Die Liebschaften des Herrn Botschafter (2)

Anden-Saga Einsichten in die verantwortungsvolle Tätigkeit von Staatsdienern im Auswärtigen Dienst

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Bitte an die Redaktion: Könnt Ihr mir ein schönes Foto von Puerto Lopez, Ecuador, oder den Saraguro-Indianern in Ecuador reinkopieren. Bringe das aus der Ferne technisch nicht über die Runden. Ihr habt mir auch im Falle "Bocas, Maisonntag in Panama" lieb geholfen. Dafür nochmals Dank.

Die Liebschaften des Herrn Botschafter (Fortsetzung 1)

„Ich komme mit allen gut zurecht. Mir gegenüber sind sie sehr zuvorkommend.“

„Von Rubén kann ich mir das vorstellen. Schließlich ist er Dein ‚novio‘. Bei anderer Gelegenheit musst Du mir erzählen, wie Ihr Euch kennengelernt habt. Wie aber steht es mit Patricia?“ wollte Herr Botschafter nicht ohne Hintergedanken wissen.

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Ein Konflikt mit seiner Köchin und Geliebten musste unbedingt vermieden werden. Er wusste, dass Patricia wie eine Raubkatze reagieren würde und Skandale in Liebesdingen wäre das Letzte, was er gebrauchen könnte. Aber mindestens ebenso glich sein Liebesunterfangen Rubén gegenüber einem schieren Drahtseilakt.

Der Status eines „novios“ kann in den Andenländern sibirische Dimensionen annehmen. Es kann sich dabei um einen harmlosen Flirt zwischen Jugendlichen (ich schätze einmal eine Dimension von Moskau bis zum Ural) handeln, den selbst gestrenge Eltern, inklusive neugierige Pfaffen im Beichtstuhl, dulden. Es kann sich um den in europäischen Breiten bekannten Verlobtenstatus handeln (Dimension von Moskau bis Novosibirsk). Es kann sich aber auch um den Besitzstatus eines Machos handeln, der sein Anrecht auf sexuelle Ausschließlichkeit wie ein Hahn auf dem Hühnerhof verteidigt (Dimension von Moskau bis Wladiwostok). Herr Botschafter war sich bewusst, dass Letzteres auf Rubéns Verhältnis zu Yolanda zutraf. Aber gerade diese Tatsache beflügelte ihn umso mehr, ließ seine Adern anschwellen und setzte sein ansonsten logisches Denkvermögen mühelos außer Kraft. Er meinte, trotz seines Alters würde seine wiedergewonnene Virilität und Verführungskunst einen noch so schwierigen Drahtseilakt erfolgreich überstehen.

Rubén war stolzer Angehöriger des Saraguro-Volkes in der südlichen Provinz Loja an der peruanischen Grenze. Dieses Volk wurde nach Aussagen von Historikern in der zweiten Hälfte des 15ten Jahrhunderts, während der Expansion des Inkareiches von Cuzco aus bis nach Ecuador, umgesiedelt. Die Nationenbildung des Inkareiches, die auf Pachacútec (1410 bis 1471) zurückging, bediente sich der loyalen Dienste von unterworfenen Völkern, um neu eroberte Gebiete und deren Völker zu pazifizieren. So wurden Rubéns Vorfahren aus dem Süden Perus in der Provinz Loja sesshaft.

((Über das Inkareich und die präinkaische Epoche wird im Laufe der Anden-Saga noch zu erzählen sein.))

Das bisher aufgebaute Image des Señor Embajador in Quito war das eines eleganten Bonvivant aber auch eines geschickten Verhandlungsführers, wenn es um Anbahnung von Geschäften brasilianischer Firmen im Ausland ging. Unter seinen Botschafterkollegen hatte er sich wegen seiner untadligen äußeren Erscheinung, seiner ausgeprägten Lebenslust und Verbindlichkeit den Namen eines rundum angenehmen und geschätzten Kollegen gemacht. Alkoholiker, Schürzenjäger, Cocktailversessene und weniger anziehende, aber oft anzutreffende, Persönlichkeiten mit beschränktem Intelligenzquotienten in der Diplomatengemeinde liebten die amüsanten Abende in der Residenz des brasilianischen Botschafters über alles und wurden sich dort erst recht der verantwortlichen Mission im Auftrag ihrer Völker bewusst.

