mit seinen Unterdrückungsmechanismen am schwächsten ausgebildet war. Das hatte die Provinz wohl der Tatsache zu verdanken, dass der strategische Nutzen für das koloniale Imperium wegen der geringen Rohstoffe beschränkt war. Hier würden gute Bedingungen für tatkräftige junge Menschen herrschen, die es zu etwas im Leben bringen wollten. Die verschiedenen schwarzen Völker seien friedliebend und es gäbe bereitwillige Arbeitskräfte im Überfluss. Der einzige Nachteil sei, dass die Kolonie unter der Aggressivität seiner tropischen Infektionskrankheiten zu leiden hatte, was besonders den weißen Einwanderern zu schaffen machte. Aber mit der Zeit könnten auch sie die nötige Widerstandskraft zum Überleben entwickeln.

Die Trennung von seiner Familie war für Joaquím zugleich ein trauriger Abschied wie ein erwartungsvoller Aufbruch. Als er zusammen mit vielen anderen Auswanderern an der Reling des Schiffes stand und die Treppe hochgezogen wurde, blickte er wehmütig zur Mole hinunter. Dort winkten ihm Teresa, Fernando, Conceição, Zeca, Onkel Manuel und Tante Fátima inmitten der Menschenmenge, die der Abfahrt des Schiffes beiwohnten, zu. Zeca hatte seine Violine mitgebracht. Der Wind wehte die schwermütige Melodie der Morna: „Hora di bai, hora di dor“ über das Meer.

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Foto: Wikimedia Commons, Hafen von Mindelo, an dieser Pier nahm Joaquím Abschied von Teresa, im Hintergrund der „Monte Cara“

Schluss des Kapitels: Mindelo

LG, CE

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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