Wider die Mär von SOZIALER-Marktwirtschaft

SOLIDAR-Wirtschaft 2 Beitrag über Solidar-Wirtschaft, Soziale Marktwirtschaft, Solidarische Ökonomie in Brasilien, Frauen-Kooperativen in Honduras und Mosambik in fünf Folgen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/2/23/Bundesarchiv_B_145_Bild-F004204-0003%2C_Ludwig_Erhard_mit_seinem_Buch.jpg/461px-Bundesarchiv_B_145_Bild-F004204-0003%2C_Ludwig_Erhard_mit_seinem_Buch.jpg

Foto: Wikimedia Commons (1957), Ludwig Erhard, Wirtschaftsminister und Kanzler und symbolträchtigste Persönlichkeit der Sozialen Marktwirtschaft (auch ich habe ihm damals als Dreizehnjähriger zugejubelt)

Liebe dFC,

Seitdem Union und SPD jetzt gemeinsam das „Hohe Lied“ der (UN)-SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT singen, uns zukünftig zum Großen Genmais-Fressen ins Kanzleramt einladen, wo wir dann die Behandlungs-Resultate des MERKELSCHEN TOTSPARDIKTATES bezüglich unserer „kranken europäischen Brüder“ serviert bekommen, die sich doch tatsächlich schäublegleich am eigenen Haarschopf aus dem Dreck gezogen haben, und wir dann vom aufgeräumten Vizekanzler die rosigen Aussichten unserer kapitalistischen deutschen Zukunft vernehmen, möchte ich bescheiden daran erinnern: Es gibt auch ein Wirtschaften außerhalb von Kapitalismus und Sozialismus, nämlich die SOLIDAR-WIRTSCHAFT. Vielen von Euch wird sie zumindest dem Namen nach bekannt sein, Einige werden sie ausprobiert haben.

Ich werde hier in fünf Folgen meine persönlichen Erfahrungen und Gedanken zu dieser Wirtschafts- aber auch Lebensform einstellen (selbstverständlich nicht in „wissenschaftlicher“ Form, das überlasse ich Uniseminaren).

Die erste Folge beschäftigt sich mit der Definition der Solidar-Wirtschaft.

Die zweite bezieht sich auf unsere verehrte „Soziale Marktwirtschaft“ (für mich „Unsoziale Marktwirtschaft“), die die deutsche angeblich „humane“ Variante des Kapitalismus beleuchtet, und die nach herrschender Auffassung der politischen und wirtschaftlichen Oligarchie im Lande (jetzt mit Verve von der GROKO inszeniert) den Endpunkt gesellschaftlicher Entwicklung markiert, die keiner weiteren Fortentwicklung bedarf.

Die dritte Folge geht auf die Bedeutung der Solidar-Wirtschaft in Brasilien ein.

Die Vierte beschreibt ein Beispiel in Honduras (Frauenkooperative COMUCAP in Marcala).

Die fünfte Folge beschäftigt sich mit der Union der Frauenkooperativen (UGC) in Maputo, Mosambik.

Folge 2

(UN)-SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT

Endlich haben wir nach viel Gezerre in der deutschen politischen Landschaft wieder eine Regierung! Der Wähler hat sein Kreuzlein gemacht, sich für die kommenden vier Jahre selbst entmündigt und sein Schicksal vertrauensvoll in die Hände eines Bundestages gelegt, deren Abgeordnete ihm von Parteien vorgesetzt wurden, die zusammen gerade einmal etwas mehr als eine Million Menschen von insgesamt mehr als 80 Millionen in der Republik ausmachen. Abgeordnete und Regierung verpassen sich gerade eine Erhöhung ihrer Einkünfte, die dem HartzIVler die Tränen kommen lassen („Mensch Meier, warum gehöre ich nicht zu den VOLKS-TRETERN? Mein Leben wäre gerettet.“) Jetzt können wir uns gemütlich zurücklehnen. Eine neue Regierung aus Union und SPD, die GROKO, wird das deutsche Schiff mit Frau Angela am Steuer sicher durchs kapitalistische Weltmeer steuern. Und dieses deutsche Schiff hisst stolz seine Fahne in rauer See und ruft den Völkern zu: „Seht her, wir sind das Schiff der SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT, dem erfolgreichsten Kahn unter den kapitalistischen Schiffen. Wenn alle anderen in Seenot geraten, unsere SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT mit der unverwüstlichen Kapitänin Merkel, dem Leichtmatrosen Schäuble und dem Schiffsmechaniker Weidmann wird glorreich den Stürmen trotzen, auch wenn tief unten im Schiffsbauch die mehr als 30% Ausgegrenzten der Nation bis zum Bauch im eindringenden Wasser stehen.“

Machen wir uns nichts vor. Die Marktwirtschaft im Kapitalismus war seit jeher unsozial. Das wusste schon der selige Herr Marx. Leider ist das bis zu unserer Kanzlerin noch nicht durchgedrungen. Sie fiel nach der „Wende“ doch glatt auf den Euphemismus der Adenauer Zeit herein, mit der der deutsche Untertan-Bürger bei Stange gehalten werden sollte. Der Wettbewerb der Kapitalisten untereinander mit der Ausbeutung von Arbeitskraft erscheint nur dann sozial, wenn der Staat korrigierend ins Marktgeschehen eingreift und durch Umverteilung eines Teils des Steueraufkommens die Verelendung der Arbeitenden abfedert, um größere soziale Verwerfungen zu verhindern und den Kapitalismus als Gesellschaftssystem am Laufen zu erhalten. Das Kapital benutzt dabei den Staat, um in seinem Gesamtinteresse den Arbeitenden die Brosamen vorzuwerfen, die nötig sind, die Revolte gegen sich gerade noch abzuwenden. Sicher gibt es den einen oder anderen Einzelkapitalisten, der ein „Herz“ für seine Arbeitenden hat, was allerdings in den wenigsten Fällen etwas mit Altruismus zu tun hat. Der alte Krupp wusste schon, dass ein satter Arbeiter besser als ein hungriger arbeitet.

So gut, so schön. Diese jahrhundertealte Kritik am unsozialen Markt hält in unserer Republik wenigstens noch die Linke aufrecht, auch wenn sich ihre Großkopferten im Kapitalismus besser eingerichtet haben, als es jemals der „Große Erich“ im deutschen real existierenden Sozialismus konnte. Alle anderen BT-Parteien singen unisono in immer gleichem monotonen Singsang die Mär von der SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT und versuchen, dem HartzIVler, dem Niedrigverdiener, dem „Tafel“-Esser, dem Elenden und dem ausgestoßenen Asylsuchenden der Republik diese süße Weise beizubringen. In der „Wirtschaftswunder-Zeit“ gelang es tatsächlich mithilfe von Marshallplan, massiver Ausbeutung der Dritten Welt und der vergleichsweise gut ausgebildeten deutschen Arbeitskraft ein soziales Netz zu spinnen, das den Arbeitenden vorgaukelte, die Marktwirtschaft sei sozial. Seit den 80er- und 90er-Jahren aber, als immer mehr ehemalige „Dritte Welt“-Länder ebenfalls begannen, industrielle Güter auf dem Weltmarkt zu verkaufen, kommen die Industrieländer zunehmend unter Wettbewerbsdruck, und das mit der Folge, dass der deutsche Arbeitende/Produzent nicht nur mit anderen aus den Industrieländern konkurrieren musste, sondern auch mit Abermillionen aus Schwellenländern. Gott sei es gedankt, dass gestandene Männer wie Schröder und Fischer Europa zeigten, wie man auf eine derartige Herausforderung adäquat reagieren muss: Runter mit den Einkommen und kappen der sozialen Netze. Unsere Kanzlerin als gelehrige Schülerin treibt das Spiel weiter, auch wenn immer mehr Südeuropäer aber auch Deutsche auf dem Zahnfleisch daherkriechen müssen. Auf Geheiß des Kapitals wird die GROKO in den nächsten vier Jahren austesten, wo die Schmerzgrenze des gemeinen Deutschen liegt (die Revolten in den südeuropäischen Ländern, durch das Merkelsche Totspardiktat seit 2010 provoziert, sind der Kanzlerin, Schäuble und Weidmann eh kein müdes Lächeln wert, es sei denn, ganz Süd-Europa und auch Frankreich stünden in Flammen). Der Michel starrt wie paralysiert auf die Mächtigen in Berlin und fragt sich, wohin die Reise der SOZIALEN oder doch besser UNSOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT hingeht.

