Drogen-Blutspur: Von Berlin bis Peru

Kokain Wie deutsche Konsumenten der "Party-Droge" Kokain beitragen, Menschenleben und Gesellschaften zu zerstören und Kriege anzuzetteln

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Liebe dFC,

ich mute Euch an dieser Stelle allerhand zu: Eine Reportage über Kokain, die bis zum Ende zu lesen einiges Durchhaltevermögen erfordert. Aber ich wollte die Reportage wegen der Wichtigkeit, wie ich meine, nicht kürzen. Wen es interessiert, der nehme sich die Zeit. Ich hatte einige treffende Fotos mit eingestellt, die aber nicht übernommen wurden. Weiss nicht warum. Schade! Bin leider kein Internet-Freak.

Von der Party in Berlin bis ins peruanische Amazonasbecken

Wie deutsche Konsumenten der “Edel- und Party-Droge Kokain“ beitragen, Menschenleben, Gesellschaften, ganze Volkswirtschaften zu zerstören und Kriege anzuzetteln

Wer kennt sie nicht, die Promis, die beim Kokainkonsum erwischt werden oder sich ungeniert als Kokser outen? Wer kennt sie nicht, die Jugendlichen, die auf Partys sniefen und sich frei wie ein Vogel fühlen? Wer kennt sie nicht, die armseligen Gestalten auf öffentlichen Straßen und Plätzen, die um den Euro betteln, damit der „Schnee“ sie für einen Augenblick das Elend vergessen lässt?

Kokain-Konsumenten in Deutschland, Europa und der Welt sind nicht nur sich selbst gegenüber verantwortlich. Sie handeln kriminell. Ihr Kokain-Genuss zerstört das Leben von Millionen Menschen, von Gesellschaften und Volkswirtschaften überall auf der Welt und hilft Kriege anzuzetteln. Der Krieg in Mali, die Finanzierung der Al Qaeda im Maghreb und der jüngste Regierungssturz in Guinea Bissau sind nur einige Beispiele dafür, wie unsere Schickeria, als unrühmliches Beispiel für die Jugend, gnadenlos und scheinbar unbewusst auf dem Schicksal von Millionen herumtrampelt.

Wie soll dem Kokain-Konsum begegnet werden? Mit neuen Gesetzen, drakonischen Strafen oder mit der Freigabe des Konsums? Ich habe keine perfekte Antwort darauf. Nur eine Überlegung: Sollte der Gebrauch freigegeben werden und die Preise derart fallen, dass eine „Linie“ Schnee dem Preis eines Bieres gleichkommt, wird unsere Jugend womöglich aus dem Feiern nicht mehr herauskommen. In „Dritte Welt“-Ländern wird der reine Schnee „crack“ ersetzen. Die Kriminalitätsraten und Mordfälle werden ungeahnte Ausmaße annehmen, da das „legale“ Koksen die Hemmschwelle zum Töten für immer mehr Jugendliche verschwinden lässt. In den Anbaugebieten der Kokapflanze werden die tropischen Wälder in größerem Ausmaß vernichtet werden und Millionen weiterer Kleinbauern werden sich dem Koka-Anbau widmen. Statt Drogen-Banden werden Handelsunternehmen den Vertrieb übernehmen, wie sie das derzeit mit Bananen und Kaffee machen. Ich neige eher zu folgendem drastischen Vorgehen: Gesellschaftliche Ächtung des Kokains durch massive Kampagnen der Medien, der Schulen, Universitäten und sonstigen Ausbildungseinrichtungen verbunden mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen. Kokser sollten öffentlich als „loser“ gebrandmarkt werden und der Konsum von Kokain sollte zu einem gesellschaftlichen „Tabu“ führen. Aber darüber müsste der Bürger nach gründlicher Diskussion in einem Volksentscheid befinden.

Folgen wir der Blutspur des „Schnees“ auf einigen Etappen von Berlin bis in die Provinz Satipo im peruanischen Amazonasbecken anhand von Zeitungsmeldungen, Fotos, Kommentaren und einem Brief-Auszug des Autors. Doch zuerst einiges über die Wirkung des Kokain-Genusses.

1. Wirkung

Kokain Wirkung (thema-drogen.net)

Auf physiologischer Ebene kommt die stimulierende Wirkung von Kokain durch eine vermehrte Ausschüttung der Transmitter Dopamin und Noradrenalin sowie eine Hemmung der Wiederaufnahme in die präsynaptische Membran zustande. So sammeln sich die Transmitter im synaptischen Spalt an, was eine höhere Aktivität bewirkt. Außerdem wird der Abbau von Adrenalin verhindert, wodurch Herzfrequenz und Blutdruck ansteigen. Durch ein Blockieren der Natriumkanäle werden die Schmerzrezeptoren gehemmt, was das Empfinden von Schmerz, Wärme, Kälte und Druck beeinflusst. Daher kommt es im Kokainrausch oft zu Halluzinationen des Tastsinns. Abgebaut wird die Droge in Leber und Nieren. Körperliche Anzeichen von Kokainkonsum sind neben erhöhter Herzfrequenz und erhöhtem Blutdruck auch erweitere Pupillen. Da sich Kokain in den Haaren anlagert, ist je nach Haarlänge Kokainkonsum relativ lange nachweisbar. Als Faustregel gilt: Die Länge der Haare in Zentimeter gibt an, wieviele Monate der letzte Konsum zumindest zurückreichen muss, um in einer Haarprobe nicht mehr nachweisbar zu sein. Eine weitere Wirkung des Kokains ist die lokale Betäubung. Wird es auf die Zunge aufgebracht, so macht sich innerhalb von Sekunden ein Taubheitsgefühl bemerkbar. Durch diese einfache Methode ist es möglich, Kokain schnell und zuverlässlich auf seine Echtheit zu prüfen. Sobald das Kokain im Gehirn ist, setzt eine Euphorie ein. Beim Schnupfen ist das schon nach wenigen Minuten. Diese Phase dauert etwa 20 bis 30 Minuten. Danach machen sich vor allem gesteigerte Leistungsfähigkeit und Ausdauer bemerkbar. Nach 1 bis 2 Stunden klingt auch diese Wirkung aus. Die intensivste Wirkung setzt nach intravenöser Injektion, da hier das gesamte Kokain in den Blutkreislauf gelangt. Sie setzt schon nach einigen Momenten ein und lässt auch schneller als bei den anderen Einnahmeformen wieder nach. Auch die Suchtgefahr ist hier am größten. Bei der oralen Einnahme dauert es mindestens eine halbe Stunde, bis die Wirkung einsetzt. Die Wirkung kommt sehr langsam und klingt auch wieder sanfter aus und wird als milder empfunden. Durch Kokain wird die Müdigkeit unterdrückt und der Schlaf kann sehr lange hinausgezögert werden. Das sexuelle Verlangen wird oft -, besonders bei anfänglichem Konsum -- gesteigert. Da durch Kokain das Hungergefühl unterdrückt wird, ist gerade in der Modelszene Kokain als Appetitzügler sehr beliebt. Darüber hinaus führt es durch die Beschleunigung der Körperfunktionen auch bei gleichbleibender Nahrungsaufnahme zu einem Gewichtsverlust.

2. Kokain in Europa, Deutschland und Berlin

Presseauszüge

AFP: 26. Juli 2012, 17:08 Uhr:

Europäer konsumieren 350 Kilo Kokain pro Tag.

