Die Liebschaften des Herrn Botschafter (8)

Anden-Saga Clara und Lucía auf dem Weg ins Reich der Schrumpfkopfindianer

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http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/bd/Shrunken_head_amazon_pitt_rivers.JPG

Foto: Wikimedia Commons (Shuar, Schrumpfköpfe), 2009

Pitt Rivers Museum, Oxford

Autor: Narayan k28

„Clara, bevor ich auf die Shuar-Indianer, die auch als Schrumpfkopf-Indianer bekannt wurden, eingehe, noch Einiges zu Deiner Frage bezüglich Werner Herzog und seinen beiden in Peru gedrehten Filme ‚Aguirre, der Zorn Gottes‘ und ‚Fitzcarraldo‘. Beide sind im Abstand von 10 Jahren herausgekommen, Aguirre im Jahr 1972 und Fitzcarraldo 1982. Aus meiner Sicht wirken beide Filme ungeheuer eindringlich. Sie sind vor allem eine Hymne über die Allgewalt des tropischen Urwaldes am Fuße der Anden. Nur derjenige, der diesen Wald verstehen lernt, wird auch ein Verständnis über die in diesem Dschungel lebenden Menschen entwickeln. Wir Außenstehende benötigen Zeit, Schweiß, Leidensfähigkeit und Geduld, um uns an dieses einzigartige Natursystem zu gewöhnen. Um es kurz zu fassen, ich meine, Herzog hat zwei großartige Gedichte über den Amazonaswald verfasst. Aber, wie könnte es auch anders sein, und das ist mein Einwand, sie scheinen mir zu einseitig aus europäischer Sicht geschrieben.

Ich will mir nicht anmaßen, Herzogs Absichten richtig zu interpretieren. Doch ich kenne einigermaßen die Sichtweise beider Protagonisten dieser Filme, oder besser gesagt, es sind eigentlich drei Protagonisten. Der Dritte ist die grandiose Landschaft des tropischen Regenwaldes, der das Leben der beiden Menschengruppen, Conquistadores und Indios, eindeutig in der Hand hat und bestimmt. Du wirst bald mit mir Gelegenheit haben, über die östlichen Kordilleren in das Amazonasbecken hinunterzufahren. Dabei führt der Weg über das waldlose Andenhochland, der „puna“, unterhalb der Gletscher, „nevados“, die ab 5.000 Meter Höhe emporragen, hinweg. Ab 4.000 Meter bis 2.800 Meter werden wir eine moderate Zone mit trockenem Nadel- und Laubwald sowie Viehweiden durchqueren, der „ceja“ des tropischen Regenwaldes. Von da an und spätestens, wenn wir die Höhe von 2.500 Meter unterschreiten, wirst Du von den feuchtwarmen Amazonaswinden erfasst und von der Flora und Fauna nahezu überwältigt werden. In ganz anderer Weise als auf dem Hochland, wo Du Dich in der Freiheit des Kondors wähnst, wirst Du Dich von nun an als schiere Gefangene und Ausgelieferte des Waldes, der „selva“, fühlen. Was wohl Herzog fasziniert hat, sind neben der übermenschlichen Wucht der Natur des Regenwaldes die beiden Charaktere Aguirre und Fitzcarraldo, die, mit ihren europäischen Wurzeln und einer fixen Idee ausgestattet, der tropischen Natur und den in ihr beheimateten ‚Wilden‘ ihren Willen aufzuzwingen versuchen.