In dieser aktuellen Krisensituation, in der der Kapitalismus neben dem realen Kapital-Verwertungsprozess einen parallelen Zocker- und Casino-Laden der Plutokraten ingang gesetzt hat, der die Ergebnisse der Realwirtschaft in riesenhafter Dimension verwettet, hat die GROKO nur im Sinn: Einerseits die Casino-Leidenschaft der Plutokraten und ihre Monstrosität so gut es geht zu verschleiern, andererseits das Unsoziale der Marktwirtschaft soweit zu deckeln, dass Union und Sozis weiterhin vom Untertan-Bürger als rettender Anker aufgefasst werden und die angebliche SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT als „alternativlos“ begriffen wird.

Gäbe es in dieser Krisensituation eine Alternative?

Selbstverständlich gibt es diese, und sie hätte längst mit Einführung des Euro entwickelt werden müssen:

Aufbau einer SOLIDAR-WIRTSCHAFT im Verein mit REGIONALENTWICKLUNG und massiver AUSBILDUNGSFÖRDERUNG vor allem von jungen Menschen und der Weiterqualifizierung von ungenügend Ausgebildeten.

Das Recht auf bestmögliche Ausbildung und auf Arbeit gemäß menschlicher Fähigkeiten sind universale Menschenrechte, die in allen europäischen Verfassungen verankert sind, aber auch in allen europäischen Ländern von den politischen Eliten/Oligarchien auf Veranlassung des Kapitals mit Füssen getreten werden.

Die GROKO als Handlanger des Kapitals hat ausdrücklich nicht die zu größerer Freiheit der Bürger führende Politik in ihre zukünftigen Projekte aufgenommen: (i) Die Weiterentwicklung der Demokratie zu einer Volkssouveränität (Volksentscheide auf Bundesebene, unabhängige BT-Abgeordnete), (ii) die Ergänzung des Kapitalismus (wo er das Wohlfahrtsgebot sträflich missachtet) durch die von den Arbeitenden selbstbestimmte SOLIDAR-Wirtschaft, vor allem im Rahmen einer Förderung der europäischen Identität durch massiven Einstieg in regional/lokal organisierte, solidar-wirtschaftliche, grenzüberschreitende Initiativen und (iii) die Unterstützung von selbstbestimmten regionalen und lokalen Initiativen, die auf die schonende und nachhaltige Nutzung der örtlichen natürlichen Ressourcen zielen. Der „Beton-Kapitalismus“ in Deutschland, die UNSOZIALE MARKTWIRTSCHAFT, wissentlich verwaltet durch die BT-Parteien, hat nicht einen Türspalt für die Überwindung seines menschenunwürdigen Systems aufgelassen, um dem Untertan-Bürger die Verantwortung für die Gestaltung seines Lebens selbst zu übertragen. Trotz dieser Schwierigkeiten lassen sich Menschen in der Republik nicht auf ewige Zeiten von den Stiefeln des Kapitals und der BT-Parteien zertreten und weigern sich, dass ihre Träume von einem selbstbestimmten und menschenwürdigen Leben auf immer Träume bleiben.

LG, CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden