Auf der Flucht (1)

Klagelied Droht Humanismus im 21ten Jahrhundert der Todesstoß? (Sprechgesang in fünf Versen mit Refrain; Bass und Trommel begleiten) Wegen Länge in zwei Abschnitten eingestellt

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Eingebetteter MedieninhaltFoto: Wikimedia Commons, Flüchtlings-Camp in Kimbumba, Ost-Zaire, nach dem Genozid in Ruanda, 1994

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Auf der Flucht

(Refrain und Verse mit unterschiedlichen Stimmen, Bass- und Trommelspiel zu Beginn und Ende des Sprechgesangs sowie zwischen den Versen)

Erster Vers

(Flucht aus Bürgerkrieg)

Wo ist der Bruder, die Schwester, die helfende Hand?

Hat Gott gewollt, dass wir irren im fremden Land?

Sind wir Abfall, wohlfeiler Fraß fürs nimmersatte Tier,

das sich berauscht an unsrem Fleisch in ungestillter Gier?

Wer kann das wollen, Schicksal, Zufall oder Gott,

dass unsre Wanderung endet auf dem Schafott?

Brüder, Schwestern, wo seid Ihr denn hin?

Mit Eurer Hilfe hätte Zukunft doch wieder Sinn.

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Schlächter kommen in todbringenden Horden.

Hunde bellen am frühen Morgen.

Erste Schüsse, erste Schreie, erstes Morden.

Wir wissen, Bürgerkrieg ist nicht vorüber,

grausamer Krieg von Brüdern gegen Brüder.

In wessen Namen nur?

Im Namen der Demokratie, gegen Diktatur,

geschürt von weißen Mannes habsücht‘ger Natur?

Rasch weg von hier! Nur fort!

Heimat ist geworden ein toter Ort.

Männer, Frauen, Kinder in Lachen von Blut,

ringsherum nichts als vernichtende Glut.

Stürmt hinaus aus brennenden Hütten!

Ladet die Kinder auf Eure Rücken!

Lasst uns der Hölle entrinnen!

Wird uns die Flucht gelingen?

Hinein in schützenden Wald,

die rettende Grenze kommt bald!

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Zweiter Vers

(Im Flüchtlingslager)

Wo ist der Bruder, die Schwester, die helfende Hand?

Hat Gott gewollt, dass wir irren im fremden Land?

Sind wir Abfall, wohlfeiler Fraß fürs nimmersatte Tier,

das sich berauscht an unsrem Fleisch in ungestillter Gier?

Wer kann das wollen, Schicksal, Zufall oder Gott,

dass unsre Wanderung endet auf dem Schafott?

Brüder, Schwestern, wo seid Ihr denn hin?

Mit Eurer Hilfe hätte Zukunft doch wieder Sinn.

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Endlich im Lager, endlich in Sicherheit,

erschöpft, hungrig, mit entblößtem Leib!

Wie viele sind auf der Strecke geblieben?

Da, wo sie jetzt liegen,

gibt es kein Grab, keinen Tag,

nur Nacht, nie endende Nacht.

Der Toten Schicksal lässt uns nicht rasten,

wird stets unsere Zukunft düster belasten.

Doch jetzt kein Gedanke dran mehr.

Ein Unterschlupf muss her:

aus Ästen, Blättern, Plastik, und Karton.

Für uns gibt’s kein Haus aus Stein und Beton.

Das gibt’s nur für Helfer und Helferinnen,

reichlich belohnt und mit manch gutem Willen,

von weither kommend aus behüteten Villen.

Sie werden geködert von den Herrschern der Welt,

um uns am Leben zu halten unterm dürftigen Zelt,

mit Wasser, Nahrung und Arznei‘n.

Weltgewissen muss beruhigt sein.

„Heimatlose, lasst Euch sagen:

Es gibt kein Grund für wehe Klagen!

Seid froh, dass Ihr lebt, hört auf zu fragen!“

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Dritter Vers

(Gemeinsames Heer aus Klima-, Wirtschafts- und Bürgerkriegsflüchtlingen)

Wo ist der Bruder, die Schwester, die helfende Hand?

Hat Gott gewollt, dass wir irren im fremden Land?

Sind wir Abfall, wohlfeiler Fraß fürs nimmersatte Tier,

das sich berauscht an unsrem Fleisch in ungestillter Gier?

Wer kann das wollen, Schicksal, Zufall oder Gott,

dass unsre Wanderung endet auf dem Schafott?

Brüder, Schwestern, wo seid Ihr denn hin?

Mit Eurer Hilfe hätte Zukunft doch wieder Sinn.

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Wie viele Jahre warten auf Regen?

Da hilft kein Beten, vergesst Gottes Segen!

Trockene Erde bricht in krustige Scherben.

Lehmige Brunnen liegen im Sterben.

Tierskelette zeugen von verlorener Wonne,

verdorrte Bäume trotzen unbarmherziger Sonne.

Skorpione, Insekten, Schlangen,

selbst sie sind längst von uns gegangen.

Brackiges Wasser löscht kein durstiges Verlangen.

Wurzelsaft verdorrender Büsche ist letzte Speise,

bevor wir rüsten zur Vertriebenen-Reise.

Wir zieh‘n nicht freiwillig aus Heimat-Wärme!

Seht nur, wer kommt dort aus der Ferne?

Es sind Sklavenarbeiter fremder Konzerne.

Hungerlöhne reichen beileib‘ nicht zum Leben,

nur Flucht öffnet Weg zu erneutem Streben.

Lasst uns gemeinsam gen Norden wandern, zum rettenden Meer!

Jenseits wartet gelobtes Land mit Nahrung und vielem mehr.

Schaut, es kommen noch andre von überall her,

die Kriegen entflieh’n - sie können nicht mehr!

Wir schwellen an zum Millionenheer,

wir überwinden abwehrendes Mittelmeer.

Die Flucht soll dort enden, woher unser Unglück kam:

zum Ursprung von Unrecht, von Elend, von Gram.

Auf zum abendländischen Norden!

Reiche dürfen nicht länger morden!

Sie müssen helfen, müssen teilen,

müssen unsre klaffenden Wunden heilen.

Wir hoffen, dass sie wahre Brüder und Schwestern sind!?

Stürzen wir auf bereite Boote geschwind,

nutzen ruhige Wellen und Sommerwind!

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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