Einschränkend muss jedoch angemerkt werden, dass sich weibliche Mitglieder des Diplomatenstandes weniger von den abendlichen Gesellschaften in der brasilianischen Residenz anlocken ließen. Sie übten ihre berufliche Tätigkeit gemeinhin auf zwei unterschiedliche Weisen aus, die mit dem männlichen Berufstreiben weniger kompatibel waren. Die Einen waren die ehrgeizigen, ambitionierten, detail- und verantwortungsverliebten Berufskolleginnen, die meinten, den männlichen möglichst ihre Überlegenheit oder mindestens Gleichwertigkeit beweisen zu müssen. Oft waren sie geschieden oder ledig, da der aufreibende Beruf und das Karrierebewusstsein eine Partnerschaft enorm erschwert. Herr T. wusste jedoch aus vertraulichen, glaubhaften Quellen, dass diese seine Berufskolleginnen keineswegs die Unschuld vom Lande repräsentierten, wie genüsslich unter seinesgleichen kolportiert wurde. Die zweite Kategorie von Kolleginnen war diskret, verschwiegen, emsig bei der Arbeit und in ihrem äußeren Erscheinungsbild unauffällig und dem einer ‚Grauen Maus‘ durchaus ähnlich. Botschafter T war es eigentlich egal, wie die weiblichen Teilnehmer der Diplomatengemeinde seine diplomatischen Anstrengungen bewerteten. Für ihn lag die ‚Andere, Verführerische Hälfte des Himmels‘ in der außerhalb des Diplomatenstandes befindlichen menschlichen Sphäre.

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Nach kurzem Überlegen antwortete Yolanda: „Patricia ist wie eine Mutter zu mir. Sie kümmert sich um mich und auch um Rubén und verwöhnt uns oft mit Essen, das bei den Empfängen übrig bleibt.“

Diese Antwort gefiel Herrn T. außerordentlich, zeigte sie ihm doch, welche Strategie auch er gegenüber Yolanda einschlagen müsste, um ihr sozusagen unverdächtig näherzukommen: Seine Beziehung zu Yolanda müsste ebenfalls aus der Sorge um das Glück des jungen Pärchens aufgebaut werden.

Während der Unterhaltung beim Frühstück hatte Herr Botschafter ausreichend Gelegenheit, Yolandas verlockende Erscheinung aus aller Nähe zu begutachten. Welch ein Genuss für einen allmählich verblühenden Don Juan! Yolanda war Produkt einer Mischung aus einstmals grobschlächtigen spanischen Einwanderern, die entweder dubiose Abenteurergestalten waren, oder aber schreckenverbreitende Mönche, mit Bibel und ‚chicote‘ (Peitsche) fuchtelnd, im Auftrage der spanischen Krone und des Papstes, und aus örtlich ansässigen indigenen Völkern, im Falle Manabís den überwiegend feingliedrigen Cancebies, Apechineques, Machalillas und anderen.

Yolanda wurde durch das dezente Herrenparfum und das Odeur der Rasierseife des Botschafters in einen verwirrenden Bann gezogen. Ihre wohlgeformten, jugendlich straffen Brüste hoben und senkten sich unter ihrer engen Bluse im Takt ihres Atems, was Herrn Ts. geübtem Blick nicht verborgen blieb. Er konnte nicht vermeiden, Vergleiche mit Patricia anzustellen, deren reifer Körper ihm in allen Einzelheiten lieb und unwiderstehlich geworden war. Yolanda, im Gegensatz zu Patricia, die als Farbige ihre Wurzeln in der Provinz Esmeralda hatte, besaß die typische helle, gelbbraune Hautfarbe der Frauen von Manabí, die auch Herrn T so wohlbekannt vom Strand im heimischen Ipanema in Rio war. Er malte sich bereits ihre Silhouette auf einem makellosen Strand aus. Ihre sanften und doch energischen Gesichtszüge und die bei direktem Austausch unbefangen blitzenden, braungrünen Augen, die eine genetische Hinterlassenschaft aus der spanischen Estremadura-Provinz andeuteten, waren imstande, selbst dröge Naturen zu gesteigerter Lebensfreude zu erwecken.

