Négritude, Gedanken of color

Aimé Césaire Meine Antwort auf Michael Jäger. Neo-Kolonialismus und Ethnozentrismus verhindern weiterhin den gemeinsamen Brückenbau nach Afrika

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Dank an Michael Jäger für die Erinnerung an Aimé Césaire (Négritude), der u. a. Frantz Fanon beeinflusste und beide zusammen das ideologische Gerüst der 68-Generation (hier)

Michael, Dein Schlusssatz könnte nicht besser formuliert sein:

Wenn man Césaire liest, kann man sich über die dreiste Selbstgewissheit nur wundern, mit der dieselben Nationen das Menschenrecht erst blutig schlagen und dann, wenig später, mit Jesusmiene von ihren Opfern einfordern.

Nachfolgend ein kleiner Text (Fiktion) aus einem entstehenden Buch über meinen Wahlkampf als Unabhängiger in 2017. 50 Jahre nach 1968 wird Menschenrecht weiterhin mit Füssen zertrampelt. Warum hat unsere 68er-Generation dermassen versagt, dass unsere Regierungen weiterhin Staatsterror schüren können und eine rasant wachsende Zahl von deutschen Fremdenfeinden heranwächst?

Neo-Kolonialismus und Flucht

„Ich heiße Kambale, bin achtzehn Jahre alt und komme aus der Demokratischen Republik Kongo. Meine Heimatprovinz ist Nord-Kivu, wo ich nahe der Grenze zu Uganda in einem kleinen Dorf geboren wurde. Als ich dreizehn Jahre alt war, überfielen Hutu-Rebellen unser Dorf. Seit dem von ihnen begangenen Völkermord an den Tutsis im Jahre 1994 waren sie aus Ruanda geflüchtet und terrorisierten jetzt in unserer Provinz die Menschen. Mein Vater wurde mit anderen Männern des Dorfes getötet. Meine Mutter wurde vor uns Kindern vergewaltigt, ebenso wie meine vierzehnjährige Schwester. Danach wurden sie wie mein Vater erschossen. Meinen kleinen Bruder und mich verschleppten sie zusammen mit anderen Kindern in das Rebellen-Lager. Dort wurden wir zuerst im Gebrauch von Waffen unterrichtet. Wer sich dabei ungeschickt anstellte, wurde erschossen. Unsere ersten Aufgaben waren das Töten von Hunden und anderen Tieren. Zur Beruhigung durften wir Haschisch rauchen. Ich bekam ein deutsches G3-Gewehr. Die Rebellen sagten, die Waffen kämen aus dem Sudan, und seien dort originalgetreu nachgebaut oder dorthin geschmuggelt worden. Auch mussten wir lernen, mit Walther Pistolen, deutschen Panzerfäusten und Landminen umzugehen. Kalaschnikows, hörten wir, wären aus alten DDR-Beständen nach Afrika gelangt. Deutsche Waffen, so beteuerten unsere Chefs immer wieder, seien zum Töten bestens geeignet. Ich erzähle Dir das, weil Du eine deutsche Journalistin bist und die Menschen in Deutschland wissen sollen, welches Unheil sie mit ihrer Waffenproduktion anstellen. Mein Bruder und ich wie auch andere Kinder aus unserem Dorf wurden gezwungen, an den Überfällen der Rebellen in unserer Region teilzunehmen. Wir Kindersoldaten waren immer die Ersten, die im Morgengrauen die Dörfer überfielen und die Bewohner töteten. Dabei mussten die erwachsenen Männer zuerst dran glauben. Danach kamen Mädchen und Frauen dran, die vergewaltigt und anschließend bis auf wenige getötet wurden. Die Überlebenden wurden den Kriegern als Frauen zugeteilt. Zum Schluss brachte man dann die ganz kleinen Kinder um, da sie für den Krieg nicht zu gebrauchen waren. Die halbwüchsigen Jungen wie mein Bruder und ich hatten das ‚Glück‘, mit dem Leben davon zu kommen und als neue Kindersoldaten ins Rebellenlager entführt zu werden. Die Überfälle fanden immer statt, wenn im Lager kein Essen mehr vorhanden war und deshalb Dörfer geplündert werden mussten. Nach zwei Jahren wurde ich zusammen mit meinem Bruder eingeteilt, in einem Minenfeld nach Kobalt, Gold, Coltan und anderen Mineralien zu suchen. Dabei wurden wir jetzt durch neu rekrutierte Kindersoldaten beaufsichtigt. Und wehe wir wurden schwach und förderten nicht genug zutage. Viele meiner Freunde, die einfach nicht mehr konnten, wurden kurzerhand umgelegt. Unsere Arbeitsinstrumente waren Hacken, Schaufeln, Macheten und unsere bloßen Hände. Oft buddelten wir tiefe Gänge in den Boden, die besonders in der Regenzeit Gefahr liefen einzustürzen. Ich kann gar nicht zählen, wie viele meiner Kameraden in diesen zwei Jahren lebendig unter der Erde begraben wurden. Man sagte uns, die Mineralien würden nach Uganda geschleppt, wo man sie für gutes Geld verkaufen kann, um damit neue Waffen zu erwerben. Ich wusste anfangs nicht, wofür Kobalt und Coltan wichtig sind, die vor allem chinesische Händler aufgekauften. Meine Chefs meinten, ohne diese Metalle würden keine Handys und Computer funktionieren. Batterien brauchten ebenfalls diese Mineralien. Auch die Handy-Verbindung zu unserem Ober-Boss in Deutschland, der in einer Stadt namens Mannheim wohnt, könnte ohne die Mineralien nicht funktionieren. So würde unsere Arbeit in den Minen dazu beitragen, dass der Boss regelmäßig über Handy Befehle von Deutschland aus übermitteln könnte. Ich nehme an, dass auch Dein Handy und Computer nicht ohne unsere Kinderarbeit im Kongo funktionieren würden. Was meinst Du, würdest Du Dein Handy und Deinen Computer wegschmeißen und nie wieder neue kaufen, wenn Du wüsstest, unter welchen entsetzlichen Umständen ich und zehntausende Kinder im Kongo dafür arbeiten müssen? Es gibt sicher auch andere Orte in der Welt, wo Kinder wie Sklaven ausgenutzt werden, aber im Kongo ist unsere Lage besonders grausam. In diesen Minen habe ich zwei Jahre gebuddelt und davon geträumt, eines Tages aus dieser Hölle flüchten zu können. Mein Bruder und ich begannen heimlich Goldkörner zu verstecken, um das nötige Geld für eine Flucht zusammenzusparen. Da wir viel über Deutschland hörten, begannen wir davon zu träumen, in dieses Land zu flüchten. Da, wo die Waffen herkämen, wo man alle Handy- und Computer-Marken der Welt kaufen könnte und auch unser oberster Boss in einem schönen Haus leben würde, müsste das Leben wie im Paradies sein. Bei einem Kobalt-Transport begleitete ich unseren Chef über die ugandische Grenze. Dem chinesischen Händler zeigte ich heimlich meine Goldkörner, wofür er mir ein Bündel Dollarscheine zusteckte. In einer Nacht gelangten mir und meinem Bruder die Flucht aus unserem Lager. Wir schlugen uns bis zum Sudan und danach nach Ägypten durch. Unser Ziel war die Stadt Alexandria an der Mittelmeerküste, von wo aus wir nach Europa und Deutschland übersetzen wollten.“

Der achtzehnjährige Kambale erzählte das alles mit ausdruckslosem Gesicht. Er schien das Alter eines Dreißigjährigen zu haben. Sein Bericht wurde nur kurz durch Jasmins Zwischenfragen unterbrochen. Jetzt machte er eine Pause. Seine Gesichtszüge verzerrten sich unvermittelt und er brach in Tränen aus. Sein ganzer Körper wurde wie von unsichtbarer Macht durchgeschüttelt.

„Mein lieber Bruder! Was mache ich jetzt ohne Dich? Ich habe niemanden mehr auf der Welt,“ bejammerte er den Tod seines siebzehnjährigen Bruders. Jasmin hatte Kambale in einer koptischen Christenfamilie in Alexandria in der zweiten Hälfte des Jahres 2013 getroffen, als sie für das DA über den Militärputsch gegen die ägyptische Regierung unter Präsident Mursi und die Muslimbrüderschaft berichtete. Die Muslimbrüder wehrten sich mit Händen und Füssen gegen die Entmachtung des ersten demokratisch gewählten Präsidenten in der ägyptischen Geschichte. Der „Arabische Frühling“ war von Tunesien ausgehend im Januar 2011 nach Ägypten übergesprungen und hatte zur Abdankung des Diktators Mubarak geführt, der das Land dreißig Jahre lang mit eisernem Griff regierte. Mursi und die islamistische Muslimbrüderschaft in Kollaboration mit anderen demokratischen Kräften waren gerade ein Jahr im Amt, als die traditionellen Eliten aus Militär, Justiz und Verwaltung eine sogenannte zweite Revolution entfachten, um eine neuerliche Diktatur unter ihrer Herrschaft zu installieren. Aus Rache gegen diese Entmachtung wandten sich die Muslimbrüder auch gegen die Kopten, die beschuldigt wurden, mit den Militärs gemeinsame Sache zu machen, und brannten viele ihrer Kirchen nieder. Der Pogrom der Muslimbrüder richtete sich auch teilweise gegen Schwarzafrikaner, die Ägypten als Ausgangspunkt für ihre Flucht nach Europa gewählt hatten. Beim Sturm auf eine koptische Kirche in Alexandria wurde der Bruder von Kambale getötet. Er selbst kam verletzt mit dem Leben davon und wurde von koptischen Gemeindemitgliedern gerettet und versteckt. Viele Christen hatten aus Angst vor der Verfolgung durch die Islamisten Schlepper kontaktiert und hofften auf baldige Flucht über das Mittelmeer nach Italien. Sie versprachen, Kambale mitzunehmen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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