Meiner Ansicht nach hatte der Filmemacher gut den Machtwahn und die Superiorität des europäischen Eindringlinges über dieses wahrhaft undurchdringliche Dickicht und dessen bestens angepassten Bewohnern beschrieben, sozusagen als Gleichnis der wahnhaften Unterjochung der Neuen Welt durch die Alte Welt. Aber die Beschreibung der Rolle des zu zähmenden ‚Wilden‘ ist ihm gänzlich misslungen.“

„Lucía, Alexander von Humboldt hatte auf seiner Fahrt durch Südamerika, von Venezuela über Kolumbien, Ecuador bis nach Lima, ausreichend Bekanntschaft mit den verschiedenen indigenen Kulturen machen können und hatte 170 Jahre vor Werner Herzog einen großen Respekt vor diesen Zivilisationen entwickelt und ist für ihre Befreiung eingetreten.“

„Humboldt war bei seiner Reise auf die Träger- und Führer-Dienste der indianischen Bevölkerung auf Gedeih und Verderb angewiesen und lebte mit ihnen während der schwierigen Reisebedingungen auf Mauleselsrücken sozusagen unter einem Zeltdach. Dabei konnte er feststellen, dass diese Menschen ebenso harmonisch in ihrer natürlichen Umgebung lebten wie auch die Pflanzen- und Tierwelt sich der Geografie anpassten. Im Gegensatz zu Humboldt kann man Herzog dahin gehend kritisieren, dass er die ‚Indios‘ aus der Sicht eines Touristen gesehen und verstanden hat. Obwohl die europäischen 70er Jahre Jahre des Protestes gegen den US-Imperialismus und auch des Protestes allgemein gegen das ungerechte kapitalistische System waren, so war doch die ethnozentristische Sicht der Menschen der Metropolen noch längst nicht überwunden. Erst verschiedene Initiativen vonseiten der Vereinten Nationen haben in den letzten 25 Jahren allmählich für ein Umdenken gegenüber autochthonen Völkern geführt. Die OIT, die Internationale Arbeits-Organisation der UN, verabschiedete 1989 die Konvention 169, die die spezifischen Rechte der indigenen Völker besonders bezüglich ihres angestammten Territoriums und ihrer Kultur anerkennt. Die Erklärung der UN von 2007 bestätigt noch einmal diese Rechte. Seit 1995 gibt es jetzt bereits die zweite von der UN beschlossene Entwicklungsdekade der indigenen Völker. Zusammen mit den beiden internationalen Konferenzen gegen den Rassismus 2001 und 2009 sind wir doch ein Stück weiter in der universalen Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Völker und Kulturen dieser Welt gekommen, ganz im Humboldtschen Sinne.“

„Lucía, nach all diesen Ausführungen über den Lebensraum der Anden und des Amazonasbeckens spannst Du mich mit den Jíbaros und Deinem Liebesabenteuer in der Cordillera del Condor ganz gewaltig auf die Folter.“

Während Clara das aussprach, umarmte sie leidenschaftlich den Unterleib und die Oberschenkel ihrer Freundin und rieb ihren Kopf in Lucías Schoss.

„Clara, wenn Du so weiter machst, verfliegt meine Konzentration. Ich bin schon wieder ganz aufgeregt. Lass mich schnell die Herzog-Geschichte beenden, soweit ich das beurteilen kann. Dann können wir uns eine kleine Pause gönnen, bevor ich Dir mein Geheimnis mit dem Shuar-Lehrer Augustin erzähle, denn der Vater von Matilde war Lehrer in der Shuar-Gemeinde Kaputna, die in der Nähe des Garnisonsortes Santiago liegt.“

Abermals beugte sich Lucía zu Clara hinunter, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben. Dann fuhr sie fort: „Die Aguaruna und Huambisa hatten sich am Oberen Marañon 1977 zu einem gemeinsamen Rat zusammengeschlossen. Die Organisierung beider Jíbaro-Völker ist auf die Missionstätigkeit der Jesuiten zurückzuführen, die in „Santa Maria de Nieva“ eine Missionsstation und ein Internat bis heute unterhalten. Etwa ein bis zwei Stunden Bootsfahrt den Marañon stromaufwärts stößt man auf die Einmündung des Cenepaflusses, der am Osthang der Cordillera del Condor von der Grenze zu Ecuador etwa 200 km hinunter ins Marañontal fließt. Biegt man in den Cenepafluss hinein, so kommt man rasch nach „Wawaim“, einer größeren Aguaruna-Siedlung, wo Werner Herzog und sein Team die Dreharbeiten zu ‚Fitzcarraldo‘ beginnen wollten. In der Nähe von Wawaim liegt die peruanische Garnison „Chávez Valdívia“. Die Militärs sollten die Aguarunas soweit einschüchtern, dass sie zu einer Zusammenarbeit mit Herzogs Team bereit wären. Aber genau das verweigerte der Rat der Aguaruna und Huambisa.“

Clara fand das Verhalten der Aguaruna und Huambisa einigermaßen unverständlich. Herzog hatte ihnen doch sicher auch ein gerechtes Entgelt zugesichert, um bei der Verfilmung von ‚Fitzcarraldo‘ mitzuwirken.

„Meine Liebe, so einfach ist das nicht. Du musst die folgenden Hintergründe sehen: Zu Ende des Zweiten Weltkrieges begannen Peru und Ecuador etwa gleichzeitig, im ‚Cordillera del Condor-Gebiet‘ Garnisonen zu errichten. Und in der Folge starteten in Peru die Jesuiten in dem bis dahin von Mestizen nicht besiedelten Regenwald die Missionierung der Jíbaros, während auf ecuadorianischer Seite die Salesianer die Missionierung in Angriff nahmen. Die Jíbaros hatten sich in ihrer Geschichte erfolgreich der Kolonisierung der Inkas widersetzt. Die ersten Conquistadores schafften nur knapp 50 Jahre lang, in der zweiten Hälfte des 16ten Jahrhunderts, die Ausbeutung von Goldminen in dem Jíbaro-Gebiet zu organisieren, bevor ihnen 1599 die Shuar den Garaus machten. Dabei fanden viele weiße Eindringlinge, Abenteurer, Pfaffen und königliche Beamte als Schrumpfkopf-Trophäen ihr unrühmliches Ende. Danach hatten die Jíbaros fast drei Jahrhunderte lang keine Fremdherrschaft zu fürchten. Erst kurz vor und nach der Wende zum 20ten Jahrhundert, zur Zeit des Kautschuk-Booms, drangen Kautschuk-Barone mithilfe von selbst aufgestellten Milizen in das bis dahin unberührte Jíbaro-Gebiet und brachen den Widerstand der ‚Indios‘ mit Waffengewalt. Jedoch gelang es den Jíbaros 1904, die Kautschuk-Barone wieder aus ihrem Territorium zu vertreiben. Das gleiche Schicksal erlitt das Herzog-Team. Während der Abwesenheit der Militärs von „Chávez Valdívia“ stürmten die Aguaruna das Camp der Filmcrew und zwangen diese zur Abreise aus dem Cenepatal und dem Oberlauf des Marañon. Die Verfilmung einer Episode aus der Kautschuk-Ära, in der viele ihrer Stammesangehörigen einen gewaltsamen Tod durch die Kautschukunternehmer und ihre Milizen fanden, wollten sie in keinem Fall dulden.“

„Lucía, wenn Du mich weiterhin so genau in die Geheimnisse der Anden und des Amazonasbeckens einweihst, hoffe ich der allgemeinen Oberflächlichkeit in der Betrachtung Deiner Heimat, denen Durchreisende nun einmal unterliegen, aus dem Wege gehen zu können. Hier in Deinem Schosse ruhend könnte ich von Deinen Erzählungen nicht genug bekommen. Jetzt aber habe ich Lust auf einen weiteren Orangensaft und auf Dich.“

Mit diesen Worten erhob sich Clara und zog Lucía ebenfalls vom Bett. Von draußen drangen erste Geräusche bis in ihre Wohnung hinauf. An einem typischen Samstagmorgen in Quito kommen die Menschen erst später als gewöhnlich aus ihren Federn. Der Blick zum Pichincha-Vulkan enthüllte eine von der Morgensonne golden beleuchtete Bergspitze. Beide Frauen machten sich eilig daran, einige Orangen auszupressen. Sie konnten es gar nicht erwarten, bis sie wieder im Bett vereint waren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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