Herr Botschafter wollte die sichtliche Anspannung seiner jungen Angestellten und auch seiner eigenen nicht weiter auf die Folter spannen und legte seine rechte Hand väterlich auf Yolandas linke. Doch diese Bewegung verursachte genau das Gegenteil der Absicht auf Abkühlung der Sinne. Auch Yolanda wurde der Erregung des Herrn T. gewahr. Beide befanden sich mit einem Male in einer ersten verwirrenden und erwartungsvollen Berührung. Doch waren sie über deren Bedeutung unschlüssig, zumindest was Yolanda anbetraf. Verlegen zog sie ihre Hand zurück und griff zur Gabel, um mit dem Essen fortzufahren und sich aus der, wie sie meinte, unschicklichen Situation zu befreien.

„Yolanda, wann immer Du Probleme hast, kannst Du Dich bei mir aussprechen. Am besten, Du kommst immer gleich zu mir, wenn es irgendwelche Probleme gibt. Wir werden gemeinsam sehen, was zu tun ist.“

Der Botschafter bekam mit einem Mal eine belegte Stimme und fand es an der Zeit, sich ebenfalls aus der für ihn ungewohnten Lage zu lösen. Was zum Teufel ging mit ihm vor? Seit Beginn der Beziehung mit Patricia hatte er sich nicht mehr in der Situation eines jungen, ungestümen Liebhabers befunden. Er hatte jetzt keine Zeit, sich die Anbahnung der Liebschaft mit Patricia abermals ins Gedächtnis zu rufen, denn die Schwere seiner Verantwortung in der Botschaft erforderte den ganzen Mann. Er erhob sich abrupt vom Tisch. Es war als müsse er sich schütteln, um seiner Emotionen Herr zu werden. Aber schon Sekunden später meinte er, ihm wüchsen Flügel des Aufbruchs in seinem eingefahrenen Tagesablauf.

„Yolanda, Freitagabend werden wir sechs Gäste haben. Das Abendessen wird informell sein und etwa bis gegen Mitternacht dauern. Bereits gestern habe ich mit Patricia darüber gesprochen, was wir essen werden. Du wirst bedienen. Es kann spät werden und eventuell bis Mitternacht dauern, bevor Du zu Deinem ‚novio‘ zurück kannst. Lass Dir alles von Patricia zeigen. Morgen früh sehen wir zusammen, welche Kleider Du für mich vorbereiten wirst.“

Mit diesen Worten verabschiedete sich Herr T. aus der Küche und eilte seinen Pflichten entgegen. Edgar hatte den Mercedes bereits aus der Garage und in den Vorgarten gerollt. An der rechten Hinterseite des Wagens wartete er diensteifrig darauf, dem Herrn Botschafter João T. die Tür zu öffnen.

Am frühen Vormittag des nächsten Tages fuhr Patricia mit Edgar ins Stadtzentrum, um die nötigen Einkäufe für das Essen zu besorgen. Derweil begaben sich Herr T. und Yolanda in den ‚master-bedroom‘ (Hauptschlafzimmers). Dieser besaß ein großzügiges Badezimmer mit Dusche und Jacuzzi sowie ein angeschlossenes ‚closet‘ (Kleiderkammer). Dieses Schlafzimmer im ersten Stock rühmte sich außerdem einer Terrasse mit Frühstückstisch und Aussicht auf den weitläufigen, parkartigen Garten.

