Hat der Bürger eine Chance gegen BT-Parteien?

Wahlkampf 2017 (5) Wie macht ein parteiloser „Bürgerkandidat“ Wahlkampf, der nach 50 Jahren in seine Heimat zurückkehrt?

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Foto: Wikimedia Commons, Weserbergland bei Hameln/Grohnde mit Atomkraftwerk (So "schön" kann das Wesertal sein!)

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Sonntagabend, Bad Münder: Ich komme aus der ev. luth. Kirche zurück. Es gab ein Benefiz-Konzert, um für das Gemeindehaus zu sammeln. Vier Spieler, eine Sängerin, Jazz und Latino-Musik. Mir hat’s gefallen. Ein fetziges brasilianisches Stück rief bei mir „saudades“ hervor, die typisch portugiesische Sehnsucht nach Heimatlichem. Und das in der nüchternen, spießbürgerlichen Kleinstadt Bad Münder mit seinen renovierten Fachwerkbauten und allenthalben Schmutz auf Straßen und Plätzen. Eine junge Erfurterin, die wie ich in derselben kleinen Pension wohnte, hatte mich auf den Schmutz aufmerksam gemacht, der in Lateinamerika in vielfach gesteigerter Form einfach zum Straßen- und Landschaftsbild dazugehört. Ich kenne Erfurt nicht, wo es offensichtlich ordentlicher zugeht. Sind die „Ossis“ sauberer? Leider sind mir bisher die östlichen Bundesländer nur begrenzt untergekommen, obwohl ich sie doch gern kennen lernen würde. Aber das kann ja noch kommen. Mir war allerdings auch aufgefallen, dass meine alte Heimatstadt, die ich vor fünfzig Jahren wegen Bundeswehr und Studium und später Arbeit in peripheren Ländern verließ, weniger sauber als zu Kinder- und Jugendzeit aussah.

Nun gut, der Kirchenbesuch fand hauptsächlich deswegen statt, weil ich einmal den Ort meiner Kindergottesdienste, Konfirmation (Mein Gott, schon sechzig Jahre her!) und Weihnachtsspiele wiedersehen wollte. Dazu war das Konzert der geeignete Anlass. Und es gab einen weiteren Grund, die altehrwürde, protestantisch schmucklose Kirche wieder aufzusuchen: Ich wollte sehen, ob ich wenigstens ein bekanntes Gesicht unter den Besuchern, es waren wohl mehr als 100 Zuhörer anwesend, entdecken konnte. Aber nein, alle Anwesenden waren mir fremd.

Hätte ich als ein über fünfzig Jahre „verlorener Sohn“ der Stadt nach dem Konzert einfach das Mikrophon ergreifen sollen, um mich der versammelten Gemeinde vorzustellen und zu sagen: „Seht her, ich bin aus Sorge um das Mutter- und Vaterland aus der Ferne zurückgekehrt, um mich als Parteiloser um ein Bundestagsmandat zu bewerben.“ ?

Selbstverständlich hätte ich das nicht tun sollen, habe ich ja auch nicht. Aber eigentlich wäre das nur recht und billig gewesen. Warum? Dazu folgende Überlegungen:

1. Die Gründe meiner Intention, mich als Bürger in die Politik einbringen zu wollen und aus der „ Dritten Welt“ zurückzukehren, habe ich bereits ausführlich in Folge 1 und 2 erwähnt. Hier aber zusammengefasst noch einmal: Die unerträgliche Verschärfung der europäischen Krise, verursacht durch deutsche Hegemonialpolitik; dazukommend das fürchterliche Verhältnis zu Russland und die erniedrigende deutsche US-Schoßhund-Rolle. Ausschlaggebend für mich jedoch: die seit siebzig Jahren von den BT-Parteien verhinderte Souveränitäts-Rolle des Bürgers im Staat und der jüngst aufgebrochene, offen artikulierte Fremdenhass einerseits und eine völlig verfehlte Flüchtlings- und Integrationspolitik andererseits.

2. Nach fünfzig Jahren Abwesenheit kennt mich beinahe niemand in der Heimatstadt, geschweige denn in Hameln an der Weser, wo ich das Abitur machte, und im übrigen Wahlkreis. Auch bin ich von Anfang an völlig auf mich allein gestellt, um mich, wie man auf neudeutsch sagt, zu „vernetzen“. Trotz allem bestehe ich auf dem Recht, mich als Bürger in die derzeitige bedrohliche gesellschaftliche Situation einzumischen. Um meine Rückkehr vorzubereiten, schickte ich bereits Ende vergangenen Jahres meine politischen Vorstellungen an lokale Journalisten, jedoch ohne irgend ein Echo zu erhalten. Selbst meine Versuche zu Beginn März nach Ankunft im Weserbergland, die lokale Presse zu interessieren, erfuhren bislang „eisiges“ Schweigen. Die Kandidaten der etablierten Parteien, die ohne eigene politische Aussagen in die Wahlkampf-Arena steigen, lediglich mit dem Verdienst auf dem Buckel, altgediente Parteisoldaten zu sein, bekommen sofort Öffentlichkeit, wenn die BT-Parteien die Presse einbestellt. Der parteilose Kandidat, der einfache Bürger, wird von der „vierten“ Gewalt im Staate schlichtweg ignoriert. So funktioniert der Parteienstaat. Wir Bürger und Bürgerinnen wissen das ja schon seit „ewigen“ Tagen. BT-Parteien und Mainstream-Medien bilden eine unheilige Allianz, vor allem seit die Grünen im staatlichen Machtapparat fest verankert sind und über das Abschöpfen öffentlicher Pfründe ihre ursprünglichen Forderungen von Bürgerteilhabe und wahrer Demokratie im Mülleimer entsorgten.

3. Was bleiben mir dann an Möglichkeiten, mich als Person und meine Ideen von einer bürgerbestimmten Republik, im Gegensatz zum Parteienstaat, und von einer humanistischen Gesellschaft bekannt zu machen, und das alles mit äußerst begrenzten finanziellen Mitteln? In Lateinamerika, wo es allgemein keine Parteienfinanzierung gibt, können nur finanzkräftige Kandidaten auf erfolgreiche Kandidatur hoffen. In Deutschland sollte das eigentlich anders sein. Aber die BT-Parteien-Finanzierung durch öffentliche Kassen (und da ist Herr Schäuble durchaus nicht geizig) hat eine ähnliche Wirkung. Die Kandidaten dieser Parteien haben einen Riesenapparat im Rücken und zusätzlich die Mainstream-Medien kostenlos und treu an ihrer Seite. Und fristgerecht vor Wahlen werden billige Sprüche der BT-Parteien unters Volk gestreut, man wünschte sich mehr Bürgerbeteiligung. Welch‘ Hohn spricht aus diesen Worten! Ob der Bürger darauf reinfällt wie bei vergangenen Wahlen? Die hohen Zustimmungswerte zu den beiden großen Parteien scheinen das zu suggerieren. Und will denn der Bürger gar nicht Souverän im eigenen Staate sein? Genügt ihm das Dasein in der Hammelherde, wenn das Futter stimmt? Dann könnte die Volkssouveränität doch endgültig aus dem Grundgesetz gestrichen werden, nachdem sie seit 1949 für den Bürger sowieso eine Schimäre ist. Warum sagen die BT-Parteien das nicht ehrlicherweise? Meine bescheidenen Möglichkeiten als parteiloser Direktkandidat sind zuerst einmal die Suche nach Gleichgesinnten im Wahlkreis und das direkte Gespräch mit so vielen Bürgerinnen und Bürgern wie möglich. Dazu in der nächsten Folge mehr.

4. Die zweite Möglichkeit der Überbringung von politischen Botschaften sind die sozialen Internet-Netze. Bisher war ich ein Laie in dieser Art der Kommunikation. Wer will sich schon wissentlich der Schnüffelei aussetzen, von wem auch immer veranlasst, die im Internet-Zeitalter wie eine gefräßige Spinne über das Land zieht und nach Beute Ausschau hält? Aber will ich wenigstens einige Menschen zur Abkehr von Obrigkeits-Gehorsam und für Zivilcourage sowie unabhängiges Denken ermutigen, dann muss ich in diesen sauren Apfel der sozialen Internet-Netze beißen, ob ich das nun will oder nicht. Das war mir auch von Beginn an klar. So entstand die Idee meiner persönlichen Website (hermann-gebauer.de) und der Weserbergland-Zeitung (wbl-online.net). Beide Seiten sind jetzt online und sind mit meinen accounts auf facebook und twitter vernetzt. Mein Gott, wie sauer schmeckt dieser Apfel! Aber es bleibt mir keine andere Wahl. Fazit: Wie ist doch Demokratie in Deutschland aus dem Ruder gekommen? Oder war sie seit jeher ein Wunschbild ?

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Für heute reicht’s. Tschüss bis zur nächsten Folge. CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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