Erlebnisse in der "Dritten Welt"

Guinea Bissau (1) In loser Folge: Arbeits- und Lebens-Stationen im Ausland seit 1976. Begebenheiten aufgezeichnet für die Daheimgebliebenen

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Liebe dFC,

in vollem Bewusstsein, die meisten unter Euch zu langweilen, setze ich dennoch in loser Folge erlebte Begebenheiten in der Fremde hier in der dFC ein. Mir persönlich dienen diese Aufzeichnungen u. a. dazu, mir Rechenschaft darüber abzulegen, wie ich als Aktiver der 68er Bewegung mein Leben bis jetzt verbracht habe. Ich meine, es ist immer wieder wichtig, uns selbst ernsthaft in unserem Tun zu hinterfragen. Und das gilt vor allem angesichts unserer vehementen Kritik an den derzeitigen deutschen gesellschaflichen Verhältnissen. Wem das alles als Schmarren erscheint, sollte einfach diesen Eintrag übergehen.

LG, CE

PS: Übrigens haben gestern, Sonntag, d. 13. April 2014, Wahlen in Guinea Bissau, dem ersten Narco-Staat und "failed state" in Afrika, stattgefunden. Ich kann nur auf eine bessere Zukunft dieses kleinen und sympathischen Landes hoffen.

Guinea Bissau (1)

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Foto: Wikimedia Commons, Guinea Bissau

Am 13. Oktober 1976, ich meine es war ein Freitag, startete ich nachmittags von Frankfurt aus in einer portugiesischen TAP-Maschine nach Lissabon. Mein Ziel war Guinea Bissau, gerade vor zwei Jahren (am 10. September 1974) von der ehemaligen portugiesischen Kolonialmacht in die Unabhängigkeit entlassen. Die guineische Befreiungsorganisation PAIGC (Partei für die Befreiung von Guinea Bissau und Kapverden), von Amilcar Cabral ins Leben gerufen, hatte schon am 24. September 1973 einseitig die Unabhängigkeit erklärt, noch vor dem Putsch (Nelkenrevolution) der portugiesischen Militärs gegen ihr eigenes faschistisch ausgerichtetes Regime.

Wie kam ich gerade nach Guinea Bissau, mein erstes außereuropäisches Land? Nach meinem Ökonomiestudium (1972) in Heidelberg schrieb ich mich in Soziologie, erst in Heidelberg, dann in Münster, ein, um in diesem Fach meinen Doktortitel zu erwerben. Hier lernte ich Prof. Sigrist kennen, der Direktor des Soziologischen Institutes in Münster war und in Heidelberg Gast-Seminare abhielt. Von ihm angeregt intensivierte ich mein Studium über Gesellschaftssystemen ohne Staat sowie meine „Dritte Welt“-Arbeit. Schon seit 1968, zur Zeit des Höhepunktes der studentischen antiimperialistischen Demonstrationen, war ich befreundet mit Repräsentanten von verschiedenen Befreiungsbewegungen in der „Dritten Welt“, u. a. mit Studenten aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien. Mit Prof. Sigrist und anderen Freunden gründeten wir dann die Amilcar Cabral-Gesellschaft zur Unterstützung der guineischen Völker. Da ich mich schon im Studium und besonders während der Ausarbeitung meiner Diplomarbeit mit Übergangsgesellschaften auseinandersetzte, war meine berufliche Intention schon lange auf eine Auslandsarbeit hin ausgerichtet. Meine Kontakte zur FRETILIN, der Befreiungsbewegung in Osttimor, machte dieses kleine Inselland inmitten des indonesischen Archipels zu einer ersten Option für Auslandstätigkeit. Jedoch fiel dieser Plan ins Wasser. Osttimor wurde schon neun Tage nach Ausrufung der Unabhängigkeit, Ende 1975, von Indonesien besetzt, dem der Westteil der Insel Timor gehörte. Indonesien befürchtete, dass eine Unabhängigkeit von Osttimor auch andere von Indonesien unterjochte Völker und Inseln ermuntern könnte, die Unabhängigkeit anzustreben.

Um Mitternacht sollte mein TAP-Flug von Lissabon nach Bissau abheben. Im Flughafengebäude, vor den Abfertigungsschaltern nach Bissau und Sal, der Zwischenlandestation auf den Kapverdischen Inseln, herrschte schon Stunden vorher ein Gewimmel von Guineern und Kapverdiern, die unzählige Gepäckstücke herbeigeschleppt hatten. Ihr Staat, der sich nach der Unabhängigkeit anfangs als gemeinsames Staatsgebilde, Guinea Bissau und Kapverden, konstituiert hatte, besaß eine sozialistisch ausgerichtete Regierung - die Warschauer Pakt-Staaten hatten den Befreiungskampf gegen Portugal, das Mitglied der NATO war, unterstützt - und verfügte über keinerlei Konsum- und Investitionsgüter. Die ausgereisten portugiesischen Kolonialisten hatten buchstäblich nichts hinterlassen, was den Einheimischen einen Neuanfang hätte ermöglichen können. Und die Waren aus dem Ostblock waren knapp und bestanden hauptsächlich aus Textilien, die in diesen Ländern zu den Ladenhütern gehörten. So hatten sich die nach dem Befreiungskampf in ihre Heimat zurückkehrenden Afrikaner mit allem in Portugal eingedeckt, was ihr Geldbeutel hergab. Das Flugpersonal der TAP drückte beim Übergepäck beide Augen zu, kannte es doch die eklatante Unterversorgung nur zu gut.

Der Anflug auf den kleinen Flughafen in Bissau war gegen acht Uhr morgens. Drei Stunden vorher, um 5 Uhr, die Morgenröte machte sich gerade zaghaft auf den Weg, war Stopover auf der kapverdischen Insel Sal, wo mithilfe der NATO ein strategischer Flugplatz im Atlantik erbaut worden war. Dieser diente jetzt nach der jüngst errungenen Unabhängigkeit vor allem den sowjetischen und kubanischen Flugzeugen auf den Flügen in die Ostblockländer, Kuba und die ehemaligen portugiesischen Kolonien in Afrika als Zwischenstopp. Sal: nichts wie flacher Sand, soweit das Auge reicht. Die tropische Meeresbrise vom Atlantik her lässt die Passagiere in der weiten, leeren Flughafenhalle Schutz vor dem feinen Sand suchen.

Die Annäherung an Bissau mit dem vorgelagerten Bijagosarchipel lässt das Land von der Größe von Rheinland Pfalz wie auf dem untenstehenden Satellitenbild (Wikimedia Commens) erscheinen. Der starke Wechsel der Gezeiten treibt das salzhaltige Wasser bis zu 150 km ins Landesinnere und schafft so ein einzigartiges, deltaähnliches Ökosystem mit Mangroven längs der Flussarme und mit Reis-Auen, die mit Lehm-Dämmen gegen das Eindringen des Meereswassers geschützt werden müssen.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/6/6e/Satellite_image_of_Guinea-Bissau_in_January_2003.jpg/320px-Satellite_image_of_Guinea-Bissau_in_January_2003.jpg

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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