Osterei für die dFC

Schuld der Väter Kleine Geschichte aus der Karibik, absolut erfunden

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Foto: Hermann Gebauer (15. März 2015), Blick vom „Barrio“ Cristales in Trujillo, hinüber zu dem ankernden Kreuzfahrtschiff vor Puerto Castilla, Honduras

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Carol blickte verträumt und schläfrig zu ihrem Kreuzfahrtschiff hinüber. Auf der Restaurant-Terrasse hatte sie es sich bei einer eisgekühlten Cola in der früh-mittäglichen Stunde bequem gemacht. Vor ihr einige Liegestühle mit Sonnenschirmen auf dem Sandstrand, der sanft von den Karibikwellen benetzt wurde. Ronald, ihr Garifuna-Führer, und Nohemy, sein Enkelkind, hatten Carol für eine halbe Stunde unter Obhut der Wirtin gelassen.

Ronald wohnte schon seit Ende der 80er Jahre in Cristales, dem „Garifuna-Barrio“ von Trujillo, wohin zahlreiche afrika-stämmige Garifuna aus der Grenzregion Moskitia übergesiedelt waren, seit die von der CIA-trainierten „Contras“ von dieser Region aus ihren blutigen Guerilla-Krieg gegen das revolutionäre sandinistische Regime, das 1980 die Macht in Nicaragua an sich gerissen hatte, begannen. Am liebsten hätte Ronald seinen Vornamen in die Wüste geschickt, war es doch der gleiche Vornahme des US-Präsidenten Reagan, des „Kommunisten-Fressers“ und „Diktator-Freundes“ so vieler brutaler lateinamerikanischer Führer. Die 80er-Jahre waren Sternstunden für die CIA, die bei der Schulung lateinamerikanischer Militärs und Milizen in menschenrechtswidrigen, exzessiven Methoden all ihre totbringenden Fähigkeiten ungehemmt einbringen konnten, dank „Ronald“. Selbst nachdem der US-Kongress in 1985 die offizielle Unterstützung der „Contras“ untersagt hatte, billigte und förderte der US-„Ronald“ das Wüten der CIA in Zentralamerika, jetzt hauptsächlich mit Erträgen aus dem Drogenhandel.

Hin und wieder schweiften Carols Blicke und Gedanken über die Meeresbucht hinüber zum Kreuzfahrtschiff, mit dem sie zusammen mit ihrer Mutter Sarah vor einer Woche von Florida aus aufgebrochen war. Sarah war wegen immer wieder auftauchenden Asthmaanfällen auf dem Schiff geblieben und hatte ihrer Tochter Carol für den achtstündigen Landgang alles Gute gewünscht. Das Touristen-Schiff mit seinen „satten“ Gästen aus dem Norden schipperte durch die wunderschöne, exotische Karibik und machte dann und wann halt in ärmlichen Ländern, um den verwöhnten Schiffsreisenden neben Sekt, Kaviar, Partys und Schlemmern ohne Ende auch billige Aussicht auf Armut und Elend in diversen Karibikstaaten anzubieten, eine Folge der glorreichen lateinamerikanischen „Hinterhof-Politik“ der US.

Am Kai von Puerto Castilla warteten schon die zahlreichen honduranischen Taxis mit ihren Tourismus-Führern, um die „Gringos“ für einen Tag, an dem diese durchschnittlich 10 US$ pro Nase ausgaben, in Trujillo und Umgebung herumzukutschieren. Als Carols Bus auf der zentralen Plaza des historischen Trujillo ankam, entschied sie sich für den dort wartenden Ronald mit seiner Enkelin Nohemy an der Hand, um einen Rundgang in dem „Garifuna-Bairro“ Cristales anzutreten. Ronald war einer unter vielen, die ihre Führer-Dienste für einen 5-US$-Obolus anboten. Carol entschied sich für Ronald wegen dessen sympathischem Äußeren eines fürsorgenden Großvaters mit Enkelin an der Hand, gegen deren Lächeln jeglicher Widerstand zwecklos war.

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Foto: Hermann Gebauer (10. März 2015), Garifuna-Mädchen aus Plaplaya, Moskitia, Honduras

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Carol war Anfang Dreißig. Sie war die Tochter von Sarah und George Walker Meyers, kurz Geoge W. Meyers. Die CIA-Kumpel riefen George W. einfach „the bull“, der unverwüstliche Haudegen und Stier, der keine Hindernisse im Aufspüren, Kampf und Zähmung kommunistischer Feinde kannte. „The bull“ hatte es weit in der Hierarchie der CIA gebracht. Und unter der Reagan-Administration bekam seine Karriere einen erneuten Schub durch sein unerschrockenes Auftreten im Gefolge des „Contra“-Unternehmens in der Moskitia an der nicaraguanischen Grenze. Auf einem Heimat-Urlaub Anfang der 80-er Jahre hatte er Sarah geheiratet und geschwängert. In der zweiten Hälfte der 80er-Jahre geriet er bei einer Contra-Aktion auf nicaraguanischer Seite, an der er beratend teilnahm, in einen Sandinista-Hinterhalt und fand dabei den Tod. Seine Leiche wurde niemals geborgen. Nach Aussagen der Contras mussten die Sandinistas diese irgendwo verscharrt haben. Aber die Reagan-Administration samt CIA zeigte sich Sarah und der kleinen Carol gegenüber äußerst großzügig, erklärten George W., „the bull“, post mortem zum nationalen Helden und gewährten der damals noch jungen Witwe eine stattliche, lebenslängliche Pension. Diese erlaubte Sarah eine jährliche Schiffsreise mit ihrer Tochter zu machen. Im Frühjahr 2015 führte die Reise ausgerechnet zu ehemaligen Wirkungsstätten von George W., „the bull“, in der dieser sein nimmermüdes Wühlen gegen kommunistische und imaginäre Feinde der US auf die Spitze treiben konnte.

Sarah und Carol wussten wenig vom Treiben des Ehemannes und Vaters. Nur vom Hörensagen ehemaliger Kumpel war Einiges durchgesickert, Anderes blieb für immer im Dunkel der Geheimdiensttätigkeit vergraben. Es herrschte ein außerordentlicher Klassengeist inmitten der auserlesenen und eingeschworenen CIA-Gemeinde. Nur bei gelegentlichen feierlichen Anlässen, bei denen auch Familienmitglieder zugelassen waren, förderten männliche Besäufnisse einige Legenden ans Tageslicht, die von wahnsinniger Tapferkeit, eisernem Willen und kalter Unerbittlichkeit gegenüber Feind und Verrätern in eigenen Reihen schwelgten.

Carol hatte als kleines Mädchen immer wieder das Hochzeitsbild der Eltern angesehen und stellte sich ihren Vater beschützend an ihrer Seite vor. Die Mutter konnte oder wollte nicht viel vom „Papa“ erzählen. Seit Carol während ihres Universitätsstudiums erstmalig mit den kriminellen Methoden der CIA in den 80er und 90er Jahren in Zentralamerika konfrontiert worden war, entwickelte sie eine ambivalente Haltung bezüglich weiterer Nachforschungen über ihren Vater. War es für sie nicht einfacher, die Wahrheit über ihren Vater nicht zu erfahren? Hatte er oder hatte er keine Schuld an diesen entsetzlichen Machenschaften der CIA?

In derartigen Gedanken versunken wurde Carol plötzlich von Ronald und Nohemy in die Wirklichkeit Trujillos zurückgeholt. Ronald hatte mit Nohemy das Mittagsessen zusammen mit Ronalds Frau im gemeinsamen schlichten Haus in Cristales eingenommen. Ronald war zu stolz, um auf das Angebot von Carol einzugehen, Großvater und Enkelin das Essen zu spendieren. Jedoch waren beide Garifuna einverstanden, frischen Kokosnusssaft zu trinken, während Carol die mit Kokosmilch angerichtete leckere Fischsuppe in vollen Zügen genoss.