Nach Abwasser-Analysen von 19 europäischen Städten haben Wissenschaftler hochgerechnet, dass pro Tag 350 Kilogramm Kokain in Europa konsumiert werden.

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Spiegel Online, Wissenschaft, 9.11.2005:

Flusswasser-Studie: Deutsche koksen ungeahnte Mengen

Von Markus Becker: Erstmals haben Forscher das Wasser deutscher Flüsse in einer umfangreichen Studie auf Kokainspuren untersucht. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Deutschen weit mehr Kokain konsumieren als bisher vermutet - allein am Rhein jährlich im Wert von 1,6 Milliarden Euro.

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Berliner Morgenpost, 24. 07.10, Kokain

So läuft der Drogenhandel in Berlin (Auszüge)

Die festgestellte Menge an Kokain in der Stadt ist drastisch gestiegen. Das weiße Pulver macht die organisierte Kriminalität reich - nicht jedoch die Bauern in Mittelamerika. Von Hans H. Nibbrig Auszug aus dem Artikel: Die vergleichsweise geringe Menge (gegenüber Heroin und Marihuana) sagt jedoch wenig über den tatsächlichen Umfang des Kokainhandels in Berlin aus. LKA-Ermittler und Zollfahnder gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Denn der Handel mit dem weißen Pulver blüht weitgehend im Verborgenen. Kokain gilt nach wie vor als Partydroge der Reichen. "Und die treiben sich nicht an U-Bahnhöfen oder in Parks herum", sagt ein Zollfahnder. Die Dealerbanden tragen den Wünschen ihrer gehobenen Kundschaft in jeder Hinsicht Rechnung. So flog Ende 2009 in Charlottenburg eine Bande von libanesischen Kokainhändlern auf, die für ihre zahlungskräftige Kundschaft einen bequemen Bestell- und Lieferservice organisiert hatte. "Die Lieferung erfolgt in der Regel frei Haus, konsumiert wird ebenfalls im privaten Umfeld, häufig auf Partys, in diese abgeschottete Szene einzudringen ist ausgesprochen schwer", beschreibt ein Ermittler die Probleme bei der Bekämpfung gerade des Kokainhandels. Weitere Umschlagplätze sind diverse Bars und Restaurants in der Stadt, allesamt Lokale der gehobenen Kategorie.

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FOCUS Magazin | Nr. 17 (2006)

GESELLSCHAFTKoks, Koks, überall Koks (Auszüge)

Montag, 24.04.2006, 00:00 Kokain hat das Nachtleben erobert. Prominente und normale Szenegänger konsumieren verstärkt das giftige Pulver. Kokain passe zum Leistungs-Zeitgeist, glaubt Rauschgiftexperte Huber. Es wirke euphorisierend und erhöhe die Power. „Man fühlt sich lebenskräftiger und arbeitsfähiger“, stellte schon Sigmund Freud fest, der gelegentlich selbst Kokain einnahm. Ex-Dealer Miehling bringt es auf den Punkt: „Man ist ne graue Maus, und dann kommt dieses Zauberpulver. Und plötzlich ist man Weltmeister. Der schärfste Typ in der Disko. Du willst eine Frau. Du schleppst eine ab. Das hast du nie gekonnt. Jetzt kannst du es.“ Prominente deutsche Kokser: Kokain und Sex waren für den Maler Jörg Immendorff und den Polit-Plauderer Michel Friedman eng verbunden. Immendorff kokste und feierte in einem Düsseldorfer Luxushotel wilde Orgien. Friedman sniefte und bestellte sich ukrainische Prostituierte in sein Berliner Hotelzimmer (Strafe: 17.400 Euro). Weitere prominente Kokser: Sterne-Koch: Eckart Witzigmann bekam 1993 zwei Jahre Haft auf Bewährung; Erfolgs-Trainer: Christoph Daum zahlte 2002 insgesamt 10000 Euro Bußgeld; Brauerei-Adel: Heinrich Maximilian Fürst zu Fürstenberg (Strafe: 135.000 Euro).

3. Kokain in der Sahara

Kopten ohne Grenzen (26.10.2012) Mali:

Drogen, Waffen und Scharia (Auszug)

Sahelzone bekannt für Drogenschmuggel

Die Islamisten im Norden Malis haben also noch einige Monate Zeit, ihre Position zu konsolidieren und sich militärisch aufzurüsten. Geld genug haben sie: Die Sahelzone ist bekannt für Drogen- und Zigarettenschmuggel. Von Südamerika über Guinea-Bissau und Sierra Leone führt die neue Kokainroute bis nach Europa. 60 Prozent des gesamten Bedarfs der europäischen Länder im Wert von knapp zehn Milliarden Euro kommen über diesen Weg. Ein Geschäft, das sich weder die Geheimdienste der betroffenen Länder noch Terrorgruppen entgehen lassen. Hinzu kommen Einnahmen für al-Qaida im Maghreb von mindestens 55 Millionen Euro an Lösegeldern aus Entführungen seit 2005. AQIM (Al Qaeda im Islamischen Maghreb) sei reicher als die Zentrale von al-Qaida in Pakistan, behauptete Mohammed Kamel Rezag Bara, der Berater des algerischen Präsidenten, bei einer Präsentation vor den UN – die verfüge nur über ein jährliches Budget von vier bis neun Millionen Euro.

South American Drug Gangs Funding al-Qaeda Terrorists London Telegraph (Colin Freeman, 26.1.2012)

(Eigene Übersetzung) Südamerikanische Drogen-Banden finanzieren Al Qaeda-Terroristen mit Millionen von engl. Pfund, um den Transport von Kokain über Nordafrika nach Europa abzusichern. Islamische Rebellen, die sich auf dem schwierigen Sahara-Terrain auskennen, haben mit den Drogen-Banden Abkommen geschlossen, um bewaffnete Sicherheits-Eskorten bereitzustellen gegen Bezahlung eines Teils des Profits aus dem Handel. Counter-Terroristen-Experten meinen, dass die Terroristen zu dem Netzwerk Al-Qaeda im Islamischen Maghreb (AQIM) gehören, welche verschiedene Menschen der westlichen Welt entführt hat und im letzten Jahr einen britischen Touristen tötete. Die Experten warnten, dass das von den Drogen-Banden erhaltene Geld benutzt werden könnte, um neue Rekruten anzuwerben und in europäischen Städten terroristische Anschläge zu planen. Olivier Guitta, ein Berater für Counter –Terrorismus und Außenpolitik, sagte, dass die “Revolutionären Bewaffneten Kräfte von Kolumbien” (FARC), die marxistische Rebellen-Organisation, die treibende Kraft für das Abkommen mit AQIM wäre. In der Vergangenheit wurden die Drogen (Kokain) direkt von Südamerika nach Spanien und Portugal geflogen oder verschifft, aber die Einführung von rigoroseren Kontrollen in diesen Ländern haben die FARC veranlasst, ihre Operationsweise zu ändern. “Seit die Routen durch Europa viel schwieriger geworden sind, sah die FARC eine Möglichkeit, die Sahelzone und Nordafrika als neue Drogenroute zu nutzen,“ sagt Guitta. „Und seit AQIM in diesem Gebiet das Sagen hat und schon in umfangreichen Schmuggelaktivitäten involviert war, war es nur selbstverständlich, mit AQIM ein Abkommen auszuhandeln. Diese Organisation ist eine unabhängige Einheit von der zentralen Al-Qaeda, auch finanziell, und sieht zu, dass sie eigene Terror-Anschläge in Europa auf den Weg bringt. Ein Bericht, der sich auf Untersuchungen der algerischen Regierung stützt, schätzt, dass mit Al-Qaeda verbundene Terroristen in Nordafrika seit 2007 etwa 130 Millionen US$ durch ihre Hilfe für die Drogen-Banden und die Entführungen eingenommen haben.

