Angebliche Sternstunde im Bundestag

Sahra Wagenknecht Kommentar auf Aram Ockerts Beitrag noch einmal als eigener Beitrag

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Lieber Aram,

wenn dieses eine Sternstunde im Bundestag war, dann heiße ich Emil.

Leider habe ich selten die Möglichkeit, in den Bundestag hineinzuhören. Dafür hier an dieser Stelle herzlichen Dank.

Aber diese Rede als Sternstunde zu bezeichnen hieße wohl doch, wir hätten im BT nur eine Hammelherde sitzen, die dem Geschwafel von Merkel und anderen BT-Partei-Oberen hinterherhechelt. Wenn das die Elite einer 80 Mio-Nation ist, haben wir als ernstzunehmende Nation längst abgedankt.

Was Frau Wagenknecht anbetrifft, ist sie sachlich auf alle wesentlichen Schwachpunkte der Regierungen seit der Wiedervereinigung eingegangen. Punkte, die auch immer wieder hier in der dFC diskutiert und kritisiert werden. Aber was man Frau Wagenknecht, Gysi, Oskar und anderen immer wieder vorwerfen muss, ist, dass sie, und da war die Rede im BT ein anschauliches Beispiel, wie auch die Linke insgesamt, der 10%ige Hofnarr des Bundestages ist. Alle anderen Parteien hören sich die Kritik an der deutschen BT-Parteien-Diktatur, wozu ja auch die Linke zählt, schweigend, zum Teil mit versteinertem Gesicht (Merkel) an und gehen dann zur Tagesordnung über den Fortlauf der GroKo-Politik über. Was wir von der Linken brauchen, und da sehe ich mit Staunen auf der website von Frau Wagenknecht einen Buchtitel: "Freiheit statt Kapitalismus", ist die Konkretisierung des Einstiegs in Freiheit, im Politischen, über die BT-Parteien-Diktatur hinaus, und im Wirtschaftlichen, über den Kapitalismus hinaus. Wenigstens sollten im Bundestag doch schon einmal der Einstieg vom Ausstieg aus dem Kapitalismus klar gemacht werden. Oder hat die Linke da Angst vor der eigenen Courage und meint, sie könnte Wähler erschrecken und damit fette BT-Mandate verlieren? Dieser Einstieg vom Ausstieg ist dem Michel klar vor Augen zu führen. Der Bundestag muss in dieser Hinsicht sichtbar Schritt für Schritt "angezündet" werden mit den Ideen für die Zukunft. Nur Renten sichern, Arme unterstützen, Reiche im Zaum halten ist Rhetorik, hilft aber nicht weiter. Ist lediglich Aufwasch von "Sozialer Marktwirtschaft" der 50er und 60er Jahre, die wirklich niemals sozial sein kann, per se.

Ich habe einmal überschlagen, dass die Linke pro Jahr glatt 50 Mio Euro locker machen könnte, um diesen Einstieg vom Ausstieg aus dem Kapitalismus bildhaft der gesamten Nation mit eigener Knete veranschaulichen könnte:

1. Im Politischen

Warum eröffnet die Linke nicht eine unabhängige Website, wo alle wichtigen Gesetzesvorhaben im BT von allen Deutschen diskutiert werden können und auch abgestimmt werden kann über Alternativen, so dass der Bürger selbst mit in den BT hineingenommen wird. Auch wenn solche Voten erst einmal symbolisch sind, so können sie doch dazu führen, dass sich der interessierte Bürger mehrheitlich äußert und dem BT sowie der Regierung klipp und klar sagt, was seine Meinung ist. Dazu braucht Frau Wagenknecht nur zwei oder drei ihrer Zuarbeiter beschäftigen, um so ein öffentliches "Bürgerparlament" auf die Beine zu stellen, kein "Linken-Verein" sondern ein allgemeines Bürger-Forum. Darüber hinaus könnte die Linke, wenn sie denn links und tatsächlich freiheitlich ist, bei der nächsten BT-Wahl in allen Wahlkreisen von der Bevölkerung mehrheitlich ausgewählte Unabhängige, Nicht-Parteimitglieder, mit unterstützen. Auf diese Weise bekämen wir endlich außer Partei-Seilschaften auch die freiheitliche Bürgerschaft ins Parlament.

2. Im Wirtschaftlichen

Ich hätte mir von Frau Wagenknecht in Bezug auf die Wirtschaft endlich einmal die Forderung nach einem staatlichen Fonds für den Einstieg in nachhaltige Solidarwirtschaft (keine sozialistische Kommandowirtschaft) gewünscht. Wissend, dass Solidarwirtschaft für den Kapitalismus Teufelswerk ist, könnte die Linke ihre öffentlichen Parteizuschüsse (15 Mio Euro/Jahr), ihre 50 Mio Euro jährlich für die Rosa Luxemburg Stiftung und alle über 50.000 Euro-Gehälter im Jahr hinaus gezahlten Einkommen ihrer Oberen für einen ersten Kapitalstock eines Solidar-Wirtschafts-Fonds einzahlen. Damit könnte man eine erste internationale Friedensuniversität finanzieren, eine interethnische berufliche Ausbildungsstätte in der Sahelzone (woher die meisten Flüchtlinge kommen), einen ersten Technologie-Fonds und last not least 10 Mio Euro jährlich für eine nachhaltige Solidar-Ökonomie in einer ausgewählten deutschen strukturschwachen Region.

Dieses könnte die Linke mit eigenen Geldern locker anschmeißen, wobei Oskar sicher 2 Mio Euro aus eigener Tasche zuschießen könnte. Dann würde auch der Michel bildhaft sehen, wohin die Fahrt aus dem Kapitalismus hin zur Freiheit gehen könnte.

Nur Kritik hat allenfalls Hofnarren-Funktion. Gefragt sind konkrete Taten des Ausstiegs aus dem Kapitalismus. Bekommen wir diese antikapitalistischen Taten nicht auf die Reihe, ist an einen Abschied aus dem Kapitalismus nicht zu denken.

Wunsch an die Linke (wird wohl immer ein frommer Wunsch bleiben):

Mit guten antikapitalistischen Taten vorangehen und selbst praktische Solidarität mit den Bedürftigen der Nation zeigen.

Solange das nicht der Fall ist, sagen mir sogenannte Linke-"Sternstunden" im Bundestag überhaupt nichts.

LG, CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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