War früher alles besser?

2. Juni 1967 Hier ein Text zur Erinnerung an vergangene Zeiten, nämlich über die durch den 2. Juni 67 ausgelöste Studentenrevolte. Auszug aus meinem Roman "Abschied von Bissau"

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Ich meine, dass früher tatsächlich Einiges besser war als heute, bezogen auf die 60er und 70er Jahre. Und damit meine ich vor allem die Hoffnung auf gesellschaftlichen Fortschritt, die meine Generation damals hatte, und die ich heute so in unserer deutschen Seilschaften-Gesellschaft nicht mehr erkennen kann.

In "Abschied von Bissau" habe ich in fiktiver Weise u. a. das Schicksal eines jungen deutschen Ethnologen beschrieben, dessen Leben ganz besonders von den Ereignissen, die dem 2. Juni 67 folgten, geprägt wurde.

An dieser Stelle sei nur der Beginn der Geschichte angeführt, der bei Bedarf in Folgen weiter erzählt werden kann.

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Der Spätsommer 1967 sollte Hans' sorgloses, aber ziemlich langweiliges bisheriges Leben gründlich verändern. Schon der erste Schultag nach den Sommerferien an dem traditionellen Jungengymnasium war für den siebzehnjährigen Elftklässler aufregend genug. In der grossen Pause kündigte eine kleine Gruppe von Schülern aus den 13ten Klassen eine Schülerversammlung für zwölf Uhr in der Aula an. Die Versammlung war für die Oberstufenklassen vorgesehen. Es sollten auch einige Studentes des Allgemeinen Studentenausschusses (ASTA) der Technischen Hochschule Hannover anwesend sein. Das Thema lautete: "Die jüngsten Ereignisse an den deutschen Hochschulen nach der Erschiessung von Benno Ohnesorg am 2. Juni und mögliche Konsequenzen für die Schulen."

Wie vorauszusehen wehrte sich das Lehrerkollegium gegen eine solche Veranstaltung. Der Rektor ordnete an, dass der Unterricht am Vormittag wie vorgesehen zu Ende zu gehen habe, und dass derartige Veranstaltungen allenfalls nach ausdrücklicher Genehmigung und dann ausserhalb des Unterrichtes am Nachmittag infrage kämen.

Trotz Widerstandes vonseiten der Lehrer füllte sich die Aula nach der vierten Unterrichtsstunde immer mehr. Viele Schüler verliessen einfach wortlos ihre Klassen und liessen die verdutzten Lehrer mit ein paar unentschlossenen Schülern zurück. Daraufhin brachen einige jüngere Lehrer den Unterricht schlichtweg ab und überliessen es ihren Schülern, entweder gleich nach Hause zu gehen oder an der nicht genehmigten Schülerversammlung teilzunehmen. Es herrschte alsbald ein munteres Chaos an dem altehrwürdigen Gymnasium. Der Direktor versuchte noch einmal, die Situation im Guten zu beheben und bot für den nächsten Tag die sechste Schulstunde zur Diskussion an, allein die plötzliche Bewegung der Schüler war nicht mehr aufzuhalten. Die kleine Gruppe von Studenten aus der Hochschule hatte Flugblätter mitgebracht und inzwischen die Initiative in der Aula übernommen.

Natürlich hatten die Schüler aufmerksam die Ereignisse bezüglich der Studentenbewegung verfolgt, die nach dem zweiten Juni wie ein Lauffeuer an den bundesrepublikanischen Universitäten einsetzten. Nachdem bei der Demonstration gegen den Schahbesuch vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin der Student Benno Ohnesorg von einem Angehörigen des Verfassungsschutzes erschossen wurde, begannen sich an allen Hochschulen die Studenten gegen das traditionelle Hochschulestablishment zu organisieren. Schon seit Beginn der 60er Jahre hinterfragten linke Studenten und einige Professoren das bundesdeutsche kapitalistische System, das seit Ende des Zweiten Weltkrieges immer enger in das westliche, von den USA bestimmte, Werte- und Vertragssystem eingebunden wurde. Sollte die im 'Adenauerstaat' entwickelte parlamentarische Demokratie und die von Erhard initiierte 'Soziale Markwirtschaft' für die BRD das Nonplusultra der neuen deutschen Geschichte sein? Und sollte die Gefolgstreue mit den USA im Rahmen des atlantischen Bündnisses der NATO auch das unkritische Akzeptieren der amerikanischen Aussenpolitik bedeuten?