4. Kokain in Guinea Bissau (Westafrika, südlich von Senegal)

Im Oktober 1976, zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung der ehemaligen portugiesischen Kolonie in Afrika, kam ich in Bissau an, um mitzuhelfen, das Entwicklungsministerium des unabhängigen Landes aufzubauen. Bis April 1984 war ich dort tätig, hatte den ersten Putsch 1980 miterlebt und wurde Zeuge des unheilvollen Beginns einer unvollendeten Staatsbildung. Diese hat heute ihren vorläufigen Höhepunkt in der Errichtung des ersten „Narco-Staates“ (narco-estado) auf afrikanischem Boden gefunden. 12 Jahre hatte der Befreiungskampf der nationalen sozialistischen Widerstandsbewegung (PAIGC – Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit von Guinea-Bissau und Kapverde) gegen das Kolonialsystem gedauert. Ihr charismatischer Führer Amilcar Cabral gewann nicht nur die Unterstützung durch die sozialistischen Staaten, sondern auch die Sympathien der damaligen 68er-Generation der westlichen Staaten, die sich den modellhaften Aufbau eines freiheitlichen sozialistischen Staates erhofften, der zu einer Alternative zwischen den existierenden dogmatischen sozialistischen Staaten und den kapitalistischen werden könnte. Guinea-Bissau hat eine Fläche, die exakt derjenigen von Baden-Württemberg entspricht, mit einer damaligen Bevölkerung von 650.000 Menschen (heute: 1,6 Millionen). Bei meiner Ankunft führte das Land gerade einmal Erdnüsse und Palmöl für 20 Millionen US$ aus, hauptsächlich in die frühere Metropole Portugal. Es gab nicht mehr als 1000 Zivile, die nicht in der Landwirtschaft arbeiteten: Arbeiter im einzigen Hafen des Landes und einer Entschälfabrik für Erdnüsse und Reis sowie einer Palmölfabrik. Dazu kamen einige Händler und öffentliche Angestellte. Letztere waren von der alten Kolonialverwaltung übrig geblieben. An ehemaligen gut ausgebildeten Kämpfern und jungen Soldaten war kein Mangel: geschätzte 8 bis 10 Tausend, viel zu viele für diesen kleinen Staat. Die junge Republik war staatlich verbunden mit den Kapverdischen Inseln im Atlantischen Ozean, die ebenfalls eine ehemalige portugiesische Kolonie war. Die regierende Führungsschicht (Nomenklatura) beider Länder bestand hauptsächlich aus kreolischen Kapverdiern, die in sozialistischen Ländern aber auch in Portugal ihre Ausbildung gemacht hatten. Guinea-Bissau, das Land der Nassreis- und Erdnussbauern, zählte nicht einmal 10 Akademiker zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit. 5 – 10 % der Bevölkerung waren missionierte Christen und die übrige Bevölkerung (hauptsächlich bestehend aus 7 größeren Ethnien) teilte sich in eine Hälfte „Animisten“ und die andere in islamisierte Ethnien. Da der portugiesische Kolonialismus dieses kleine, für Weiße unwirtliche Land (wegen der tropischen Krankheiten) nicht hatte „befrieden“ könnten, lag bei der Unabhängigkeit die gesamte Hoffnung auf einer exemplarischen Entwicklung, die die reichen Traditionen der Ethnien respektierte, um eine gerechte, auf dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe beruhende Gesellschaft aufzubauen. Warum ist dieses kleine, einst so sympathische Land, mit den außerordentlich freundlichen und friedlichen Menschen seit 2005 allmählich zum ersten „Narco-Staat“ (narco-estado) auf afrikanischem Boden herangewachsen? Warum ist gerade Guinea-Bissau der Brückenkopf zwischen deutscher Schickeria und den Kokabauern im peruanischen Amazonasgebiet? Dazu gibt der folgende Artikel einige Aufschlüsse:

Guinea-Bissau: Estado fallido, paraíso de los narcos

(Guinea-Bissau: Der gescheiterte Staat, Paradies der Drogenbarone – „narcos“)

Autorin: Marta Durán De Huerta 20 de julio de 2012 Prisma Internacional

Decomiso de drogas en Guinea-Bissau. (Drogen-Beschlagnahme in Guinea-Bissau) Foto: AP

(Übersetzung von einigen Abschnitten des Artikels durch den Autor): Im Jahr 2005 verlor ein Schiff vor der Küste von Guinea-Bissau seine Fracht. Pakete erreichten die Küste, wo sie von Fischern geöffnet wurden. Diese fanden unbekanntes weißes Pulver vor. Einige Fischer benutzten das Pulver, um ihre Körper für festliche Rituale anzumalen. Andere verwandten das Pulver als Düngemittel, doch die Pflanzen starben allesamt. Das Pulver wurde auch zum Zweck der Abgrenzung eines Fußballfeldes und selbst als Mehl zum Kochen benutzt. Nach dem Verzehr aber versicherten die Betroffenen, sie seien von bösen Geistern heimgesucht worden. Das weiße Pulver war Kokain und stammte von einem gekenterten Schiff, das kolumbianischen Drogenhändlern gehörte. Dieser Fund war der erste einer langen Reihe, der die neuen Handelsrouten der kolumbianischen Drogen-Kartelle zwischen Südamerika und Europa offensichtlich machte. In diesem fünftärmsten Land der Welt, laut Entwicklungs-Index der UN, in dem es in den Häusern keine Toiletten gibt und auch kein elektrisches Licht im einzigen Krankenhaus, tauchten mit einem Mal Luxuswagen auf. Unterseeboote Ein Mitarbeiter des deutschen Geheimdienstes, der die Kokain-Route zwischen Europa und Afrika zusammen mit einer interdisziplinären Expertengruppe untersucht, behauptet Folgendes: In Zentralamerika haben die mexikanischen Drogenhändler die Kolumbianer verdrängt. Panamá und die Karibik sind besser als vorher überwacht, deshalb suchten die südamerikanischen Drogenhändler neue Routen nach Europa. Guinea-Bissau ist der ideale Ort: Es gibt keine starken Institutionen, keine Gefängnisse, keine Polizei, keine Radarüberwachung, keine empörten Journalisten. Die Grenze zum Senegal wird durch einen Wächter überwacht, dessen Arbeit darin besteht, ein Strick hoch oder runter zu lassen, wenn jemand ins Land kommt oder hinausgeht. Die kürzeste Verbindung zwischen Lateinamerika und Afrika besteht zwischen Venezuela und Guinea-Bissau: 5.500 Kilometer. Das bedeutet vier Nächte Navegation (die Schmuggler nutzen die Dunkelheit der Nacht) oder 5 Flugstunden. Guinea-Bissau besitzt einen vorgelagerten Archipel mit 100 Inseln und nur 21 sind bewohnt. Es gibt keine Küstenwache und kein Zoll. Die Regierung ist von den Schmugglern bestochen. Nach so vielen Bürgerkriegen und Konflikten ist die Armee die einzige Institution, die einigermaßen intakt ist. Als die „Narcos“ kamen und mit vollen Händen Geld verteilten, kauften sie die politische Elite. Die Geografie ist ideal für Schiffe und Unterseeboote, die mit Drogen beladen sind. Die Unterseeboote sind aus Glasfaser hergestellt. Die kolumbianischen „Narcos“ nahmen arbeitslose Ingenieure aus den sowjetischen Exrepubliken unter Vertrag. Und diese konstruierten die „submarinos“. Sie haben eine Kapazität von bis zu 6 Tonnen und es ist schwer, sie zu entdecken, vor allem, wenn sie einmal im Archipel angekommen sind.

