http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4c/LaPaz_Plaza_Pedro_Di_Murillo_10.2004.jpg
Foto: Widimedia Commons, Nationalkongress in La Paz, Plaza Murillo
Lieber Benjamin,
Dank für den Beitrag.
Dass Evo die Wiederwahl mit etwa 60% gewinnen wird, steht so fest wie eine Wiederwahl von Correa (Ecuador) oder vordem Chavez (Venezuela), die beide auch etwa 60% für ihre Wiederwahl mobilisieren konnten (das entspricht ungefähr der Armutsrate in den drei Staaten). Aber aus anderem Grund. Alle drei Länder gehören dem ALBA-Staatenbund an (von Chavez ins Leben gerufen) und verfolgen offiziell die Politik des Sozialismus des 21. Jahrhundert (u.a. theoretisch untermauert auch wieder einmal von Deutschen unter beabsichtigter Anwendung der Marxschen Arbeitswertlehre), nicht zu verwechseln mit dem bürokratischen Sozialismus des Sowjetsystem. Dieser Sozialismus baut auf der "revolución ciudadana" (Bürgerrevolution), von einer Avantgarde von oben dem Volk aufgedrückt. In Venezuela und Ecuador ist das die Mestizen-Kleinbourgeoisie, während es in Bolivien von einer indigenen Elite ausgeht. Bolivien ist deshalb einzigartig, weil der ethnische Mischungprozess zwischen ehemaligen Spaniern und Indigenen weit weniger ausgeprägt war. Das lag schlicht und einfach an der Geographie, dem Altoplano, der Andenhochebene mit schwierigen geographischen Bedingungen und auf der Weisse im Wesentlichen keine rentable Hacienda-Landwirtschaft gestalten konnten wie in anderen Andenstaaten. Deshalb sind bis heute etwa 60% der Bevölkerung Indigene, die während der Kolonialzeit bis zum Amtsantritt von Evo unter fürchterlichen Ausbeutungsbedingungen im Minensektor und in karger Subsistenzwirtschaft beschäftigt waren. Die Weissen hatten hauptsächlich in den Hanglagen zum Amazonasbecken hin gesiedelt und sich dort mit einheimischer Bevölkerung vermischt. D. h., während Peru und Ecuador etwa heute noch 30% Indigene aufweisen, sind es in Boliven 60%, und sie sind allesamt bitter arm; mehr als die Hälfte von ihnen unterhalb der absoluten Armutsgrenze von weniger als einem US$/Kopf/Tag. Evo hatte vor 9 Jahren zum ersten Mal die Indigenen einigen können und so die Präsidentenwahl gewonnen. Er wird sie wieder gewinnen, denn das kollektive Gedächtnis der bolivianischen Andenindianer ist über die beinahe 500 Jahre dauernde Unterdrückung ein Garant für seine Wiederwahl. Die nationale Mestizen-Oligarchie hat bis zu Evos erster Wahl stets mit Erfolg die Einheit der Indigenen durch Repression und Korruption verhindern können. Jetzt spüren sie zum ersten Mal ihre Macht, Fremdherrschaft der Oligarchie, seit WK II auch kräftig durch den "US-CIA-gringo" aus dem Norden gestützt, durch Wahlen zu überwinden. Evo muss gegenüber seinen Landsleuten materiell und auch mit grösserer Partizipation liefern, auf Teufel komm raus, sonst wird er die Unterstützung der Indigenen wieder verlieren. Dieser Druck zwingt ihn, die mineralischen Ressourcen im nationalen Interesse auszubeuten und den Surplus für die indigene Bevölkerung umzuverteilen, vor allem um Erziehung und Gesundheit zu fördern.
Interessant ist noch Che's revolutionäres Wirken in Bolivien, mit dem er kläglich gescheitert ist und bei dem er von bolivianischem Militär unter kräftiger Mitwirkung des CIA ermordet wurde (1967). Che hielt nicht viel von Indigenen Boliviens als Guerilla-Kämpfer, wie vordem von den Afrikanern im gerade unabhängigen Congo (1965). Er meinte, dass einfach die revolutionäre bewaffnete Tat einer kleinen selbsternannten Elite (von der RAF kopiert) ausreichend sei, um die lethargischen verarmten Massen zur Revolution zu gewinnen. Langfristige Aufklärungsarbeit an der Seite der Bauern war nicht sein Ding. Aber lassen wir hier die Polemik über einen arroganten argentinischen Revolutionär, der hauptsächlich sich selbst und allenfalls noch einige seiner kubanischen compañeros als Speerspitze im permanenten antiimperialistischen Kampf sah.
Evo sollte möglichst so lange regieren, bis eine genügend ausgebildete indigene Mittelschicht herangereift ist, die dann auch unter den Indigenen wieder für grösseren politischen Pluralismus sorgen könnte. In der augenblicklichen historischen Phase ist die Humanentwicklung der Indigenen Ziel Nummer 1. Und das dauert eine Generation.
Wir brauchen uns um den Sozialismus des 21. Jh. in Boliven weniger zu sorgen als in Ecuador, Venezuela und Nicaragua, wo staatliche Repression vonseiten einer neuen kleinbürgerlichen Bürokratenschicht Blüten treibt wie die Tulpen im Frühling. Die indigenen Völker der Anden wurden nur einmal im Laufe ihrer Geschichte auf brutale, intelligente Weise vereint, nämlich unter den Inkas. Hätten die Spanier zu dieser Zeit die Eroberung nicht erfolgreich begonnen, wäre wohl das Inkareich auch bald wieder zerfallen (persönliche Meinung), denn die verschiedenen Völker haben sich nie in ihrem Freiheitswillen brechen lassen.
Ebenso können wir uns in Europa am Freiheitswillen dieser Völker ein Beispiel nehmen, die trotz Armut weit selbstbewusster gegenüber dem imperialistischen "Uncle Sam", dem gringo aus dem Norden, auftreten als unsere unterwürfigen Politstars aus Berlin.
LG, CE
Kommentare 14
Sehr gutes Blog. Gerne gelesen. Informativ und lehrreich. Der Autor hat ein beeindruckendes Wissen über diese Region und auch über die Basis der sozialen Bewegungen in diesen Ländern. Bei solchen Beiträgen staune ich über die geringe Anzahl der Kommentare. Die KommentarANZAHL sagt wirklich nicht sehr bis hin zu nichts über die Güte eines Blogs aus.
Wirklich gelungen , was hier nicht als billige Schmeichelei gemeint ist, zumal ich den Autor ab und zu kritisiert habe, wo mir dies als berechtigt erschien.
Viele Grüße
poro on ruhr
Lieber por,
ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Du weisst, dass ich auch Deine Kritik brauche. Wir alle sind nicht die unfehlbaren Macker, Oberschlaue, und was weiss ich noch.
LG aus Panamá, CE
Tip fuer dich
Lieber TL,
Dank für den Hinweis. Guter Beitrag von Regine. CE
Lieber CE,
Dein Artikel ist sehr interessant und informativ. Auch wenn Poor über die wenigen Kommentare staunt, kann er trotzdem von vielen Menschen gelesen werden. Die Klickzahlen würden mich interessieren, aber das hat trotzdem nichts mit der Qualität des Beitrages zu tun, den ich empfehlenswert finde. Manchmal gehen interessante Beiträge einfach unter...
Ich war übrigens gestern Teilnehmerin bei der Fachtagung Medien und politische Partizipation in Stuttgart, die von der LFK und dem Fritz-Erler-Forum BW gemeinsam veranstaltet wurde. ;-)
LG
Corina
Liebe Corina,
kannst Du darüber schreiben, eventuell auch per Mail. Es würde mich interessieren, was dabei rausgekommen ist.
