Jubeltürken und europäische Öffentlichkeit

Erdogananhänger Das mediale Bild von Türken in Europa wird derzeit von den „Jubeltürken“ Erdogans dominiert. Dies bedeutet neue Probleme für Europa, welche man sorgsam beobachten muss.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Seitdem AKP Politiker in europäischen Ländern ausgeladen werden, um für das Referendum zu werben, ist das Porzellan zwischen Europa und der Türkei und insbesondere Präsident Erdogan zerschlagen. Insbesondere nach dem der türkische Außenminister und die türkische Familienministerien einen Einreiseverbot für Holland erhielten, sind AKP Politiker und erst recht Erdogan außer Rand und Band. Alle versuchen sich in übelster Beschimpfung und Nazi-Vergleichen gegenüber Deutschland und Holland zu übertreffen, was dann auch über die AKP nahen Medien an die Erdogan Fans in der Türkei und in Europa weiter vermittelt wird. Nun scheint es, dass Erdogan und seiner AKP Politiker einen weiteren diskursiven Schritt in der Europa Beschimpfung gehen und einen Kulturkonflikt zwischen „Halbmond und Kreuz“ zu erkennen glauben. Böse Zungen würden gar behaupten, die AKP Anhänger würden solche einen „umgekehrten“ Kampf der Kulturen sogar herbeisehnen. So reibt sich der gemeine Europäer die Augen, der ja in den letzten Wochen so einiges aus der Türkei an Beschimpfungen sich gefallen lassen musste und wohl noch gefallen lassen muss und fragt sich in was für einem Alptraum er doch geraten ist. Warum ergötzen sich Erdogan und seiner Anhänger an immer wüsten Nazi-Vergleichen und Kulturkampf Parolen? Haben wir es mit dem Ausfall eines zu allem entschlossenen Herrschers zu tun, der sich seinem Ziel nährt, alleine über die Türkei zu herrschen, um am Ende eine „neue Türkei“ nach seinen Vorstellungen zu erschaffen?

Kurzfristig ist dies natürlich eine clevere Wahlkampftaktik. Umfragen in der Türkei zeigen, dass Erdogan, der 2014 mit nur 52% zum Staatspräsidenten gewählt wurde, in der Türkei nicht die nötige Mehrheit für ein Ja für das Referendum am 16. April für die Verfassungsänderung erreichen wird. Insbesondere die aufkommende Wirtschaftskriese, die Massenentlassungen und Verhaftungen lassen selbst vielen AKP Wähler langsam aber sicher an der Sinnhaftigkeit einer Präsidialherrschaft Erdogans zweifeln. Umfragen zu Folge wollen wohl sogar ca. 30 % der AKP Anhänger mit Nein stimmen werden. Insbesondere steckt bei der AKP und natürlich Erdogan noch der Schock der Wahlen vom Juni 2015 noch tief, als die Partei die absolute Mehrheit im Parlament verlor. Erdogan kam drei Tage lang nicht aus seinem Amtssitz heraus und nur dadurch, dass er mögliche Koalitionsverhandlungen zwischen der AKP und der Opposition torpedierte, um dann im November Neuwahlen ausrufen zu können, konnte die AKP die absolute Mehrheit im Parlament wiedererlangte.

Also braucht Erdogan jeden zusätzlichen Prozentpunkt der Stimmen der Auslandstürken, insbesondere aus Westeuropa, wo sie mehrheitlich AKP wählen. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass bei der letzten Parlamentswahl im November 2015 nur 45% der wahlberechtigten Türken ın Deutschland zur Wahl gingen, wobei ca. 60% für die AKP gestimmt haben. Es ist noch an einiges an Wählerpotential mobilisierbar und genau darum geht es Erdogan. Abend für Abend bekommen die Diasporatürken in Europa Potemkin’sche Dörfer über die Türkei durch die AKP nahen Medien über Satellit geliefert und sind selbst nicht mit den Preiserhöhungen, Umweltschäden und Wirtschaftsschäden in der Türkei konfrontiert. In dieser medialen Simulation sehen sie eine Türkei als wachsende Regionalmacht, die deshalb von den anderen europäischen Nationen beneidet wird und der man diesen Erfolg nicht gönnt. Ein gängiges Bild dieser Propaganda ist, dass „Deutschland“ eifersüchtig auf den sich im Bau befindlichen 3. Flughafen von Istanbul ist, weil dieser ein neuer Hub zum Nahen Osten sein wird, und somit „Deutschland“ – gemeint ist die Lufthansa – im Wettbewerb um den internationalen Flugverkehr der Türkei unterliegen wird. Hinzu kommt natürlich noch, dass viele AKP und Erdogan Anhänger in Europa ihre verklärte Ausrichtung auf die Türkei nutzen, um ihre subjektiv wahrgenommenen Ausgrenzungserfahrungen durch die europäischen Gesellschaften zu kompensieren. Erdogan als Übervater gibt dann durch seinen Wahlkampf diesen Menschen eine Identität, ein Zuhause in der sie von ihren in Europa erlittenen Seelenschmerzen fliehen können. Freud hätte bestimmt seine Freude in der Analyse in dieser Beziehung. Erdogan ist auch derjenige, der den Deutschen und Holländern die Stirn bietet und sich nicht gefallen lässt und somit die Schmach, den der Erdogan Anhänger alltäglich durch die Deutschen/Holländer erdulden muss, rächt.