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An dieser Stelle noch einmal meine Frage: Warum hatten und haben u. a. deutsche und europäische Schickeria-Kokser im Verein mit Drogenkartellen, Al Qaeda-Ableger im Maghreb, Guerilla-Organisationen in Kolumbien (FARC – Revolutionäre Bewaffnete Streitkräfte von Kolumbien) und Peru (Sendero Luminoso – maoistische Guerilla: Leuchtender Pfad) ein leichtes Spiel, ein kleines afrikanisches Land in wenigen Jahren zum gescheiterten Staat und „Narco-Staat“ zu machen, für den der zerstörte Präsidentenpalast symbolhaft steht?

Foto: (C) Copyright 2001 - 2009 Ines Gesell

Bissau - Der ehemalige Regierungssitz brannte beim Sturz des Präsidenten am 7. Mai 1999 fast vollständig aus.

Ich werde hier in aller Kürze eine Antwort versuchen: Der letzte Regierungsumsturz fand am 12. April 2012 statt. Es scheint, dass ein von den Drogenbossen bestochener Teil der nationalen Streitkräfte mit diesem Putsch einen letzten Versuch einer Staatsbildung mithilfe der internationalen Staatengemeinschaft erfolgreich unterbunden hat. Wäre dieser Versuch mit Unterstützung von angolanischen Truppen zur Ausbildung einer effektiven Armee als Grundvoraussetzung zur Staatsbildung gelungen, dann wäre der ungestörte internationale Drogenhandel ins Stocken geraten.

In Guinea Bissau sind seit der Unabhängigkeit (1974) schwerwiegende Fehler von internationaler und nationaler Seite gemacht worden, die zuerst eine Staatsbildung und dann eine Nationenbildung verhindert haben. Das geschah ähnlich wie in anderen afrikanischen Staaten. Zur Staatsbildung gehören eine funktionierende Staatsverwaltung und funktionierende Sicherheitsorgane zur Sicherung nach Innen und Außen. Zur Nationenbildung gehört der Aufbau einer Wirtschaft, die die materielle Lebensgrundlage der Menschen ausreichend zu sichern imstande ist. Danach besteht das wichtigste Problem in der Schaffung eines harmonischen Verhältnisses der Ethnien oder Völker untereinander, das in der Geschichte stets von Konflikten behaftet war. Und schließlich baut jede Nationenbildung auf einem wirkungsvollen Erziehungs- und Gesundheitssystem auf.

Zuerst die Fehler des Auslandes:

In der Zeit des Kalten Krieges bis 1990 haben sich die sozialistischen Länder hauptsächlich um die guineische Staatsbildung im Sinne eines Aufbaus eines sozialistischen Staates bemüht. Dabei stand die Ausbildung von repressiven Staatsorganen an erster Stelle: Polizei, Geheimdienst und Militär. Die Ausbildung einer zivilen Verwaltung wurde vernachlässigt, bzw. der PAIGC in Eigenverantwortung überlassen. Die sozialistische Staatengemeinschaft hat im Bemühen zur Schaffung einer Nomenklatura und eines „Neuen Menschen“ (im sozialistischen Sinne) völlig den kulturellen Aspekt der Traditionen der prinzipiell von der Landwirschaft lebenden Ethnien und ihre Einbindung in staatliche Verantwortung außer Acht gelassen. Der traditionelle Guineer sollte „ausgerottet werden bzw. dem Neuen Sozialistischen Menschen Platz machen“. Dieses Vorgehen einer selbst ernannten elitären Avantgarde wurde von den verschiedenen Ethnien schon nach wenigen Jahren hintertrieben und führte dazu, dass der Einfluss der Stammesältesten auf ihre Söhne und Töchter in der Staatsbürokratie von Beginn an auf Fraktionierung hinauslief.

Die westliche Staatengemeinschaft konzentrierte sich auf die „klassische“ Entwicklungspolitik, d. h. Integration der guineischen Wirtschaft in den weltweiten kapitalistischen Markt. Nahezu alle westlichen Staaten und die internationalen Organisationen korrumpierten in kürzester Zeit die zahlenmäßig begrenzten nationalen Parteikader, die nur ein Bestreben kannten: Leben wie anno dazumal die portugiesischen Kolonialisten. Die angestrebte Industrialisierung des Landes ging gründlich in die Hose, da es unmöglich war, von heute auf morgen aus freien Kleinbauern ein Arbeiterproletariat zu formen. Die jungen PAIGC-Verantwortlichen in der zivilen Verwaltung wandten sich alsbald von den als „rückständig“ begriffenen Agrargesellschaften zugunsten ihres eigenen materiellen Vorteils ab. Die westliche „Entwicklungsmaschinerie“ warf genügend Geld ab, um einen Lebensstil wie in den Metropolen der Welt nachzuahmen: Schicke Autos, schöne Häuser, Reisen ins Ausland, jede Menge Liebhaber/Liebhaberinnen und das Gefühl der Macht, der Superiorität, über die in „Unwissenheit und Obskurantismus“ lebende Landbevölkerung. Die ausbleibende ökonomische Entwicklung verstärkte rasant die Abhängigkeit von den internationalen Finanzinstitutionen (das Land war schon zu Ende der 80er Jahre das am höchsten prokopf-verschuldete Land in der Welt) und riss die nationale Führungsschicht, wie auch das ganze Land, in eine ausweglose finanzielle Abhängigkeit des internationalen Kapitals.

Die grundlegenden Fehler der kleinbürgerlichen und militärischen Führungsschicht innerhalb der ehemaligen Befreiungsbewegung und neuen Staats-Partei PAIGC:

Die überwiegend jungen Parteikader, die nur eine theoretische Ausbildung im Ausland genossen hatten, waren ideologisch hin und her gerissen zwischen dem sozialistischen Ideal eines bürokratischen Staatsapparates, der selbstherrlich die Traditionen der Ethnien ausrotten muss, um den „Neuen Sozialistischen Menschen“ zu schaffen, und der kapitalistischen Überflussgesellschaft der westlichen Welt. Letztere übte den stärkeren Einfluss aus und machte die zivilen Parteikader rasch zu Lakaien der westlichen „Entwicklungshilfe“. Die ehemaligen „Befreiungskämpfer“ und neuen nationalen Militärs gerieten bald zu Widersachern des zivilen Staatsapparates und wollten ebenfalls an dem internationalen Geldsegen teilhaben. Dabei kam es zu Fraktionsbildungen innerhalb des Militärs, die ihren Ausgangspunkt in den jahrhundertealten Differenzen zwischen den Ethnien hatten, insbesondere dem Gegensatz zwischen islamisierten und „animistischen“ (naturreligiös ausgerichteten) Ethnien. Der Zusammenbruch des Sowjetsystems beschleunigte die verhinderte Staats- und Nationenbildung zu Beginn der 90er Jahre. Zu Ende der zweiten Hälfte dieser Dekade brach folgerichtig der erste bewaffnete Konflikt zwischen den Fraktionen der zivilen und militärischer Staatsverwaltung aus, der im April-Putsch 2012 seinen bisherigen Höhepunkt erreichte und den Weg zum ersten „Narco-Staat“ auf afrikanischen Boden endgültig frei schaufelte.