Bevor Herr T. und Yolanda zum 1. Stock hinaufstiegen, ließ er im kleinen Salon, es gab auch einen großen mit Kamin und angrenzendem Speisesalon, die Kärtchen mit den Namen der Gäste für den morgigen Abend zurück. Seine Sekretärin hatte die Namen in schöner Schnörkelschrift eingetragen. Unter ihnen befanden sich Frauennamen von zwei Journalistinnen, einer deutschen und einer ecuadorianischen, der Name eines Repräsentanten der brasilianischen Baufirma Odebrecht, eines Repräsentanten des deutschen Unternehmens Siemens sowie zwei Repräsentanten zweier ecuadorianischer Firmen, eine aus Guyaquil, die andere aus Quito.

„Yolanda, schlag Du mir vor, was ich morgen Abend anziehen soll. Du weißt, es wird ein informelles Essen, bei dem wir mit Geschäftsleuten und zwei Journalistinnen einen angenehmen Abend verbringen wollen. Es wird alles ungezwungen vor sich gehen. Ich brauche weder Anzug noch Krawatte, aber eine leichte Strickjacke. Selbst wenn wir nahe am Kamin sitzen werden, wird eine Jacke guttun.“

Wie beim gestrigen Frühstück fühlte Yolanda eine Gefühlsverwirrung heraufziehen. Wieder wurde sie vom Herrenparfum und der körperlichen Ausstrahlung des Botschafters gefangen genommen. Ihrem ‚novio‘ hatte sie nichts von ihrem Frühstückserlebnis mit Herrn T. erzählt. Rubén hätte sicherlich ein ordentliches Theater gemacht. Sie kannte seine Eifersucht, zu der bisher in ihrer Beziehung nicht der geringste Anlass bestand, zur Genüge: Jedes Mal, wenn sie gemeinsam ausgingen, passierte es, dass sie von Männern angestarrt wurde, was Rubén auf die Palme bringen konnte. Manchmal ging das soweit, dass er Yolanda beschuldigte, sie würde die Männer absichtlich mit ihren Blicken herausfordern. Sie nahm sich vor, sich vor beiden, Rubén und Herrn Botschafter in Acht zu nehmen. Keiner sollte wissen, wie sie ihre Gefühle Dritten gegenüber verteilte und auslebte. Das hatte ihr ihre erfahrene Mutter als wichtige Regel im Umgang mit Männern mitgegeben. Auch sollte sie jede Form von Skandalen vermeiden. Wenn sie sich zu einem Manne hingezogen fühlte, sollte sie das ruhig mit allen Sinnen genießen, jedoch vermeiden, jemals ganz in den Fängen des männlichen Geschlechts die eigene Unabhängigkeit zu verlieren.

Andererseits hatte Yolanda auch schon ihre eigenen Vorstellungen entwickelt, wie sie sich gegenüber Männern zu verhalten hätte. Im Haushalt des Obersten bei den ‚Fuerzas Armadas‘ in Loja hatte nicht nur Rubén, der damals dort als Gärtner beschäftigt war, ihr erfolgreich Avancen gemacht, nein, auch der sonst so gestrenge und auf Schritt und Tritt von seiner Gattin verfolgte Oberst, hatte ihr nachgestellt, als sei sie eine läufige Hündin. Die Stellung dort hatte sie der Vermittlung ihrer Mutter zu verdanken gehabt, die den Herrn Oberst seit dem Grenzkonflikt mit Peru im Frühjahr 1995 ‚von Geschäfts wegen‘ kannte, gerade als sie zwei Jahre alt war und ihre Großmutter „mamita“ nannte.

((Der Grenzkonklikt mit Peru wird weiter unten wieder aufgenommen))

Yolanda musste immer wieder belustigt an ihre Kinderzeit im Heimatort Puerto Lopez an der Pazifikküste zurückdenken, wo sie mit ihren Freundinnen den Fischern und dem Spiel der streunenden Hunden am Strand zugesehen hatten. Schon ihre Großmutter, in deren liebender Obhut sie aufwuchs, meinte immer wieder, wenn sie gemeinsam auf der Hausterrasse des Nachmittags auf den Strand blickten: „Yolanda, pass auf Dich auf! Männer sind nicht besser als die Hunde, die Du dort am Wasser siehst.“

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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