"Vergatterung der neuen Volks-ver-Treter"

Volks-Treter? „DER ERSTMALIG GEWÄHLTE BUNDESTAGSABGEORDNETE“, Possenspiel 1. Akt, Ort: Fraktionssaal des neuen Schoßhündchens der Kanzlerin, der SPD

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Foto: Wikimedia Commons, Bundestag im Reichtagsgebäude aus der Sicht des Hinterbänklers und des erstmalig gewählten Volks-ver-Treters

Liebe dFC,

angesichts dieser stürmischen Herbsttage mit Koalitionsverhandlungen von Union und SPD kommt ein Possenspiel zur rechten Zeit.

Mitwirkende: 13 Ober-Genossen der SPD und 87 neue SPD-Bundestagsabgeordnete

Einleitende Information zum Possenspiel

Die Stirnseite des Fraktionssaals der 150 Jahre alten SPD im Reichtagsgebäude ist mit 13 illustren Ober-GenossInnen aus Partei und Fraktion, die hinter einer langen Tafel sitzen, bestens besetzt. Vor ihnen sitzen 87 erstmalig gewählte, feierlich gekleidete SPD-Abgeordnete, darunter nahezu 40 Frauen. Alle sind mit Block und Bleistift bewaffnet und in freudiger Erwartung wie in einem Anfänger-Seminar für Politische Wissenschaften üblich.

Auf der Tafel vor den Ober-GenossInnen stehen Flaschen mit Wasser, Bier und Champgner sowie ein erlesenes kaltes Buffet. Wer sich in Jahrzehnten von SPD-Kärrnerarbeit bis zur/m Ober-Genossin/en hoch gedient hat, dem stehen kleine Schlemmereien zu. Die Parteienfinanzierung für die SPD sowie die Mitgliederbeiträge sind zwar im zurückliegenden Wahlkampf völlig verbraten worden, aber glücklicherweise hat der DGB ausgeholfen, dass bis zum Jahresende die Fraktion nicht darben muss. In der Not wäscht eine Hand die andere. Alte Genossentradition.

Ab Januar jedoch sprudeln die Steuergelder wieder für die Partei, dass der Untertan-Bürger seine gesteigerte Freude hat. Der Union und der SPD gönnt er den warmen öffentlichen Geldsegen, nachdem die schmarotzende FDP endlich vom Futtertrog verbannt wurde. Der Untertan-Bürger sagt sich: Wenn die Briten ein unnützes Königshaus durchfüttern, warum dürfen dann die Deutschen nicht bei ihren Volks-(ver)-Tretern kräftig hinlangen?Auch die Parteinahen Stiftungen, wie die Friedrich Ebert Stiftung, sollen sich anständig satt essen können. Fürs Aufpäppeln des offiziellen Berlin ist dem Untertan-Bürger nichts zu teuer.

Selbstverständlich zählt zu den Ober-GenossInnen der stattliche Parteivorsitzende im Zentrum, eingerahmt vom Ex-Kanzlerkandidaten und dem Fraktionsvorsitzenden.

Abschließende Bemerkung: Es versteht sich von selbst, dass diese Posse reine Fiktion ist. Etwaige Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen oder bestehenden Organisationen sind rein zufälliger Natur. Angesprochene sollten sich folglich besser nicht angesprochen fühlen, sonst könnten sie eventuell auf die Palme klettern, und das könnte unsanfte Folgen zeitigen.

Beginn des Ersten Aktes

Der Parteivorsitzende lässt sich nicht lumpen und zieht persönlich den Vorhang auf. Danach setzt er sich in die Mitte der Tafel und blickt bedeutungsvoll auf seine 6 Jünger zur Rechten und den 6 zur Linken, Männlein und Weiblein alternierend.

Erst schüchtern, dann aber kräftiger werdend kommt Beifall bei den 87 Frischlingen auf, als sich der Parteivorsitzende zu seiner Begrüßungsrede erhebt. Man merkt ihm an, er hätte die Rede lieber im Sitzen gehalten. Aber Ehre, wem Ehre gebührt. Mit mildem Lächeln überblickt er seine Gefolgschaft und hebt mit sonorer Stimme an:

Parteivorsitzender:

Meine lieben frischgebackenen Volks-Treter!

Unruhe im Saal, Scharren mit den Füssen.

Parlamentarischer Geschäftsführer: (raunt)

Das heißt Volks-ver-treter. Sag doch lieber Genossinnen und Genossen. Mein Gott, gut das die Presse längst das Weite gesucht hat, nachdem sie sich hier vollgefressen hat. Mach‘ bloß keine Versprecher mehr und Schüsse aus der Hüfte wie Genosse Ex-Kanzlerkandidat. Sonst ist unser Ruf vollends am „Ar...“, na Du weißt schon.

Parteivorsitzender: (räuspert sich)

T’schuldigung! Seit Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der Union bin ich ein wenig unpässlich. Das mit dem Volks-Treter ist mir so rausgerutscht. Doch wie Ihr ja zur Genüge wisst, ich mache gern auf Satire.

Blickt auf die anderen ObergenossInnen herab, die verständnisvoll lächeln.

Ministerpräsidentin und Mitglied des Bundesvorstandes: (zischt unter der Hand zu ihrem Tischnachbarn)

Eigentlich hat er ja recht.

Parteivorsitzender: (schenkt sich Champagner ein und hebt sein Glas)

Also jetzt noch einmal von vorn: Liebe Genossinnen und Genossen! Wir alle vertreten das Volk. Darauf ein Prost!

Die zwölf „Jünger“ an der Tafel erheben sich und prosten dem Parteivorsitzenden zu. Einige der Frischgebackenen schnalzen hörbar mit der Zunge.

Ein Neuer: (flüstert seiner Nachbarin zu)

Sauerei, dass sie uns trocken halten!

Parteivorsitzender:

Seid erst einmal ganz herzlich im Herzen der Staats-Macht willkommen. Aus Erfahrung kann ich Euch eins verraten: Ihr werdet nicht lange auf dem Trock’nen sitzen, denn das Volk hat Euch lieb. Wenn in einem Monat der erste Rubel rollt, ich meine natürlich die Abgeordneten-Knete, in Rubeln schwelgt nur unser geschätzter Alt-Kanzler. Also wenn die erste Knete schwarz auf weiß wie eine Bombe auf Euer Konto herabsaust, dann spätestens geht jedem ein Licht auf, dass Euch das Volk bis ins Grab auf Rosen bettet.

Freudiges Trampeln der Neuen im Saal.

Franktionsvorsitzender: (unter vorgehaltener Hand)

Mach’s kurz und erklär die zukünftige verantwortungsvolle Rolle des Volksvertreters. Dann komme ich.

Parteivorsitzender: (staatsmännisch)

Liebe Frischgebackene! Ich meine natürlich neue Abgeordnete! Jetzt werde ich Euch in knappen Worten das zukünftige Dasein des Volksvertreters erklären: Ein für alle Mal sollt Ihr wissen: Das HartzIV-Schicksal bleibt Euch erspart. Unbezahlte Rechnungen bleiben erspart. Die Speise-Tafel, die nicht bezahlbaren Extra-Krankenkosten, das Reste-Stöbern im Müll, Altersarmut, Abschiebe in Psychatrien, all diese leider notwendigen Begleiterscheinungen der Agenda unseres hochgeschätzten Alt-Kanzlers, die uns dazumal die Kapitalbonzen aufoktroyiert haben, bleiben Euch erspart. Ab heute könnt Ihr Euch ungeniert und ohne Komplexe in den Nobel-Kneipen der Nation tummeln und Euch mit den Reichen an einen Tisch setzen. Es lohnt sich, ihrem Rat zu lauschen. Die besten Sprüche haben Banker und Konzernchefs der DAX-Konzerne drauf. Ihr werdet nie mehr in den zweifelhaften Genuss eines Lebens unterhalb der Armutsschwelle kommen, den jetzt 30 Prozent unserer Bevölkerung heroisch auf sich nehmen. Dafür sollten wir dem Volk aufrichtig Dank sagen! Viva das Volk!

Der Parteivorsitzende schüttet den Champagner hinunter als sei es ordinäres Leitungswasser. Danach stopft er sich eiligst einen Tost mit Kaviar in den erwartungsvollen Mund.

Fraktionsvorsitzender: (ungeduldig am Ärmel des Parteivorsitzenden zupfend und nur von den Tischnachbarn zu vernehmen)

Nun komm schon zu Potte!

Parteivorsitzender (salbungsvoll, sich seiner Verantwortung für die „Frischlinge“ bewusst)

Meine Rede möchte ich mit folgenden bedeutungsschweren Worten beenden, die Ihr gefälligst in Eure Gehirne einbrennen sollt. Jeden Morgen müsst Ihr vor dem Spielgel sagen: „Ich vertrete das Volk und verkonsumiere rechtens seine Steuern. Ich mache Gesetze, bestimme über Regierung und Justiz. Ich schwöre alles zu tun, dass es der Partei und mir selbst gut geht. Katastrophen fürs Volk werde ich zum Wohle der Partei und zum eigenen Wohl abwenden“.