LG aus Panamá, CE
Danke für den Beitrag, den ich jetzt erst gefunden habe. Evo Morales wünsche ich alles Gute.
Ich weiß allerdings nicht, wie oft er sich noch wählen lassen kann. Ich freue mich immer, wenn es fortschrittleiche Leute bis in die Regierung schaffen und bin enttäuscht, wenn sich nach ein paar Jahren der Wind wieder dreht.
FRüher dachte ich ich, die Vietnamesen hätten nach dem Vietnamkrieg das Bewusstsein, eine gute Zeit zu beginnen. Und nun sind sie anscheinend dick mit den USA, ihrem damaligen Feind.
Liebe Stine,
es gibt ein interessantes Interview mit Evo bei "Aljazeera". Mal sehen, ob ich das hier einstellen kann. Er ist jetzt in den 50ern und hält als Alters-/Pensionsgrenze an den 60 Jahren fest, für sämtliche Staatsdiener. Dann will er sich zurückziehen in sein Dorf und mit seiner Familie und Gemeinde die letzten Jahre verbringen. Er klebt nicht am Stuhl, ist aber interessiert, dass genügend junge Leute als neue Mittelschicht nachkommen, die die Chose weitermachen können.
Vietnam ist ein anderer Fall. Darüber könnte man stundenlang debattieren. Meine Frau ist gebürtige Vietnamesin aus Saigon. Hier nur eins: Die jetzige Zusammenarbeit mit den USA ist auf die Rivalität mit China zurückzuführen (Südchinesisches Meer mit Ölvorkommen, das von China zur monopolistischen Ausbeutung beansprucht wird). Die USA ist die einzige Militär-Macht, die das verhindern könnte, da Vietnam auch ein berechtigtes Interesse an diesem Gebiet hat. Ausserdem ist Vietnam ("südliches Volk") ethnisch gesehen ein südliches chinesisches Volk, das Tausend Jahre um seine Unabhängigkeit vom chinesischen Imperium schliesslich erfolgreich gekämpft hat, bevor es von Franzosen kolonisiert wurde, diese schliesslich auch besiegt hat und anschliessend die USA vertrieben hat. Doch der gegenwärtige Kommunismus funktioniert ähnlich wie in China.
LG, CE
Die USA benutzen sie (Vietnam) nun gegen China. Vermutlich kommt dann erst der Handel und dann auch der Raketenabwehrschirm. Ihre Geschichte scheinen sie hochzuhalten und die Gegenwart ist wie beiChina kapitalistisch orientiert. Mit Russland gibt es freundschaftliche Kontakte . aber wie gesagt - der dickste Draht scheint zu den USA zu sein, jedebnfalls auch was das Abstimmungsverhalten in der UNO betrifft.
Die Entwicklung in China ist recht interessant. Vieles wurde mir durch MO Yan erschlossen (Nobelpreis Literatur)
EVO Morales imponiert mehr sehr. Ich hoffe, es läuft weiter gut mit ihm.
Ja, die innere Entwicklung Chinas wird eines der wichtigsten zukünftigen Geschehnisse in der Welt sein. Aber auch Indien ist noch ein Riese im Tiefschlaf begriffen. Wenn wir wenigstens in Europa, einschliesslich Russland und Ukraine, unseren einzigartigen kulturellen Laden in den Griff bekommen würden, dann wäre auch in der Weltgeschichte vieles anders. Dass bisher kein Freundschaftspakt mit Russland zustande kam, ist ein "Verbrechen" deutscher Regierungen seit Kohl. Wirtschaftliche Verbindungen ja, Freundschaft zwischen den Zivilgesellschaften nein. Es ist einfach ein Jammer, was Deutschland und Europa verzapft. Und immer stehen wir nur als Untertanen vor unseren Regierungen und sind unfähig, auf den Tisch zu hauen.
Die Beziehungen zu Russland waren nicht schlecht. Wir haben selbst auch Freunde dort. Der politische Trend hat sich gedreht seit dem letzten hERBST.
