Lerne ich Deutschland zu hassen?

Ich liebe Europa! Deutschlands Politik hat sich am 12./13. Juli 2015 in Brüssel endgültig von europäischen Werten verabschiedet, schlimmer: 70% unterstützen Merkel und Schäuble.

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Foto: Wikimedia Commons, Düsseldorfer Karneval, Rosenmontag 2014

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Wenn ich ein Grieche wäre,

würde ich mich keinen Tag länger zerquetschen lassen,

auch wenn sie mich hassen,

Deutschland, das unbarmherzige Schwer-Gewicht

und Rest-Europa, das abhängige Leicht-Gewicht.

Wenn ich ein Grieche wäre,

würde ich Tsipras raten:

Wahre Dein Gesicht,

verrate Deine Prinzipien nicht!

Trete vom Amt zurück!

Lass Volk und Parlament entscheiden,

einen Neuanfang zu wagen.

Ohne Schulden, mit eigenem Geld,

einzig mit würdiger Arbeit der Bürger

und dem Reichtum der griechischen Welt

befreit sich das Land aus den Krallen deutscher und europäischer Würger.

Wenn ich ein Grieche wäre,

würde ich das heutige Leid auf mich nehmen

und zukünftigen Generationen zeigen:

Es geht auch ohne den Reigen

der gierigen Herrscher ums Goldene Kalb.

Leben heißt nicht unersättlich fressen,

Leben heißt nicht Schwache auszupressen.

Leben heißt arbeiten und genießen,

heißt fühlen, denken und heißt lieben.

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Da ich aber Deutscher bin,

empfinde ich tiefen Scham zu Wochenbeginn.

Alles, was ich als Kind gelernt,

was mir an Ethik, Nächstenliebe, Solidarität und Humanismus beigebracht,

um endlich vergangene Unmenschlichkeit zu überwinden,

um einmal in der Geschichte deutsche Friedenskränze zu winden,

das alles verschwand in einer Brüsseler Schreckensnacht.

All die guten Worte in früher Kinder-Stund,

ausgesät aus weisem Mund,

sind wieder einmal im Nichts verweht,

durch deutsche Führer, durch deutsche Besserwisserei,

durch deutsche Hartherzigkeit, Selbstgerechtigkeit und Herrschaftsheischerei.

Das, was mich am meisten traurig macht,

ist nicht das kalte Herz der Herrschenden,

nein, es ist die überwiegende Mehrheit der Deutschen im Land,

die das Handeln der deutschen Führer richtig fand.

Ich liebe mein Mutter-, mein Vaterland,

doch beginnt diese Liebe zu erblassen.

Fange ich an zu hassen,

was mir einst so teuer war?

Sollte ich stattdessen mit Europäern Neues wagen,

die die Untertanenrolle verweigern

und den Herrschenden den Kampf ansagen?

Liegt hier die Zukunft der guten Worte aus der Kinderzeit?

Sind wir gemeinsam zum radikalen, humanen Schritt bereit?

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Costa Esmeralda, später Abend des 13. Juli

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

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