Der Islam gehört zu Deutschland – und nun?

Religion Angela Merkel hat mit ihrer Aussage, das der Islam zu Deutschland gehört, in Zeiten von Pegida Mut bewiesen. Aber was bedeutet das konkret für den Islam in Deutschland?

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Angela Merkel hat gesagt, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Das ist auch gut so. Die Bundeskanzlerin bestätigt somit Christian Wulfs Rede Jahre zuvor und grenzt sich zum Teil von Joachim Gaucks Aussage, dass nur die Muslime, aber nicht der Islam als solcher Teil Deutschlands ist, ab.

Natürlich ist so eine Ansicht in Zeiten von Pegida, Legida, AfD, etc. und kurz nach den abscheulichen Attentaten von Paris politisch mutig. Sie ist aber auch realistisch. Laut dem aktuellen PEW Bericht wird der Anteil der Muslime in Deutschland in den nächsten 15 Jahren von aktuell 5,7 % auf 7,6% steigen. Das ist prozentual weniger als in Länder wie Schweden oder Österreich, wonach dort jeder 10 Schwede oder Österreicher ein Muslim sein werden. Schließlich ist Merkels Aussage ein Zeichen der Anerkennung gegenüber der Mehrheit der Muslimen in Deutschland die sich klar zu dem Grundgesetzt bekennen.

Dennoch bringt so eine mutige Aussage auch eine ganz spezifische Frage mit sich, nämlich was mit dem Islam und den Muslimen in Deutschland werden soll. Die Muslime existieren nicht nur in diesem Land, sie fordern auch Rechte als Bürger dieses Landes ein, wie islamischer Religionsunterricht, konkreten Regelungen zum Moscheenbau und letztendlich die juristische Gleichstellung mit den anderen Religionen in Deutschland. Wie kann man nach so einem Satz aus dem Munde der – für manch Einen – „ mächtigsten Frau Europas“ den Ansprüchen der Muslimen in Deutschland begegnen?

Eine Möglichkeit wäre, wie von manchen gefordert, Deutschland in ein säkulares Land á la Francaise zu verwandeln. Deutschland würde somit in religiöser Hinsicht ein neutraler Staat werden. Die christlichen Kirchen und auch der Zentralrat der Juden würden ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechtes verlieren, wir würden keine Kirchensteuer mehr zahlen, Religionsunterricht in öffentlichen Schulen würde durch das Fach Ethik ersetzt werden oder komplett gestrichen werden. Ähnlich wie in Schweden in 2000 würde die privilegierte Partnerschaft zwischen dem Staat und einigen wenigen Religionsgemeinschaften aufgekündigt werden. Die Muslime und ihre Verbände würden dann ähnlich wie die anderen Religionsgemeinschaften eine von vielen werden.

Nur was würde sich dann an der Situation der Muslime in Deutschland ändern? Würde solch ein religionspolitischer Paradigmenwechsel eventuell doch nicht die falschen Zeichen setzen? Man nimmt den anderen ihre Privilegien weg, damit die Muslime diese nicht erhalten. Würde solch eine „Lex Islam“ nicht nur von den Falschen beklatscht werden, sondern gerade auch den Muslimen in Deutschland zeigen, dass man immer noch Angst hat, ihre Forderungen zu erfüllen?

Wie kann dann aber der Islam zu Deutschland gehören? Ebenso hat das Beispiel Frankreich gezeigt, dass die Vernachlässigung den Islam im Schulunterricht im Namen einer totalen Gleichheit zu behandeln dazu führte, dass die muslimischen Jugendlichen von den salafistischen Rattenfängern ihren Islam lernen. Im bestenfalls lernen sie den traditionellen z. T. patriarchalischen Islam ihrer Eltern.

Die andere Möglichkeit ist, den Islam juristisch anzuerkennen, konkret: Dass der Islam, ähnlich wie die Kirchen und dem Zentralrat der Juden, eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes wird. Dass der Islam von einer eigenen zentralen Glaubenskörperschaft vertreten wird. Dabei kann und sollte es, wie in Österreich den Aleviten und Sunitten, erlaubt sein, eigene Körperschaften zu gründen. Protestanten und Katholiken werden ja auch nicht gezwungen sich zu einer einheitlichen Kirche zu fusionieren.

Islamunterricht würde dann in den öffentlichen Schulen Pflicht unterrichtet werden, von Religionslehrern, die in Deutschland an islamischen Theologischen Fakultäten ausgebildet wurden. Muslime würden eine „Kirchensteuer“ an ihre Glaubenskörperschaft zahlen und die islamischen Verbände, ähnlich wie die christlichen Wohlfahrtsverbände, dafür soziale Leistungen, wie Kindergärten, Krankenhäuser, Altersheime, etc. anbieten. Solch eine Gleichstellung der Muslime an der bestehenden religionspolitischen Praxis würde wirklich den Islam und der Muslime in Deutschland integrieren und den Muslimen das Gefühl geben, dass der Islam zu Deutschland gehört.

Natürlich ist dies ein sehr langer und steiniger Weg. Die vorherige und aktuelle Bundesregierung arbeitet ja mit den verschiedenen Islamverbänden in den verschiedenen Islamkonferenzen auf dieses Ziel hin. Viele kleine Erfolge kann man in diesen letzten Jahren ausmachen, wie zum Beispiel die Gründung von islamischen Theologischen Zentren an deutschen Universitäten mit dem Ziel, Religionslehrer für einen zeitgemäßen islamischen Religionsunterricht auszubilden.

Aber machen wir uns nichts vor, die Islamkonferenz ist derzeit eingeschlafen. Zum einen auch deshalb, weil der Staat nicht in der Lage war, den muslimischen Verbänden einen Körperschaftsstatus in Aussicht zu stellen. Zum anderen, weil die Verbände untereinander zu zerstritten sind und manche von ihnen (wie die DITIB) eher die Interessen der türkischen Regierung vertreten, als die der in Deutschland lebenden Muslime. Zudem stehen viele Verbände und ihre Funktionäre für einen sehr konservativen Islam, der sich einer zeitgenössischen und kritischen Leserart des Islam versperrt. Dies zeigt sich schon in der problematischen Beziehung zwischen den Verbände und den neu gegründeten Zentren für islamische Theologie in Tübingen, Osnabrück, Erlangen und Münster. Wie sollen dann aber die Verbände einen Islam vertreten, der im Einklang mit dem Grundgesetzt steht? So verharren die Verbände in einer Stockstarre, unfähig die Interessen der Muslime in diesem Staat auch argumentative zu vertreten.

Der Islam gehört zu Deutschland. Ein Satz, der zu einem Wandel beitragen kann, im Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in diesem Land. Aber dafür müssen beide Seiten aufeinander zugehen und das Verharren in ihren Positionen endlich aufgeben. Merkel hat mit ihrem Diktum den Grundstein gelegt für einen Neuanfang der Verhandlungen zwischen Muslimen und dem deutschen Staat. Die Muslime haben mit ihrer Trauerbekundung nach den Anschlägen von Paris und ihrem Bekenntnis zum Grundgesetz demonstriert, dass sie ein Teil Deutschland sind und sein wollen. So muss nun der nächste richtige Schritt gemacht werden und der Islam wirklich Teil dieses Landes werden. Andernfalls droht uns wieder Stillstand, der nur den Falschen nützt. Der Islam in Deutschland kann nicht zerrieben werden zwischen der Pegida und den Salafisten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Cüneyd Dinc

Lebte und arbeitete als Soziologe in Istanbul. Jetzt arbeitslos in der hessichen Provinz

Cüneyd Dinc

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