5. Kokain im peruanischen Amazonasgebiet

Diese letzte Etappe des Kokains zurück von der Berliner Party-Landschaft aus bis in das peruanische Amazonasbecken werde ich anhand eines Brief-Auszuges (März 2010, Jacmel, Haïti) an einen Freund in Deutschland schildern:

Ene-Tal, “Selva Central”, Provinz Satipo, Dep. Junin, Peru

Foto: Blogger: zizariq, Perú, vom 18.6.2012

Als ich im Januar 99 in Lima ankam, war der Sendero Luminoso (maoistische Guerilla in Perú, seit Ende der 80 Jahre des 20 Jh.) weitgehendst zurückgedrängt und hielt nur noch einige Stellungen im peruanischen Amazonasgebiet, dort, wo die Anden in das riesige Flussbecken hinunterstürzen. Hier sind auch die bevorzugten Kokaanbaugebiete, in Nachbarschaft zum Kaffee-, Kakao- und Palmölanbau. Fujimori (autoritärer Präsident von Perú in der Zeit zwischen 1990 und 2000) und in seinem Schatten Montesinos (Geheimdienstchef unter Fujimori) befanden sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht und glaubten, Peru wie ihr eigenes Königreich verwalten zu können.

C. ich weiß nicht, was Du von Montesinos und Fujimori gehört oder gelesen hast. Interessant ist die Geschichte der beiden allemal. Montesinos hat für Fujimori die Drecksarbeit im Hintergrund gemacht und Parlament und Justiz durch dreiste Bestechung auf Linie der Exekutive getrimmt. So wurden die nach außen demokratischen staatlichen Institutionen durch Montesinos auf Vordermann gebracht, während Fujimori wie ein wohltätiger Fürst tagtäglich im Land herumreiste und mit Weltbankgeldern in entlegenen Dörfern Geschenke in Form von Kleinstprojekten austeilte im Werte von jeweils etwa 20.000 US$. Das waren gewöhnlicherweise durchaus nützliche öffentliche Infrastrukturen, wie Wasser, Elektrizität, Schulklassen, Sportplatz, usw.. Es handelte sich um die in der ganzen Welt berühmten Sozialinvestitionen der Weltbank, mit denen sich die korrupten Präsidenten beim Volk einen bleibenden Namen verschaffen konnten, und die außerdem für die lokalen Bürgermeister noch 1.000 oder 2.000 US$ abwarfen. Entwicklungsmäßig waren diese Armutsprogramme aber völliger Humbug, da sie die Herausbildung eines „human“ und „social capital“ gar nicht erst anstrebten, aus Angst, eines Tages könnte das Volk aufstehen und seine Machthaber hinwegfegen.

Fujimori und Montesinos hatten neben der erfolgreichen militärischen Offensive gegen den Sendero Luminoso auch eine weitere Offensive einigermaßen effizient auf die Beine gestellt, die Kampagne gegen den Drogenanbau, die durch die Institution „Contradrogas“ geleitet wurde. Im Januar 1999, während meines Ferienaufenthaltes in Lima, bot mir die Contradrogas-Administration eine Beratertätigkeit in der „Selva Central“ an, dort, wo der Amazonaszufluss Ene zum Tambo-Fluss wird, der Drogenanbau noch munter fortdauerte, der Sendero mit den peruanischen Militärs Rückzugsgefechte austrug, die Frauen der Ashaninka-Indianer der Sendero-Guerilla als Sklavinnen dienten und rücksichtslose Holzfällerunternehmer mit Montesinos einerseits und dem Sendero andererseits blühende Geschäfte betrieben. Kurz gesagt, der „Wilde Westen“ war dagegen der „Zahme Westen“.

Ich frage mich im Nachhinein, welcher Teufel mich da geritten hat, dass ich den Job angenommen habe. Erstmal war es die Gelegenheit, in Peru arbeiten zu können, dann war ich neugierig, die Sendero- und Drogenproblematik kennenzulernen. Dazu kam die Situation der Ashaninka und der Holzfäller im Amazonasgebiet. Geballter ging es nicht mehr.

Foto: Redacción Mulera, Perú, 31.7.2012, Kokabauern bei der Arbeit

Contradrogas, Sendero Luminoso, Selva Central, Provinz Satipo, Ene und Tambo, Ashaninka. Alles Begriffe, die mir alsbald vertraut werden sollten. In Satipo traf ich auf eine Gruppe interessierter Landwirtschaftsstudenten der Universität von Huancayo, mit der ich rasch Freundschaft schloss, und mit der ich bis heute in engem Kontakt stehe. Mit ihnen diskutierte ich erste Ideen eines Antidrogenprogramms. Des Weiteren wurde mir in Satipo ein Major der Armee und ein anderer der Geheimpolizei zur Seite gestellt, beide in Zivil, bewaffnet mit versteckten Pistolen. Sie bildeten sozusagen meine persönliche Leibwache. Die dortige Militärbrigade hatte den Auftrag, mich mit einem Helikopter zu den verstreuten Außenposten zu transportieren.

Zwei Bevölkerungsgruppen konnte ich besuchen, die Ashaninka, die fürchterlich unter dem Sendero Luminoso gelitten hatten und weiterhin drangsaliert wurden. Das Fujimori-Regime hatte einigen Dorfgemeinschaften schließlich Feuerwaffen zur Verfügung gestellt, um lokale Milizen aufstellen zu können, um sich gegen die Guerilla zu wehren. Die andere Gruppe bildeten die Kokabauern: Mestizen, denen der Kokaanbau ein jährliches Prokopfeinkommen von etwa 1.000 US$ einbrachte, d.h. dreimal soviel wie der Kakao- oder Kaffeeanbau. Mit diesem Einkommen oberhalb der Armutsgrenze konnten sie ihren Kindern eine Schulausbildung im fernen Satipo finanzieren. Im Gegensatz zu den peinlich sauberen Ashanikadörfern lebten die Kokabauern, die aus den abgerodeten Hochanden, wo sie aus ärmlichsten landwirtschaftlichen Verhältnissen kommend ins Amazonasbecken einfielen, in Dörfern, die eher Schweinekoben gleichkamen: Plastik und Konservendosen allerorten, selbst das Uferschilf dieses abgelegenen einzigartigen Ökosystems geriet zum Abfallhaufen; Schweine, Hühner, Hunde, die in den Holzhütten unter den Betten ihre Nachtbleibe fanden; Kleinkinder, die auf Knien durch den Kot wateten, es war schlicht zum Kotzen. Ich war von dieser Dorf- und Familienhygiene der Kokabauern so „beeindruckt“, dass ich zum Schluss der Dorfversammlungen nicht umhin kam, das Beispiel der Ashaninka-Dörfer heranzuziehen und ihnen Säuberungskampagnen anzuraten, ansonsten sie auf keinerlei Unterstützung bauen könnten.

Foto: Blog: „Los Asháninkas“, 8.3.2011: Asháninka-Dorf

Der Flug von Satipo führte mich zu einem ersten Militärposten am Mittellauf des Ene. Die Militär-Posten im Amazonasgebiet waren gemeinhin an strategischen Stellen hoch über dem Ufer, wo es eine gute Aussicht nach allen Seiten gab, errichtet. Sie bestanden aus einfachen mit Stroh gedeckten Blockhäusern und waren zur besseren Verteidigung von Erdgräben umgeben. In diesen Posten befanden sich für gewöhnlich jeweils 50 bis 60 überwiegend junge Soldaten, die meisten Rekruten.

Außer den beiden Majoren befand sich noch J., ein junger Landwirtschaftsingenieur von Contradrogas, in meiner Begleitung. Nach der ersten Nacht über dem Enefluss, die in angespannter Ruhe verlief, setzten wir uns am nächsten Tag weiter in Richtung Oberlauf in Bewegung, dort, wo die Grenze zum „Noman’sland“ verlief, hinter der Senderistas, Kokabauern und Holzfäller ihre jeweiligen Einflussgebiete abgesteckt hatten. Uns stand ein lang gestrecktes Kanu mit Außenbordmotor zur Verfügung, so eines, das auch die wenigen Händler auf dem Fluss benutzten. Während der Tagesreise zum letzten militärischen Vorposten bekamen wir einen ersten Eindruck der allgegenwärtigen Lebensbedrohung der verschiedenen Menschengruppen, die am Fluss wohnten und von ihm abhängig waren.

C. Ich habe Dir noch gar nichts von diesem einmalig schönen und ökologisch reichen Übergangsgebiet zwischen Anden und Amazonasbecken erzählt. Die Zuflüsse zum Amazonas, auf einer Höhe von etwa 500 Metern über dem Meeresspiegel, musst Du Dir tief eingeschnitten in beiderseitigen Kordilleren, die bis zu 3.000 Meter aufragen können, vorstellen. Fauna und Flora sind einfach überwältigend und an Vielseitigkeit kaum zu übertreffen. Mittlere Temperatur schwankt um die 28 - 30 Grad Celsius, Luftfeuchtigkeit beharrt bei nahezu 100 Prozent und die jährliche Niederschlagsmenge beträgt um die 4.000 Millimeter. Diese Bedingungen mussten Lope de Aguirre und Genossen (im 16. Jh., siehe auch den Film von W. Herzog, Aguirre, der Zorn Gottes), die sich in voller Montur auf die Suche nach dem Eldorado machten, gänzlich die Lust vertreiben. Wir Europäer brauchen Zeit, um uns auf diese Fruchtbarkeit und schiere Undurchdringlichkeit des tropischen Regenwaldes einzustellen. Alleingelassen in diesem endlosen Dickicht und der Unwägbarkeit der Flüsse, tritt dieses Natursystem uns Weißen zunächst durchaus bedrohlich entgegen. Da fragt man sich, was denn die Ordensbrüder vor Jahrhunderten dazu getrieben haben mag, in dieses für uns schwer zugängliche Gebiet vorzudringen, nicht auf der Suche nach dem Eldorado, sondern auf der Suche nach der Seele des Eingeborenen, der in dem Panther des Waldes, der Anaconda seiner Flüsse und dem Kondor der Lüfte den Ausdruck seiner Religiosität gefunden hatte. Was konnte und wollte der Eingeborene mit dem Gekreuzigten anfangen? Rein gar nichts. Folglich musste ihm das Heil mit Gewalt eingebläut werden. So auch am Mittellauf des Ene, in Cutivireni, wo die Franziskaner vor rund 80 Jahren eine Missionsschule errichtet hatten.

Als ich Anfang 1999 den Enefluss hinunterfuhr, war Cutivireni verlassen. Der Sendero Luminoso hatte dem leitenden Ordensbruder und den Ashaninkakindern den Garaus bereitet und an die Stelle der christlichen und indianischen Religiosität die maoistische Weltanschauung in den Urwald verpflanzt. Sie sollte dort allerdings schwerlich und nur mit Mitteln der Versklavung gedeihen. Die Ashaninkafrauen wurden mit Gewalt gezwungen, Frauen und Sklavinnen zugleich der Guerillakämpfer zu werden, und die Kinder wurden zur Sklavenarbeit auf den Feldern herangezogen. Männer, die nicht rechtzeitig fliehen konnten, wurden kurzerhand liquidiert.

Foto: „Instituto Lingüistico de Verano“ (US-Nichtregierungsorganisation): Ashaninka-Frauen und -Kinder (ohne Jahresangabe)

Unsere Fahrt zum letzten militärischen Vorposten gestaltete sich beschwerlich und bedrohlich zugleich. Die Siedlungen der Ashaninka befanden sich auf der östlichen Flussseite, die der Kokabauern auf der westlichen Seite. Und die Siedlungen waren beiderseits versetzt, sodass wir nach jeweils 30 Kilometern Bootsfahrt entweder das eine oder das andere Ufer ansteuern mussten, denn jede Siedlung hatte ihren eigenen Kontrollposten, deren Anordnung unbedingt Folge geleistet werden musste. Eine Nichtbeachtung würde mit Sicherheit einen tödlichen Angriff provozieren. Wahrscheinlich funktionierten im Mittelalter die großen Handelswege nach dem gleichen Prinzip: Jede x-beliebige Raubritterburg besaß die Freiheit und die Frechheit, Wegzoll zu erheben und den Reisenden die Lust am Reisen gründlich zu vermiesen.

Wir erreichten den Posten gerade vor Sonnenuntergang. Allerdings konnten wir die Sonne nur durch die Rosatönung der herannahenden Regenwolken erahnen. Der Posten befand sich hoch oben auf einer Böschung, von der aus eine gute Sicht über die Flussbiegung hinweg ins gegenüberliegende „Senderogebiet“ möglich war. Nach Eintritt der Dunkelheit brach ein Gewitter los, dem sich ein stundenlanger Regenguss anschloss. Der Kommandeur des Postens, ein junger Leutnant, versuchte uns mit ein paar Bieren bei Laune zu halten; sicher wollte er uns wohl auch die Angst vor einem möglichen Senderoangriff nehmen.

Dank des Alkoholgenusses schliefen wir denn auch bis zum Morgengrauen. Der Regen hatte nur kurz ausgesetzt, um dann mit neuer Stärke fortzufahren. Unser Plan war, von diesem Posten aus mit einem Hubschrauber die Siedlungen bis hinunter zum Tambofluss nacheinander zu besuchen. Mit den Ashaninka und den Kokabauern sollten mögliche Entwicklungsprojekte definiert werden, die ich in Lima dann in die endgültige Fassung übertragen wollte. Jedoch fiel unser Plan buchstäblich ins Wasser. Der Regen war hartnäckig, die Wolken hängten sich in den riesigen Tropenbäumen fest, die Sicht hinunter auf die Flussbiegung und hinüber ins Senderogebiet war wie durch einen Vorhang versperrt. Ebenso wurde der übliche Lärm der Affen und der zahlreichen Vögel durch das monotone Rauschen des Regens verschluckt. Das Wetter war eigentlich ideal, um aus dem Hinterhalt einen überraschenden Angriff zu starten. ...

