Wider die Mär von SOZIALER-Marktwirtschaft

SOLIDAR-Wirtschaft 1 Gedanken zur Solidar-Wirtschaft, Sozialer Marktwirtschaft, Solidarischer Ökonomie in Brasilien und Frauenkooperativen in Honduras und Mosambik in 5 Folgen

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Foto: Wikipedia (2008) Paul Singer (bras. Staatssekretär für Solidar-Ökonomie) auf dem attac-Ratschlag (2007) in Gladbeck

Liebe dFC,

Seitdem Union und SPD jetzt gemeinsam das „Hohe Lied“ der (UN)-SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT singen, uns zukünftig zum Großen Genmais-Fressen ins Kanzleramt einladen, wo wir dann die Behandlungs-Resultate des MERKELSCHEN TOTSPARDIKTATES bezüglich unserer „kranken europäischen Brüder“ serviert bekommen, die sich doch tatsächlich schäublegleich am eigenen Haarschopf aus dem Dreck gezogen haben, und wir dann vom aufgeräumten Vizekanzler die rosigen Aussichten unserer kapitalistischen deutschen Zukunft vernehmen, möchte ich bescheiden daran erinnern: Es gibt auch ein Wirtschaften außerhalb von Kapitalismus und Sozialismus, nämlich die SOLIDAR-WIRTSCHAFT. Vielen von Euch wird sie zumindest dem Namen nach bekannt sein, Einige werden sie ausprobiert haben.

Ich werde hier in fünf Folgen meine persönlichen Erfahrungen und Gedanken zu dieser Wirtschafts- aber auch Lebensform einstellen (selbstverständlich nicht in „wissenschaftlicher“ Form, das überlasse ich Uniseminaren).

Die erste Folge beschäftigt sich mit der Definition der Solidar-Wirtschaft.

Die zweite bezieht sich auf unsere verehrte „Soziale Marktwirtschaft“ (für mich „Unsoziale Marktwirtschaft“), die die deutsche angeblich „humane“ Variante des Kapitalismus beleuchtet, und die nach herrschender Auffassung der politischen und wirtschaftlichen Oligarchie im Lande (jetzt mit Verve von der GROKO inszeniert) den Endpunkt gesellschaftlicher Entwicklung markiert, die keiner weiteren Fortentwicklung bedarf.

Die dritte Folge geht auf die Bedeutung der Solidar-Wirtschaft in Brasilien ein.

Die vierte beschreibt ein Beispiel in Honduras (Frauenkooperative COMUCAP in Marcala).

Die fünfte Folge beschäftigt sich mit der Union der Frauenkooperativen (UGC) in Maputo, Mosambik.

Folge 1:

SOLIDAR-WIRTSCHAFT

In all den Jahrzehnten, die ich in Afrika, Lateinamerika und auf dem Balkan arbeitete, hatte ich viel mit Genossenschaftswesen, Kooperativen und allgemein SOLIDAR-WIRTSCHAFT zu tun. Solidar-Wirtschaft oder auch Solidarische Ökonomie oder Gemeinwirtschaft wird weltweit immer mehr zur Alternative gegenüber den menschenverachtenden Gesellschaftsformen des Kapitalismus und real existierenden Sozialismus/Kommunismus. Generell steht diese Wirtschaftsform unter dem von Marx in der „Kritik des Gothaer Programms“ (1875) formulierten Motto „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Das aber mit dem zur Marxschen Auffassung entscheidenden Unterschied, dass dieses für die Menschheit zu erreichende Ziel nicht durch eine selbst ernannte Elite/Avantgarde/Einheitspartei zwanghaft von oben her den Menschen aufgedrückt wird, sondern von diesen in freier Entscheidung und Selbstbestimmung je nach kulturellen, geografischen und umweltbedingten Gegebenheiten in Schritten entwickelt wird.

Die SOLIDAR-Wirtschaft stellt den Menschen in den Mittelpunkt des Wirtschaftens. Sie ist nicht nur sozialer als Kapitalismus und Sozialismus, sondern auch ökonomischer und versucht die Freiheit des Menschen im politischen Raum wie auch im Produktionsprozess zu realisieren. Sie nutzt die Initiative, Kreativität und Freiheit des Einzelnen in Solidarität mit dem Nächsten aus und strebt in solcher Weise nach einem würdigen und erfüllten Leben aller Mitglieder der Gemeinschaft. Egoismus findet seine Grenze in der horizontalen Gemeinschaft, in der jeder seine spezifischen Fähigkeiten dem Produktionsprozess zur Verfügung stellt und seine Bedürfnisse dem Gesamteinkommen entsprechend befriedigt. Die SOLIDAR-Wirtschaft funktioniert überall, wo Menschen ihre Heimat haben und gewillt sind, ihre menschlichen und natürlichen Ressourcen zur Lebensgestaltung adäquat auszunutzen. Das bedeutet, sie funktioniert auch dann und dort, wenn und wo die vertikalen Gesellschaftssysteme des Kapitalismus und Sozialismus mit ihren jeweiligen entscheidenden Eliten keine Verwertung sehen.

Zusammenfassend seien hier die 6 wichtigsten Prinzipien der SOLIDAR-Wirtschaft aufgezählt (von mir sinngemäß aus der: „Carta de Princípios de la Economía Solidaria“ übersetzt)

1. Prinzip der Gleichheit

Dieses fundamentale ethische Prinzip fordert für alle Menschen, ungeachtet ihres sozialen Status, Geschlechtes, Alters, ethnischer Herkunft, geistiger, physischer, psychischer Fähigkeiten, usw. ein würdiges Leben ohne Herrschaftsformen unterworfen zu sein.

2. Prinzip der Arbeit

Arbeit im umfassenden Sinn ist die Grundlage für Lebensqualität von Einzelpersonen, der Gemeinde, der Nation und der Staaten untereinander. Aus diesem Grund muss die Arbeit ihre ursprüngliche menschliche, soziale, politische, ökonomische und kulturelle Dimension zurückgewinnen, um einerseits den Fähigkeiten der Menschen volle Geltung zu verschaffen und andererseits ihren Bedürfnissen adäquat Rechnung zu tragen. Arbeit ist weit mehr als Beschäftigung, sie ist Selbstverwirklichung. Ganz besonders ist Arbeit als Dienst am Nächsten (Alte, Kinder, Kranke) im Haushalt und in der Gemeinde zu schützen.

3. Prinzip der Nachhaltigkeit im Umgang mit der uns umgebenden Natur

Der Mensch ist nicht Herr der Natur, sondern richtet seine Arbeit in Allianz mit der Natur aus zum beiderseitigen harmonischen Fortbestehen. Das bedeutet für den Menschen nach Lebensformen zu streben, die nachhaltig sowie einer Ethik der gerechten Bedürfnisbefriedigung aller Menschen unter Vermeidung von Überflusses verschrieben sind.

4. Prinzip der Kooperation

Das Verhältnis der Menschen untereinander sollte durch Kooperation und nicht durch Wettbewerb gekennzeichnet sein. Wesentlich sind gleichgewichtige Austauschbeziehungen, gegenseitiges Vertrauen, gemeinsam getragene Verantwortung, Transparenz und gegenseitiger Respekt. SOLIDAR-Wirtschaft strebt Ausbildungsförderung, gemeinsame Arbeit zwischen Personen und Organisationen an sowie die gemeinsame Entscheidungsbildung mit geteilten Verantwortlichkeiten in horizontalen Strukturen bei Achtung der Autonomie der Teilnehmer.

5. Prinzip der Gemeinnützigkeit (nicht gewinnorientiert)

SOLIDAR-Wirtschaft zielt auf eine integrale Entwicklung ab, die kollektive wie individuelle Bedürfnisse durch ökonomisch sinnvolle und effiziente, effektive, rentable und nachhaltige Projekte zu verwirklichen sucht. Dabei werden Überschüsse umverteilt bzw. reinvestiert. Nicht gewinnorientiert will dabei heißen, dass neben ökonomischen Aspekten die humanen, sozialen, umweltverträglichen, kulturellen und partizipativen Aspekte ausschlaggebend für einen integralen Nutzen sind. Endziel des Wirtschaftens ist die Entwicklung eines Modells, das humaner ist als der Kapitalismus und auf Solidarität und Gleichwertigkeit unter den Menschen gründet.

6. Prinzip der Verantwortlichkeit gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt

SOLIDAR-Wirtschaft beginnt mit der Teilhabe an lokaler nachhaltiger Entwicklung auf dem Gebiet der Gemeinde. Die verschiedenen teilnehmenden Organisationen und Projekte sind im lokalen Territorium netzartig integriert und ergänzen sich gegenseitig. Für die ortsansässige Bevölkerung soll die SOLIDAR-Wirtschaft Modellcharakter besitzen und für ein Wirtschaften ohne Exklusion, Herrschaft und Ungleichheit ermutigen. Eine Zusammenarbeit von Initiativen verschiedener Gemeinden in einer Region sollte die Perspektive für regionale SOLIDAR-Wirtschaft und schließlich überregionale erweitern.

Bevor ich im Folgenden, wie eingangs betont, auf die wachsende Bedeutung von SOLIDAR-Wirtschaft (Beispiel Brasilien) und konkrete Beispiele in der „Dritten Welt“ (Honduras, Mosambik) eingehe, seien in Folge 2 einige Gedanken über die SOZIALE Marktwirtschaft in Deutschland angeführt. Auch wenn sie polemisch anmuten mögen, so hoffe ich doch, dass der Leser mir meine Formulierungen verzeiht angesichts der allgemeinen Krisenhaftigkeit unserer Zeit, in der wir uns nicht länger den Luxus erlauben können, nur noch unser eigenes Wohlergehen im Auge zu haben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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