Wahlstrategisch macht Erdogan, für den es ja um alles oder nichts geht, aus seiner Perspektive alles richtig, damit er, wenn auch knapp, sein Referendum durchbringen kann. Da jede Stimme zählt bedienen dann er und seine Minister das Bild von den „Nazi Deutschen“ und „Nazi Holländern“ und vom Kampf zwischen „Halbmond und Kreuz“, um der eigenen Wählerschaft einen äußeren Feind darzubieten und so die letzten Stimmen herauszukratzen. Dabei hat er sich eine Wahlmaschinerie zusammengebaut, die aus AKP nahen Medien und dem AKP Karrieristen Verein, der UETD, bestehen und tagtäglich die Menschen versuchen für diesen letzten „Endkampf“ für die Zukunft der Türkei zu mobilisieren.

Natürlich könnte man hoffen, dass nach dem Referendum Erdogan zurückrudert und einen etwas versöhnlichen Ton gegenüber Europa einschlägt wird. Nicht vergessen ist die Zeit, wo Erdogan den Führer der kurdischen Autonomieregion Massud Barsani im Nordirak seinerzeit als Stammesführer beschimpfte. Heute sind sie die besten Verbündeten im Kampf gegen die PKK. Erdogan ist auch gezwungen irgendwann Europa die Hand zu reichen, denn im Zuge einer aufkommenden Wirtschaftskriese ist die Türkei natürlich auf die Hilfe aus Europa angewiesen. Auch die türkischen Exporte werden mehrheitlich mit den europäischen Staaten abgewickelt, die man ja derzeit auf übelster Weise beschimpft – die Niederlande waren 2016 das Land das am meisten in die Türkei investiert hat. Also was interessiert uns das Geschwätzt von Gestern.

Natürlich wäre es für die Europäer wünschenswert, wenn Erdogan in Zukunft auf Beschimpfungen auf seine Handels- und Natopartner verzichtet. Nur sollten wir uns nichts vormachen. Erdogan und seine Anhänger sind Menschen die mental in ihrem politischen Denken im Osmanischen Reich und in dessen historischen Erfahrungen hängen. Damit ist nicht nur der Wunsch gemeint, im Rahmen eines Neo-Ottomanismus die Türkei zu einer Regionalmacht auszubauen, die ihren Einfluss im Nahen Osten und auf dem Balkan ungestört ausüben kann. Nein, ebenso sind Erdogan und seine Minister in ihrem außenpolitischen Denken und Handeln geprägt von der Erfahrung des Osmanischen Reiches während seines Endstadium Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit musste der „Kranke Mann am Bosporus“ gegenüber den europäischen Mächten eine Reihe von wirtschaftlichen und politischen Konzessionen machen. Ein schwerwiegendes Zugeständnis war die Erlaubnis, dass die europäischen Mächte Schutzpatrone der christlichen Minderheiten sein durften. Russland war der Schutzpatron der orthodoxen Minderheiten, während das politische und wirtschaftlich stärkere Frankreich die Schutzmacht der Katholiken wurde. Dabei verteilten die Schutzmächte ihren „Zöglingen“ Pässe, die sie wiederum vor der osmanischen Gerichtsbarkeit Immun machten. In der türkischen Geschichtsschreibung waren diese Menschen eine 5. Kolone, die das Osmanische Reich von Innen „aushöhlten“. Ein Trauma von dem sich die Türkei und die türkische politische Kultur nie erholt haben.