Der Regen am Enefluss dauerte nun schon zwei Tage und zwei Nächte an, und ein Ende war nicht abzusehen. Immerhin war es für unsere kleine Reisegesellschaft erfreulich, dass der Sendero Luminoso bisher keine Lust verspürt hatte, den Vorposten in ein Scharmützel hineinzuziehen. Den „Genossen“ hatte wohl der eintönige Regen auf den Magen geschlagen. Für uns „Nichtindianer“ provoziert dieser nicht enden wollende Regen in einer wolkenverhangenen und nur schemenhaft wahrgenommenen Landschaft depressive Stimmungen. Wir mussten einen Entschluss fassen, wie es denn weitergehen sollte. Jeder Tag länger in diesem Posten konnte für uns verhängnisvoll sein. Die Militärbrigade in Satipo signalisierte keine Besserung des Klimas und auch die Unmöglichkeit, einen Helikopter zu schicken.

Unsere „Gefangenschaft“ in diesem Vorposten wurde am vierten Tag abrupt beendet. Wir hörten am späten Vormittag urplötzlich einen Warnschuss von unserer Wache am Flussufer. Ein Händler war mit seinem Kanu flussabwärts unterwegs nach Puerto Ocopa, dort, wo der Tambo den Ene ablöst, und die Franziskaner ebenfalls schon lange eine Missionsschule zur „Zivilisierung“ der Ashaninka eingerichtet hatten. Der Händler war ein etwa 30jähriger Mestize, der mit seiner Frau und seinem fünfjährigen Jungen unterwegs war. Bis auf Platanos (Kochbananen) hatte er nichts geladen. Dazu muss gesagt werden, dass auf dem gefahrvollen Enefluss nur wenige Händler einen „Freifahrtschein“ besaßen. Sie ermöglichten den spärlichen Handelsaustausch mit Freund und Feind, kauften die wenigen landwirtschaftlichen Produkte entlang des Flusses auf und transportierten sie nach Puerto Ocopa. In diesem kleinen Flusshafen konnten alle Grund-Gebrauchsgüter für die Ene- und Tamboanwohner eingekauft werden. Er war zugleich Endstation einer fürchterlichen Landverbindung nach Satipo, auf der selbst die allradangetriebenen japanischen Pickups ins Schleudern gerieten. Puerto Ocopa war zugleich der geografische Mittelpunkt des Ashaninka Volkes und sollte eine wichtige Rolle in den Planungen für ein regionales Entwicklungsprogramm einnehmen.

Wir verhandelten mit dem Händler und zwangen ihn indirekt, uns bis nach Puerto Ocopa mitzunehmen. Es war die einzige Transportmöglichkeit bei diesen widrigen klimatischen Bedingungen, und wir hatten schließlich die Mittel in der Hand bzw. in der Hüfte, um unserem Wunsch gehörig Ausdruck zu verleihen. Der junge Mann und seine Frau mussten raue Behandlungen und Dienstleistungen dieser Art gewohnt sein, denn ihr Kanu verband Interessen des Sendero Luminoso, der Kokabauern, der Holzfäller und der Ashaninka. Wir vereinbarten mit dem Händler eine dreitägige Reise, die uns erlaubte, in den wichtigsten Siedlungen Station zu machen und mit den Flussanwohnern eine Entwicklungsstrategie zu diskutieren.

Als wir von den jungen Soldaten Abschied nahmen, hatten wir den Eindruck, sie würden sich uns am liebsten anschließen, um dieser Frontstellung zum Sendero Luminoso zu entfliehen. Sie waren „arme Teufel“, die herhalten mussten, damit ihr Präsident Fujimori und Montesinos die Propagandatrommel vom heldenhaften Kampf gegen die Guerilla rühren konnten. Einmal im Boot Platz genommen, atmeten wir wie befreit auf und kehrten der Gefahrenzone schleunigst den Rücken.

Während der zwei, drei Regentage, die wir auf dem Vorposten verbrachten, war es nur ansatzweise möglich, und nur im Zwiegespräch mit J., die Problematik der Guerilla- und Drogensituation zu besprechen. Obwohl Nebenschauplatz, das Leben am Enefluss war symptomatisch für die jüngste Vergangenheit des Landes. Die herrschende Oligarchie in Lima hatte sich traditionell und mit Hingabe der Ausbeutung der Reichtümer, vor allem der Erze, gewidmet. Und Peru ist nach Brasilien das an natürlichen Ressourcen reichste lateinamerikanische Land. Fujimori und Montesinos tasteten die Herrschaft der Oligarchie nicht an, im Gegensatz, sie verstärkten sie sogar noch, indem sie als neue Mitglieder in dieser edlen Runde das Militär so effektiv einsetzten, dass der Sendero Luminoso aus allen Regionen der Kapitalverwertung der Oligarchie erfolgreich zurückgedrängt wurde. Doch was war im Einzelnen mit dem Amazonasgebiet, diesem Nebenschauplatz, geschehen, in dem sich die letzten Rückzugsgebiete der Guerilla befanden und der Drogenanbau in beschränktem Masse andauerte?

Als Abimael Guzmán (Professor an der Universität von Ayacucho) in den 80er Jahren daran ging, seine maoistische Guerillatruppe aufzubauen, fand er in den Studenten der kleinbürgerlichen Mittelschicht eine begeisterte Anhängerschaft. Die verarmte Kleinbauernschaft der Anden, zum großen Teil Analphabeten, war eher misstrauisch gegenüber der intellektuellen Avantgarde. Für die Quechua- und Ashaninka-Indianer war die marxistische Ideologie kulturell so fremd wie die christliche Heilsbotschaft, mit dem Unterschied, dass die Missionare des 20ten Jahrhunderts die Indoktrinierung nicht mehr mit Feuer und Schwert vorantrieben. Was die eingewanderten Kokabauern im Randbereich des Amazonasbeckens anbetraf, so kämpften diese, ähnlich wie die Goldgräber in anderen Teilen des Landes, schlicht um verbesserte Lebensbedingungen. Dabei nutzten sie die Abwesenheit des Staates und das relative Desinteresse der Oligarchie an einer Nutzung der genetischen Ressourcen des Amazonasbeckens aus, um die Kokapflanze anzubauen.

Zur Zeit meines ersten Besuches im Enetal begann der Sendero Luminoso die Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Drogenmafia und trat als zusätzlicher Spieler in der Vermarktungskette des Kokain, ähnlich wie die FARC (marxistische Guerilla) in Kolumbien, auf. Einmal aus den Städten und den Anden militärisch vertrieben, geriet auch die marxistische Indoktrinierung der Mestizenbauernschaft im Amazonasgebiet zur Nebensache.

Foto: Diario Correo, (Kurier-Zeitung vom 25.4.2012): 14 Sendero Luminoso-Kämpfer im Apurimac-Ene-Tal

Der letzte Akteur in diesem „Wilden Amazonas“ waren die reichen Holzunternehmer. Sie hatten Verbindungen und Wurzeln in der nationalen Oligarchie und bekamen trotz gegensätzlicher Gesetze Freifahrtsscheine zur Ausbeutung der tropischen Hölzer, vor allem des Kaobabaums. In ihrer unstillbaren Gier nach Ausbeutung dieser kostbaren Ressource waren sie endlich bis an den Enefluss vorgerückt und kamen unweigerlich dem Sendero ins Gehege.

Die salomonische Lösung dieser brisanten Mischung aus unterschiedlichsten Interessen war das gegenseitige Abstecken von Einflusssphären und die stillschweigende Duldung der Unterjochung von Menschen, in diesem Falle der Ashaninka, und der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, der Kokapflanze und der tropischen Hölzer.

Die Reise nach Puerto Ocopa wurde durch zwei Ereignisse bereichert, die beide unserer Fahrt und unserem Leben den Garaus hätten bereiten können. Wir mussten einen „Pongo“, d. h. Stromschnellen passieren, die durch die vergangenen Regentage an Wucht und Gefährlichkeit zugenommen hatten und unser Boot beinahe zum Kentern brachten. Das zweite Ereignis war filmreif und ließ unseren Mut, unsere Zuversicht und Geduld auf Null absinken.

Wir Bootsinsassen waren allesamt wegen des ununterbrochenen Regens unter einer Plastikplane versteckt und hingen unseren individuellen Gedanken nach. Nur unser Bootsführer saß halb nackt auf dem Bootsrand, dem warmen Regen ausgesetzt, und bediente mit stoischer Ruhe Steuer und Außenbordmotor. Dann knallte es plötzlich fürchterlich in unmittelbarer Nähe. Wir schlugen überrascht die Plane zurück und sahen vor uns auf der Flussböschung eine Gruppe kriegsbemalter Ashaninka. Es waren alle, bis auf den Anführer, junge Männer, mit Pfeil und Bogen ausgerüstet. Diese waren drohend auf uns gerichtet. Nur ihr Führer hatte eine Schrotflinte zur Verfügung, mit der er diesen Lärm veranstaltet hatte. An eine Flucht unsererseits war nicht zu denken, die jungen Männer hätten uns mit einem Hagel tödlicher Pfeile eingedeckt. Uns wurde mit Gesten bedeutet, das Boot am Ufer festzumachen. Der Anführer sprang mit einem „Assistenten“ ins Boot. Es begann eine minutiöse, stundenlange Untersuchung all unseres Hab und Guts, einschließlich unserer Papiere. Die beiden Männer sprachen kein Spanisch und unterhielten sich leise in ihrer Muttersprache Ashaninka. Die Offiziere, die für meine persönliche Sicherheit zuständig waren, wurden langsam unruhig und begannen unter ihrer Kleidung nach ihren Pistolen zu greifen. Ich machte ihnen ein Zeichen, auf keinen Fall ihre Waffen zu gebrauchen, das wäre unser sicheres Ende. Gottseidank unterließen die beiden Indianer eine Leibesuntersuchung und entdeckten die Waffen der Offiziere nicht. Wahrscheinlich brachten sie uns in Verbindung mit der kolumbianischen Drogenmafia und dem Sendero Luminoso. Später in Puerto Ocopa erfuhren wir, dass die nahegelegene Ashaninkasiedlung neu errichtet worden war und früher im Bereich des Sendero lag, der ihre Frauen und Kinder versklavt hatte. Der Bootsführer kannte einige Brocken Ashaninka und versuchte verzweifelt zu erklären, dass wir als Freunde gekommen waren und vorhatten, mit ihnen Entwicklungsprojekte zu planen. Aber es kam keine wirkliche Verständigung zustande. Schließlich boten wir den Ashaninka die Kochbananen und einige Kosmetikartikel an, Seife, Deodorant, Zahnpasta, Zahnbürste, Rasierseife und Rasierklingen. Das lockerte ihre Gespanntheit und lenkte die Aufmerksamkeit ab, was uns letztendlich zur Weiterfahrt verhalf. ...

Alles in allem gab mir die Fahrt auf dem Ene die Ideen in die Hand, wie eine mögliche Entwicklung in diesem ökologisch so reichen und andererseits konfliktvollen Flusstal aussehen konnte. Doch erst zwei Jahre später bekam ich die Möglichkeit, mit meinen ehemaligen Studenten aus Satipo ein Regionalentwicklungsprogramm zu erarbeiten, das im Wesentlichen in Zusammenarbeit mit den Ashaninka entstand.

Meine erste Begegnung mit diesem Indianervolk im Ene- und Tambotal hatte in mir den Wunsch geweckt, in Zukunft mehr für sie tun zu wollen. Die Ashaninka sind mit etwa 70.000 Menschen das indigene Volk mit der größten Bevölkerung im peruanischen Amazonasgebiet. Die Menschenrechtsverletzungen ihnen gegenüber, einschließlich aller Versuche vonseiten der Kirchen und der Senderistas, ihr kulturelles Erbe auszumerzen, sind einfach „himmelschreiend“. Ich habe mich in ihrer Gesellschaft stets wohlgefühlt. Das Einzige, was ich im Zusammensein mit ihnen nicht tolerieren könnte, ist der Machismus der Männer. Wie ich schon vorher in Ecuador und später mit indigenen Völkern anderer Länder erfahren konnte, sind ihre Gesellschaften im Wesentlichen horizontaler Natur, was die Stellung der Männer untereinander anbetrifft. Gegenüber den Frauen allerdings besteht ein tiefer Graben. Da muss eine stille, aber radikale Revolution Verhaltensänderungen herbeiführen. Das, was die Schule und die Informationstechnologie in alle Winkel der Erde hineinträgt, hat insofern etwas Gutes, dass in den jungen Frauen der Peripheriegesellschaften zwei Grundbedürfnisse geweckt werden, die für uns seit hundert Jahren selbstverständlich geworden sind: Gleichstellung mit den Männern und Professionalisierung. Mir zerreist es jedes Mal das Gewissen, wenn ich nach einer Versammlung in einer Indianergemeinde, in der wir gemeinsam die Probleme analysiert und Perspektiven für die Zukunft entwickelt haben, die jungen Mädchen sozusagen als Motor der Gemeindeentwicklung auftreten und von uns Vertretern der internationalen Gemeinschaft fordern, dass wir ihnen auf ihrem Weg beistehen, wir jedoch entweder die finanziellen Mittel nicht in der Hand haben oder aber durch nationale Regierungen und Oligarchien an einem entsprechenden Handeln gehindert werden.

So erging es mir mit den Ashaninka zwei Jahre später, im Jahre 2001. Fujimori war inzwischen gestürzt, hatte sich nach Japan abgesetzt und eine Übergangsregierung mit Paniagua war im Amt. Das mit Ashaninka und Mestizen zusammen ausgearbeitete Regionalprogramm im Enetal fiel der Ohnmacht der neuen Regierung zum Opfer, die keine strategischen Festlegungen für das Amazonasgebiet eingehen wollte. ...

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El Comércio, Lima 30.7.2012: Perú größter Kokain-Lieferant (325 T/Jahr) vor Bolivien (265 T/Jahr) und Kolumbien, das jahrelang der wichtigste Lieferant für den Weltmarkt war.

Meinen Beitrag über die Kokain-Reise von Berliner Kokain-Partys aus in das peruanische Amazonasbebiet werde ich hier mit dem „schönen“ Bild einer Beschlagnahme von Kokain vor dem Abtransport in Peru, der über Kolumbien, Venezuela, Guinea-Bissau, Sahara bis nach Spanien und Berlin in die Partyveranstaltungen geplant war, abschließen. Wie gesagt, Peru ist wieder zum größten Kokain-Produzenten aufgestiegen. Die Kokabauern und die Ashaninka werden weiterhin von den im Enetal verbliebenen Resten des Sendero Luminoso auf brutalste Weise unterdrückt. Solange der vermögende Kokser in Berlin, Deutschland und Europa nicht von der „Edel-Droge“ Kokain lassen kann, wird sich die Blutspur des „Schnees“ über die Kontinente hinweg immer tiefer in die beteiligten Gesellschaften eingraben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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