Statt des Volkes haut Soros auf den Tisch
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/ukraine-krise-aufgewacht-europa-13223706.html
Liebe Stine,
Dank für den Link. Das ist ja ein unverschämter Text von Soros. Wir kennen diesen Herrn und Förderer von Joschka Fischer bereits zur Genüge. Er hat selbst mit den von ihm finanzierten NGOs in der Ukraine, auch in Russland und in vielen Ländern, wo es Widerstand gegen das US-Imperium gibt (auch Lateinamerika), seine Finger und auch seine ökonomischen Interessen im Spiel. Er ist der heimliche nicht-militärische Krieger der US-Demokraten und wird alles verhindern wollen, dass EU zusammen mit Russland der USA Paroli bieten kann. Die USA brauchen Europa, um ihre Weltmachtstellung zu behaupten (obwohl die ökonomisch nicht mehr existiert). Sie setzt auf die militärische und IT-Karte und braucht den Schosshund Europa um mithilfe von TTIP den strategischen Untergang hinauszuschieben. Soros weiss genau, dass ein kulturell und wirtschaftlich eng verflochtenes Europa (mit Russland und Ukraine) das rasche Ende der USA als Weltpolizei bedeuten würde. Auch hat er selbst Ukraine-Anleihen, die bei einem Staatsbankrott wertlos wären. Putin ist wahrlich kein Unschuldsengel. Auch er braucht wirtschaftliche Stabilität um die russische Zivilgesellschaft nicht mehrheitlich gegen sich aufzubringen. Aber Europa kann nur aus einer engen Zusammenarbeit mit Russland gewinnen: Augenhöhe zu den USA statt Schosshund, kultureller enger Austausch mit Russland kommt auch deren und der europäischen Zivilgesellschaft zugute. Gemeinsam kann man Frieden über die UN schaffen, da Russland Veto-Position bei vielen Konfliktfällen aufgeben würde. Einzig die USA würden auf das zurechtgestutzt, was sie ökonomisch schon sind: Eine Grossmacht und anderen.
Dieses Interview kann nur in der FAZ erscheinen, vielleicht noch Spiegel und Bild, die merkeldominierte Mainstream-Presse. Aber der Bürger durchschaut hoffentlich das Spiel. Dass Fischer zu einem Schatten seiner ursprünglichen Persönlichkeit (?, vielleicht ging es ihm aber von Beginn an nur um eigene Macht) geworden ist und sich von Soros hat vereinnahmen lassen, zeigt nur, wie die 68er Generation inzwischen zum Lakaien des Kapitals verkommen ist. Was soll ich da meinen Kindern erzählen, dass meine Generation ebenfalls gründlich versagt hat.
LG, CE
Guten Morge CE,
ich habe mich auch aufgeregt über diesen scheinheiligen unverschämten Krieger. Es ist die gleiche Argumentation wie bei J. Fischer.
Wenn er so sozial eingestellt ist als großer Sponsor der Demokratie - warum zieht er dann nicht selbst die Ukraine aus dem Dreck? Er hat Anteile an Monsanto. Da könnte er einiges Geld wieder herein holen.
LG und einen schönen Tag
Stine
Interessant ist, dass die FAZ ihm so viel Raum zur Verfügung stellt. Aber Du siehst, wie er auch als Sprachrohr der Clinton-Fraktion innerhalb der Demokraten die Kanzlerin zu beeinflussen versucht. Und die ängstliche "Mutti" weiss nicht ein noch aus, was sie anstellen soll. Sie spürt die Opposition vieler Deutscher gegenüber der Untertanenrolle bzgl. USA und die Angst gegenüber einem drohenden Putin; sie will weder Onkel Sam verprellen noch Russland bis zur Weissglut treiben. Ein Europa, das so einen ängstlichen und meinungslosen Hauptpfeiler (Deutschland) hat, kann nur mit Glanz und Gloria untergehen.