Hans hatte seit Beginn des Schuljahres einen neuen jungen Geschichtslehrer bekommen, der in der ersten Hälfte der sechziger Jahre studiert hatte, und der einen neuen Wind in den bis dahin uninteressanten Geschichtsunterricht hineinbrachte. Der Unterricht bezog sich bisher hauptsächlich auf Fakten, die gebetsmühlenhaft wiederholt wurden, ohne den gesellschaftlichen Hintergründen nachzugehen. Dieser Lehrer aber konfrontierte die Schüler nicht nur mit der politisch und militärischen Seite der Geschichte, sondern legte besonders die Akzente auf die ökonomischen, soziologischen, kulturellen und sozialpsychologischen Fundamente der Geschichte. Ein Erbebnis dieses Geschichtsunterrichtes bei Hans und seinen Mitschülern war unter anderem ein gesteigertes Hinterfragen der aktuellen Geschehnisse an den bundesdeutschen Hochschulen, die sie alle tief beeindruckten. Das trug insbesondere dazu bei, dass diese Schülerversammlung für viele Schüler zu einem Schlüsselerlebnis wurde.

Die anwesenden Hochschulstudenten gaben zuerst eine Zusammenfassung der Ereignisse an den Hochschulen, um dann auf die Notwendigkeit der Selbstorganisation einzugehen. Das Hochschul- und Schulwesen sei zu autoritär und zu einseitig auf Indoktrination im Sinne des bestehenden kapitalistischen Systems ausgerichtet. Es sei an der Zeit, dem parlamentarischen System, das auf Zementierung der Nachkriegsverhältnisse ausgerichtet sei, eine ausserparlamentarische Opposition (APO) entgegenzusetzen. Die brennende Frage sei: "Ist die Bundesrepublik wirklich das gesellschaftliche System, was sich die Westdeutschen wünschen, und wenn nicht, wie könnte es geändert werden?" Um eine derartige Opposition, eine APO, in Gang zu setzen, bedarf es in den Universitäten, in den Schulen und in den Betrieben der Bildung von Selbstverwaltungsstrukturen, die von allen Beteiligten demokratisch gewählt aber auch ständig kontrolliert werden sollten. Besonders an den Hochschulen und Schulen sollten des Weiteren auch Fragen nach dem Inhalt und Zweck von Studium und Unterricht gestellt werden. Ist das Denken und Wissen grundsätzlich frei? Oder ist beides nur innerhalb der vom kapitalistischen System gesetzten Grenzen erlaubt?

Im Antschluss an die Darstellung dieser Problembereiche gingen die Studenten auf den Vietnamkrieg und den Befreiungskampf der Bewegungen in den portugiesischen Kolonien ein und stellten die Frage, ob die Menschen in der Bundesrepublik jedwede Politik der USA und der NATO mittragen sollten, auch wenn sie sich gegen die ureigensten Interessen der betroffenen Völker richtete?

Nach den Beiträgen der Studenten begann eine angeregte Diskussion unter den Schülern der Oberstufe. Ergebnis war, so schnell wie möglich einen neuen Schülerausschuss zu wählen und eine monatliche Zeitung an der Schule herauszugeben, die auch offen für Beiträge der Studenten der Technischen Hochschule sei.

Tief beeindruckt kam Hans an diesem ersten Schultag nach den Ferien nach Hause. Seine Familie wohnte eine halbe Stunde Zugfahrt von Hannover entfernt in der kleinen Stadt Barsinghausen am Deister.

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An dieser Stelle mache ich erstmal Schluss. Vielleicht langweilt es den Leser auch zu sehr, alte Kamellen hervorzukramen. In der Folge erlebt Hans seine Schüler- und Studentenzeit in einem bundesrepublikanischen Umfeld, das nach gesellschaftlichem Aufbruch und Freiheit verlangte. Alles schien möglich. Einiges wurde erreicht.

Bei Interesse bin ich gerne bereit, hier weitere Folgen zu veröffentlichen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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