Den gemeinsamen Kaffee von Carol und dem etwa 55jährigen Ronald nutzte Nohemy, um mit anderen Kindern im warmen Meereswasser herumzutoben. Bald fand Carols Neugier keine Grenzen mehr, als sie aus einer beiläufigen Bemerkung Ronalds heraushörte, er käme aus der Moskitia-Gegend und sei dort geblieben bis Ende der Contra-Aktivitäten. Sein ausgezeichnetes Englisch hätte er der Beschäftigung bei der CIA in den 80er Jahren zu verdanken, denen er mit Übersetzungstätigkeiten und geographischen Kenntnissen über die Moskitia-Gegend wertvolle Führer-Dienste leistete.

Ronald wollte sich über die Vergangenheit nicht näher auslassen, schämte er sich doch bis auf den heutigen Tag, als junger Mann ohne jegliche Perspektive in seiner Heimatgemeinde den Job bei einem hochrangigen CIA-Mitglied als kundiger Führer angenommen zu haben. Doch Carol drängte immer vehementer darauf, er solle ihr mehr über diese Zeit erzählen. Als Ronald mit einem Mal erwähnte, dass sein CIA-Boss ein sogenannter „the bull“ war, erschrak sie bis ins Mark, erbleichte, verstummte und brachte minutenlang keinen Ton heraus. Ronald meinte, er hätte etwas Falsches gesagt, entschuldigte sich und schwieg ebenfalls.

Erst nach langer Pause gewann Carol wieder Gewalt über sich und wollte Einzelheiten über Ronalds CIA-Chef wissen. Das Einzige, was sie Ronald entlocken konnte, war, dass George W. während seiner Tätigkeit in der Moskitia mit Gewalt ein 16jähriges Garifunamädchen als Geliebte nahm, für die Ronald bei allen CIA-Unternehmungen in der Region Sorge übernehmen musste. Ronald war damals anfangs zwanzig, und als „the bull“ bei einem Hinterhalt in Nicaragua umkam, machte sich Ronald mit der Geliebten auf den Weg nach Trujillo. Er und „the bulls“ Geliebte hatten mit den Contras und der CIA endgültig abgeschlossen und wollten ein neues Leben beginnen. Die beiden Garifuna hatten einige Ersparnisse in US$ und heirateten kurz nach Ankunft in Trujillo. Ihre einzige Tochter hinterließ das Baby Nohemy. Die Mutter starb noch im Wochenbett.

Carol dankte Ronald still und drückte ihm beim Abschied eine 10 US$-Note in die Hand. Sie wollte schnell zum Schiff zurück und mit ihren Gedanken allein sein. Sie war sich nicht gewiss, ob sie ihrer Mutter von der Begegnung mit Ronald erzählen sollte. Das Wissen über den Vater könnte der Mutter Leid bis ans Ende ihrer Tage zufügen. Was Nohemy anbetraf, so könnte sie vielleicht später eine Art Patenschaft aufnehmen und versuchen, wenigstens ein wenig die Schuld ihres Vaters zu begleichen. Aber darüber müsste sie zurück in Florida gewissenhafter nachdenken. Als sie Nohemy beim Abschied spontan in den Arm nahm und noch einen letzten Blick von Cristales längs des Trujillo-Panoramas an der Karibik warf, konnte sie ihre Tränen kaum zurückhalten.

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Foto: Hermann Gebauer (14. März 2015), Strandpanorama von Trujillo, vom „Bairro“ Cristales aus gesehen

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Noch liebe Ostergrüsse aus Panamá und hoffentlich Wärme im Heimatland (im ganzheitlichen Sinne), CE

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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