Schließlich will ich Euch nicht das Credo des SPD-Volksvertreters vorenthalten, das weise Parteivorsitzende seit Generationen weiterreichen:

„Ich bin der Volks-Vertreter,

hin und wieder Volks-Verräter.

Die Partei hat mich gewählt,

für die ich mich gequält.

Der Wähler hat mich abgenickt,

ob dieser wollte oder nicht.

Bin der Partei verpflichtet,

nicht dem Gewissen und dem Volk.

Mein Lohn ist regelmäßig Knete,

Tag für Tag,

bis in’s Grab.

Wie gern ich Dich vertrete!

Volk, dank‘ Dir, dass Du schläfst

und mich immer wieder wählst.“

Nach diesem Credo, das der Parteivorsitzende nicht einmal vom Zettel abzulesen brauchte, so sehr hatte er es seit seiner ersten Wahl zum Abgeordneten verinnerlicht, braust donnernder Applaus der Ober-GenossInnen und der 87 Neu-GenossInnen auf.

Einer Neugewählten allerdings flutschte es spontan heraus:

Neugewählte:

Parteivorsitzender! Geht es immer so wahrhaftig in der Fraktion zu?

Parteivorsitzender:

Ja sicher, in der Fraktion wird Tacheles geredet, wenn die Presse draußen ist. Es gilt die Goldene Regel: Unter uns herrscht die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Und was das Volk wissen darf, das bestimmen wir Obergenossen und Obergenossinnen.

Nach dieser Belehrung beginnen die Letztgenannten hastig zu mampfen und zu trinken. Besonders der Parteivorsitzende schlägt nach getaner Rede kräftig zu. Fraktionssitzungen pflegen an die Substanz zu gehen. Die Neuen stecken sich schnell ein Kaugummi in den schon reichlich trockenen Mund. Doch das vernommene Credo des Volksvertreters zaubert ein seliges Lächeln auf ihre Antlitze, als würden diese von der letzten Herbstsonne gestreichelt.

Doch keine fünf Minuten vergehen, da akkumuliert angesichts der Opulenz des kalten Buffets und des gierigen Zuschlagens der ObergenossInnen der Speichel in den Mündern der Neuen. Das bleibt dem Parteivorsitzenden nicht verborgen. Er muss umgehend eingreifen, bevor die Situation aus dem Ruder gerät.

Parteivorsitzender (im Sitzen, mit halb vollem Mund, versprühende Speisereste sorgfältig mit der Serviette vermeidend)

So, eigentlich sollte Euch jetzt der Genosse Fraktionsvorsitzender über Euer Verhalten in einer neuen Großen Koalition mit der Union aufklären. Doch vorher noch ein paar Dankesworte an Euch von Genosse Kladderadatsch. T’schuldigung, meinte natürlich unseren ehrenwerten Ex-Kanzlerkandidaten. Immer wieder brennen auch bei mir die Pferde durch, obwohl ich keineswegs der Kavallerie angehöre. Werde das in Zukunft zu vermeiden wissen. Ich rede ja auch Mutti nicht mit Mutti in den Koalitionsverhandlungen an. Gegenüber der Kanzlerin werde ich es an Respekt nicht fehlen lassen. Die SPD muss schließlich in den Verhandlungen Posten für die Partei herausschinden, dass es nur so kracht. Die Parteiführung wird alles tun, dass vielen hart ackernden Genossinnen und Genossen HartzIV erspart bleibt, auch wenn uns HartzIV die internationale Wettbewerbsfähigkeit mit China ermöglicht.

Bis auf den Ex-Kanzlerkandidaten gibt es von allen Anwesenden noch einmal eine Ovation. Diese veranlasst den Parteivorsitzenden, den Vorhang selbst wieder zuzuziehen. Das ungehemmte Fressen der ObergenossInnen sollte doch wohl besser in diskreterer Weise seine Fortsetzung finden.

Ende des Ersten Aktes

Liebe Grüsse aus Panama. Bis zum nächsten Akt. CE

Credits to:

Bloggerin Anchesa und die Deutsche Welle mit der Übertragung des erstmaligen Zusammentretens des neuen BT animierten zum Theaterstück
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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