Ein traditionelles Credo der türkischen Außenpolitik war immer der Wunsch, die Masse der Auslandstürken zu benutzen, um diese für eine Lobbyarbeit zu benutzen – sozusagen den Westen mit den eigenen Waffen zu schlagen. Vorbild war die sogenannte Israel-oder die armenische Lobby in den USA. Die schiere Masse an Türken in Europa sollte dabei als Einflussmaschinerie benutzt werden. Erdogan und die AKP waren aber die ersten die in dieses Projekt Mittel und Energie investiert haben. So wurde vor Zehn Jahren in Ankara die Anstalt für Auslandstürken gegründet, die direkt dem Premierminister unterstand, mit dem Ziel, die Aktivitäten der Auslandstürken im Sinne der türkischen Interessen zu lenken und auch zu finanzieren. Ein direktes Standbein im Ausland war dann die AKP Europa Organisation UETD, welche als Lobbisten fungieren sollte und heute maßgeblich den Wahlkampf in Europa organisiert. Finanziell wird die UETD durch den türkischen Staat unterstützt. Insbesondere nach dem sich Erdogan mit dem Prediger Gülen zerstritten hat, dessen Hizmet Bewegung die Lobby Arbeit in Europa unternahm, wurde die UETD durch die Finanzierung und Unterstützung des türkischen Staatsapparates zu einer Gegenbewegung aufgebaut. Heutzutage hat die UETD ungefähr 139 Ableger in Europa und ihre Vertreter sind immer präsent, wenn jemand die Perspektive Erdogans erklären soll. Zu guter Letzt bedient sich die AKP bei den religiösen Verbänden in Europa, insbesondere der DITIB, die über die Moscheen zu für das „Schicksal der Türkei“ mobilisieren versuchen.

Somit sind die Massen der Auslandstürken und Erdogananhänger eine Waffe, um auf die europäische Öffentlichkeit Druck auszuüben. Ähnlich wie die europäischen Mächte im letzten Jahrhundert, will die AKP diese „Levantiner“ Erdogans benutzen, um ihr Bild über die Türkei in der Öffentlichkeit zu präsentieren und zur Not auf den Straßen präsent zu sein. Dabei fällt auf, dass aus Ermangelung einer eigenen Organisation der türkischen Opposition, die Erdogan Anhänger das mediale Bild in der Europa dominieren. Somit befindet sich Erdogans Anhänger in Europa auch in einem Konflikt um die mediale Deutungshoheit gegenüber der türkischen Opposition, den Kurden und den Gülenisten. Das dies sogar auch in Gewalt ausarten kann bewiesen die Ereignisse in Rotterdam, wo Erdogan Anhänger mit der niederländischen Polizei einander gerieten. Das bedeutet, das auch wenn Erdogan nach dem 16. April rhetorisch zurückrudert, hat er das Potential und die Mittel, seine Anhänger in einem europäischen Land zu mobilisieren, wenn es zu einem Konflikt mit diesem Land kommt.

Genau hier kommen die europäischen Regierungen ins Spiel. Nicht nur, dass sie sich in Zukunft fragen müssen, ob sie sich zukünftige verbale Ausfälle von Erdogan gefallen lassen müssen. Sie müssen auch einsehen, dass sie mit den Jubeltürken von Erdogan in den europäischen Städten, mit ihren Organisationen und Medien, eine Gruppe haben, die bei einem zukünftigen Streit mit Erdogan auf die Straßen gehen können und die im Endeffekt für Ihren Reis/ Führer alles tun würden. Ganz zu schweigen, dass die Existenz fanatischer Erdogananhänger ein Armutszeugnis für die Integration dieser Menschen bedeutet. Machen wir uns nichts vor, der Konflikt in der Türkei wurde längst durch Erdogan und die AKP in die europäische Öffentlichkeit getragen. In Zukunft müssen wir als Europäer uns deshalb fragen, wie wir im Rahmen eines demokratischen Rechtsstaates – von dem sich ja die Türkei mehr und mehr verabschiedet – uns mit den AKP Organisationen und Medien auseinandersetzen können und was wir dem gegenüberstellen. Ein deutsch-türkische Fernsehen wie ARTE, was ja von Cem Özdemir ins Spiel gebracht wurde, könnte eine Lösung sein, was man zumindest diskutieren könnte. Was aber viel wichtiger wiegt, ist aber auch die Frage, wie wir die ganzen AKP Anhänger davon überzeugen, dass Europa für sie eine bessere Alternative als die Türkei ist und das nicht Erdogan sich um ihr Schicksal sorgt, sondern die jeweiligen Regierungen der Ländern in denen sie leben. Diese Menschen an den Beteiligungsprozessen als Bürger Deutschlands, Hollands, usw. heranzubringen, scheint wohl das größte Problem zu sein, was die europäischen Regierungen zu bewältigen haben. Aber wenn sich diese Menschen nicht mehr mit der Türkei identifizieren können und nicht mehr in Erdogan ihren Retter sehen, werden sie auch nicht mehr bereit sein, als Levantiner Erdogans zu dienen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Cüneyd Dinc

Lebte und arbeitete als Soziologe in Istanbul. Jetzt arbeitslos in der hessichen Provinz

Cüneyd Dinc

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden