Die Liebschaften des Herrn Botschafter (4)

Anden-Saga Die kleine Abendgesellschaft findet sich in der Residenz des brasilianischen Botschafters am Freitagabend in Quito ein, fünf Tage nach dem Internationalen Frauentag 2012

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Vorbemerkung: Ich möchte dem geneigten Leser dieser vierten Folge der Anden-Saga zweierlei zumuten:

Die Folge wird bereits zu Beginn des Abendessens in der Residenz des brasilianischen Botschafters in Quito abrupt abgebrochen, da ihr/ihm schwerlich die nötige Konzentration bei zu langem Text zuzumuten ist. Schliesslich sind wir mehrheitlich schwer arbeidende Arbeitnehmer, die beim Lesen am Computer zusammenbrechen könnten. Auf dieses Risiko will ich mich nicht einlassen. Ich kann aber guten Gewissens versprechen, dass noch viele, viele kleine Folgen folgen werden, die physisch durchaus zu bewältigen sein werden.

Zum Anderen wird die Entwicklung der Gelüste des Botschafters ein ums andere Mal unterbrochen werden müssen, da auch weniger wichtige Dinge im Raum stehen, wie Land, Leute und Politik. Der Autor ist sich der Verantwortung durchaus bewusst, die Leserin und den Leser durch Sekundäres zu langweilen und möchte sich an dieser Stelle schon einmal dafür entschuldigen.

Nun aber schnell zum Empfang in der Residenz:

Die Liebschaften des Herrn Botschafter (4)

Die eingeladenen Gäste hatten sich gegen 8 Uhr abends nacheinander in der Residenz des brasilianischen Botschafters in Quito eingefunden. Zuerst waren die beiden Journalistinnen Lucía Reyes und Clara Hansen in einem Taxi eingetroffen. Sie hatten sich für den Taxitransport entschlossen, da beide nach vorhersehbarem Alkoholgenuss kein Risiko bei der Heimfahrt eingehen wollten.

Lucía kannte Herrn T. von einigen kulturellen Veranstaltungen der Botschaft her, die sie für ihr Magazin kommentierte. Der Botschafter schätzte Lucía als Journalistin und liebenswürdige, intelligente Gesprächspartnerin sehr und hatte ihr versprochen, sie und ihre deutsche Kollegin zu einem Empfang einzuladen, bei dem auch Vertreter einiger Unternehmen anwesend sein würden, die über die wirtschaftliche Situation in Ecuador gut Bescheid wüssten. Freilich verband er mit dem Empfang im engen Kreis auch geschäftliche und private Absichten, wie er es in seinem langen Berufsleben immer gehalten hatte.

Einmal liebte er Abende bei gutem Essen und Trinken in interessanter Gesellschaft, vor allem, wenn auch das weibliche Geschlecht angemessen vertreten wäre. Dann gab es da ein delikates diplomatisches und wirtschaftliches Problem zwischen Brasilien und Ecuador zu lösen, mit dem er und auch sein Vorgänger im Amt seit Jahr und Tag beschäftigt waren. Dieser Empfang könnte ein kleines Stückchen beitragen, Ideen über die Entschärfung diplomatischer Verprellungen mit Ecuador zu erörtern. Das bekannte und größte brasilianische Bauunternehmen, Odebrecht, war im Oktober 2008 des Landes verwiesen worden. Das von Odebrecht gebaute Wasserkraftwerk San Francisco wies nach einem Jahr Übergabe Schäden in Millionenhöhe auf, und die Firma sollte 250 Millionen US$ Strafgeld zahlen. Außerdem wurden sämtliche Verträge zwischen der Regierung von Ecuador und Odebrecht über Bauvorhaben zur Wasserenergiegewinnung gekündigt. Und letztendlich war es Yolanda, die ihm den Kopf völlig zu verdrehen drohte. Allein ihretwegen war der Empfang nicht nur eine ‚diplomatische Angelegenheit‘, sondern auch ein prickelndes ‚Abenteuer‘.

Was Clara anbetraf, so hatte sie sich nach einer Woche Quito einigermaßen an die Höhenluft der Stadt gewöhnt. Das gelang ihr vor allem dank der regelmäßigen Einnahme von „mate de coca“. Dieser Tee auf Basis getrockneter Cocablätter sollte ihr auf ihrer gesamten Andenreise noch viele gute Dienste leisten, vor allem in den Hochanden, um Kopfschmerzen bei dünner Luft und auch Magenproblemen vorzubeugen. Die Begrüßung zwischen ihr und Señor T. fiel zur Zufriedenheit beider aus, was auch darauf zurückzuführen war, dass sie sich in ihrem einnehmenden Äußeren ähnelten.

„Señora Hansen, ich heiße Sie herzlich in unserer Botschafter-Residenz willkommen! Sie werden heute Abend auch einen Landsmann kennenlernen, der schon lange in Ecuador lebt und hier verantwortlich für die Firma Siemens arbeitet. Señora Lucía hat mir von ihrer Reise in Ecuador und Peru erzählt. Ich hoffe, dass Ihnen die Gespräche nützlich sein werden, um einige Kenntnisse über das heutige Ecuador zu erhalten. Meine Köchin, die aus der Provinz Esmeraldas stammt, habe ich gebeten, etwas Typisches aus ihrer Heimat vorzubereiten.“ Mit diesen Worten überreichte Señor T. den beiden Frauen eine Speisekarte mit Willkommensgruß für den heutigen Abend.

Das Essen sollte mit einer „ceviche de camarones“, nach ecuadorianischer Art zubereitet, beginnen. Im Gegensatz zu einer peruanischen ceviche werden die Krabben etwa 25 Minuten in Wasser gekocht, bevor sie in einer Soße von Limonensaft, Stückchen scharfer roter Pfefferschote und weißer Zwiebel sowie Koriander und einigen anderen Zutaten weiter „gekocht“ werden. Danach wird die „ceviche“ in einer Schale, eingebettet in ein großes Salatblatt mit einem beigelegten Stück gekochten „choclo“ (gelber Maiskolben) serviert. Als begleitendes Getränk würde „coco loco“ (verrückter Kokossaft) die Gäste in Stimmung bringen: Eine Mischung aus Rum, Kokossaft und fein geriebenen Eisstückchen, serviert in Kokosnüssen.

Als Hauptgericht hatte Patricia „encocado de corvina“ ausgewählt. Das Besondere an diesem Gericht ist, dass das Seebarschfilet in Kokosmilch und mit Kochbanane und weiteren Zutaten im Ofen angerichtet wird. Die in Esmeraldas überwiegend afrika-abstämmige Bevölkerung hatte die Gewohnheit des Kochens mit Kokosmilch aus Westafrika mitgebracht, welche ihren Gerichten ein einzigartiges Aroma, wie auch von der südostasiatischen Küche bekannt, verleiht. Als Überraschung für seine deutschen Gäste hatte der Botschafter zu diesem Gericht einen deutschen Moselriesling ausgewählt.

„Arroz con leche de coco“ (gekochter weißer Reis in Kokosmilch) mit Zimtpulver bestreut sollte als Dessert den Abschluss der Einführung in die Küche Esmeraldas bilden. Dazu würden diverse Drinks nach Wahl bereitgestellt.

Die beiden nächsten Gäste waren Señor M. vom Unternehmen Odebrecht und Herr K. von der ecuadorianischen Filiale von Siemens. Die beiden Herren kannten sich persönlich schon über ein Jahrzehnt hinweg, aus einer Zeit als Ecuador bekannt für seine Regierungsumstürze war. Doch die Unwägbarkeiten der ecuadorianischen Politik hatten sich seit der ersten Präsidentschaft von Rafael Correa im Jahre 2006 gründlich geändert. Correa hatte durch eine verfassungsgebende Versammlung erreicht, die Verfassung insoweit zu ändern, dass eine unmittelbare zweite Wiederwahl für Präsidenten möglich wurde und auch die Torpedierung von Regierungsvorhaben durch das Parlament erschwert wurde. Odebrecht und Siemens hatten in der Vergangenheit vor allem im Bereich der komplementären Aktivitäten von Wasserenergiegewinnung und Energieübertragung eng zusammengearbeitet. Beide Unternehmen hofften darauf, dass sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Brasilien und Ecuador bald normalisieren würden, und dass Brasilien abermals als wichtiger Kreditgeber für ambitionierte Projekte der Wasserenergiegewinnung aufträte. Das wäre für Siemens auch eine Gelegenheit, für Anschlussverträge infrage zu kommen. Denn nach der Aufkündigung der Zusammenarbeit Ecuadors mit dem Weltwährungsfonds und der Weltbank im Jahre 2007 baute Correa die bilaterale Zusammenarbeit mit China als weitaus größtem Geldgeber ständig weiter aus bis zu einem gegenwärtig äußerst gewagten Abhängigkeitsgrad.

Nachdem sich die Gäste gegenseitig vorgestellt und es sich im großen Salon vor dem Kaminfeuer mit einem Begrüßungsdrink gemütlich gemacht hatten, trafen auch Señor L., Unternehmer libanesischer Abstammung aus Guayaquil, und Señor O., Unternehmer italienischer Abstammung aus Quito, in der Botschafterresidenz ein. Diese beiden Herren kannten die Vertreter von Odebrecht und Siemens und hatten bereits mehrfach mit ihnen als Unterauftragnehmer zu tun gehabt. Sie waren ebenfalls an der Wiederaufnahme der Geschäfte von Odebrecht und der neuerlichen Vergabe von brasilianischen Krediten interessiert, denn sie erhofften sich eine Belebung ihrer Geschäfte, die seit dem Ausbleiben von Weltbankkrediten und dem Rückgang von Direktinvestitionen aus den westlichen Industrieländern rapide zurückgegangen waren. Trotz ihrer guten Kontakte zu einigen Mitgliedern der Correa-Administration funktionierte die bis 2006 übliche Korruption nicht mehr im gewünschten Mass.

Im Nachhinein mag es als Ironie der Geschichte gesehen werden, dass der größte Korruptionsskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte 11 Tage vor der ersten Wahl von Correa zum Präsidenten seinen Lauf aufnahm: Am 15. November 2006 fand eine Razzia in der Siemenszentrale statt, deren schließliche Ergebnisse schwarze Korruptionskassen von insgesamt 1,3 Mrd. Euro ans Tageslicht zerrten. Am 26. November gewann Correa gegen seinen Widersacher, den reichsten Mann von Ecuador und größten Bananenexporteur des Landes („Bonita-Bananen“) Alvaro Noboa. Für Siemens-Ecuador veränderten beide Ereignisse auf einen Schlag das übliche Geschäftsgebaren im Land: Seit Ende der Diktatur (Ende 1978) funktionierten alle ecuadorianischen Regierungen nach dem Motto: Jeder Tag im Präsidenten- und Ministeramt - deshalb auch die häufigen Wechsel - muss der persönlichen Bereicherung dienen.

Öffentliche Verträge warfen im Durchschnitt 10% des Gesamtvolumens an Schmiergeld ab. Zur Zeit des Präsidenten Bucaram gab es das sogenannte 15%-Gesetz („ley de 15%“, wie der Volksmund treffend formulierte) . Und selbstverständlich war Siemens feste mit dabei. Die „Crème de la Crème“ des Landes, die „Nationale politische und wirtschaftliche Oligarchie“, gebildet aus der Schicht der Nachfahren der spanischen Großgrundbesitzer und anderen ausländischen Einwanderer (besonders die Nachfahren der Einwanderer aus dem Nahen Osten, die vor mehr als einem Jahrhundert als „turcos“, d. h. mit türkischem Pass, aus dem damaligen Ottomanischen Reich auswanderten – Libanesen, Palästinenser, Juden), baute sich in dem fruchtbaren Tal „Valle de los Chillos“ mit dem Schmiergeld ihre Villen, erwarben Immobilien in Miami und schickten ihre Kinder zum Studium in die USA. Die ‚Entwicklungshilfe‘ von Siemens und auch anderen deutschen und ausländischen multinationalen Unternehmen in Ecuador war jedenfalls während dieser demokratischen Periode in besten Händen.

Es konnte in seltenen Fällen auch einmal zu tragikomischen Familiengeschichten kommen, wie bspw. die Folgende: Eine Ehefrau eines Ministers droht sich von ihrem Mann scheiden zu lassen, da er in seiner gesamten Amtszeit im Auftrage der Regierung Bestechung aus ethischen Gründen verweigert hat: „ Alle Deine Kollegen haben inzwischen eine Villa in „Valle de los Chillos“, während wir in der Stadt mit einer Mietswohnung vorliebnehmen müssen. Unsere Kinder sind gezwungen, in den miserablen nationalen Universitäten zu studieren. Was soll ich mit Dir anfangen? Du bist eben ein unverbesserlicher Versager!“

Für die Mittel- und Unterschichten ist eine solche Verhaltensethik der Nationalen Oligarchie seit der Kolonialzeit die herrschende Ethik, die sie ebenfalls in ihrem Alltag anwenden, und gegen die die heutigen Kirchen im Lande, die katholische sowie die vielen protestantischen, einen aussichtslosen Kampf führen.

Dank der alkoholischen Begrüßungsdrinks kam die Runde der zwei Frauen und fünf Männer rasch in eine angeregte Stimmung. Die Männer, alle um die 60 Jahre alt, schienen sich in Gesellschaft der beiden anziehenden Frauen, die 10 Jahre jünger waren, in einen unausgesprochenen Wettkampf um Sympathien einzulassen. Jedenfalls bildeten sich alsbald zwei Männergruppen mit einer Frau im Mittelpunkt, die vom starken Geschlecht in lockerer und geistsprühender Weise zu beeindrucken versucht wurde. Bei diesem munteren Spiel wandte sich der Herr Botschafter mal der einen, mal der anderen Gruppe zu.

Die Aufmerksamkeit der Gäste wurde jedoch häufig durch das Erscheinen von Yolanda unterbrochen, die Oliven und salzige Kekse herumreichte oder Getränke nachschenkte. Yolanda hatte auf Anraten von Herrn T. an diesem Abend einen hellblauen kurzen Rock, der ihre wohlgeformten Beine zu voller Geltung brachte, an und kombinierte diesen mit einer weißen Bluse mit dezentem Ausschnitt, der ihren verheißungsvollen Busen ahnen ließ. Señor T. wollte sie an diesem Abend trotz der Gäste ganz für sich haben und ihr während des Abends versteckte Blicke zuwerfen können, in der Hoffnung, die übrigen Anwesenden nähmen von seiner jungen Angestellten weniger Notiz. Doch dabei hatte er sich gründlich verrechnet. Wie konnte den Gästen diese junge Angestellte, die scheinbar gleichmütig ihrer Arbeit nachging, nicht auffallen? Yolanda strahlte, ohne zu wollen, für die Gäste die verbotene Frucht der Jugend aus, die das eigene Alter schmerzlich bewusst werden läßt. Sie wurde zur Sensation des Abends, dessen Eindruck jedoch die Männer diskret für sich behielten. Nur Clara und Lucía wechselten verstohlene Blicke, die ihre Anerkennung für Yolanda nicht verhehlten.

Jedesmal, wenn Yolanda nicht umhinkonnte, auch Señor T zu bedienen, durchfuhr ihr wieder der Schauer, den sie in der Kleiderkammer während der Umarmung gespürt hatte. Es kostete sie den ganzen Abend hindurch ein dauerndes Wechselbad von körperlichen Empfindungen, die sie nur mit aller Mühe unterdrücken konnte. Dem Botschafter seinerseits war äußerlich nichts von seinem Verlangen anzusehen. Nur ein aufmerksamer Kenner konnte feststellen, dass er bei seinen Gesprächen mit den Gästen ab und an fahrig erschien, als ob ihm sein Gedächtnis einen Streich spielte. Innerlich rang er die ganze Zeit mit sich, wie er es noch am selbigen Abend abermals anstellen könnte, Yolanda wieder an seinen Leib zu pressen. Das würde sich nur schwierig arrangieren lassen, da es Patricia sicher auf seine Zärtlichkeiten abgesehen hatte, die er normalerweise nach Empfängen reichlich mit ihr auszuleben pflegte, wenn alle Gäste die Residenz bereits verlassen hatten. Und Rubén, der mit Yolanda in einem kleinen Häuschen für Angestellte im hinteren Teil des Gartens wohnte, würde wohl ebenfalls auf seine „novia“ und deren Aufmerksamkeiten erwartungsvoll warten.

„Meine Damen und Herren, ich möchte Sie zum Essen bitten!“ Mit diesen Worten unterbrach Herr Botschafter die angeregte Runde und forderte seine Gäste auf, an der sorgfältig gedeckten Tafel im Essenszimmer Platz zu nehmen.

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

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