Warum interessiert sich Ali für die Türkei?

Deutschtürken Der Wahlkampf um das türkische Referendum in Deutschland hat gezeigt: Die deutsche Politik hat das Ringen um die politisch motivierten türkeistämmigen Menschen verloren

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Unterstützer des Ja-Lagers bei einer Rede des türkischen Außenministers Mevlut Cavusoglu
Unterstützer des Ja-Lagers bei einer Rede des türkischen Außenministers Mevlut Cavusoglu

Foto: Morris MacMatzen/Getty Images

Das Ergebnis des Referendums in der Türkei vom 16. April hat nicht nur in dort für Aufsehen gesorgt. Auch in der europäischen, und erst recht in der deutschen Öffentlichkeit wurde sowohl der Wahlkampf, als auch das Wahlergebnis mit Interesse verfolgt. Während aber der Ausgang in der Türkei, trotz einer knappen Niederlage für das Nein Lager, zuweilen auch zur Wiedergeburt der türkischen Gesellschaft erklärt wurde, musste sich die deutsche Öffentlichkeit erst einmal von der Tatsache erholen, dass der Anteil an Befürwortern der Verfassungsänderung unter den in Deutschland lebenden Türken mit 63 Prozent weit über dem Ergebnis in der Türkei lag. Dieser Schock wurde begleitet von einem vielstimmigen Chor parteiübergreifender Aufforderungen an alle Ja-Wähler, doch bitte den deutschen Pass abzugeben, wenn man nicht gewillt sei, sich für ein demokratisches Regierungssystem einzusetzen.

Abgesehen davon, dass bisher keiner auf die Idee kam, in diesem Sinne russische oder polnische Doppelstaatler, die Wladimir Putin oder Beata Szydło gewählt haben, aufzufordern, die deutsche Staatsangehörigkeit abzugeben, versäumte vielen Kommentatoren zu fragen, warum sich so viele Türken überhaupt für die türkische Politik interessierten und kaum für die deutsche. Warum ist Erdogan interessanter als Merkel?

Viele Türkeiexperten und solche, die sich dafür halten, versuchten, dies meist durch den Hinweis auf die libidinöse Beziehung zwischen Erdogan und seinen Wählern in Deutschland zu erklären, ebenso wie mit dessen Fähigkeit den Deutsch-Türken in Deutschland ein neues Selbstwertgefühl zu geben. Erdogan als der große Bruder also, der im Sandkasten den armen, unterlegenen Ali vor dem „bösen“ Hans beschützt. Folgt man dieser Erklärung, dann ist das Interesse für Erdogan nur das Resultat von subjektiv wahrgenommenen Diskriminierungserfahrungen.

Doch obwohl dieser monokausale Erklärungsansatz wichtige Punkte anspricht, greift er zu kurz. Zunächst einmal beschränken sich die Diskussionen meist auf die Erdogan-Anhänger. Dabei wird oft vergessen, dass auch die Erdogan-Gegner in Deutschland ein sehr großes Interesse an der türkischen Politik haben. Dabei wird vergessen, dass nicht nur das Ja-Lager in Deutschland einen aktiven Wahlkampf betrieben und seine Anhänger mobilisiert hat, sondern auch das Nein-Lager, wenn auch nicht so effektiv.

Die Gleichgültigkeit rächt sich

Gleichzeitig wird von allen deutschen Parteien und der deutschen Öffentlichkeit so getan, als ob sich die Türkeistämmigen erst seit kurzen sich für die politischen Geschehnisse in der Türkei interessierten. Dummerweise interessieren sich Türken und Kurden nicht erst seit gestern für das, was in der Türkei passiert, sondern seitdem sie eine Satellitenschüssel haben, die gen Istanbul gerichtet ist. Diese Menschen leben in einem transnationalen Raum, in dem türkische Politik an sie medial vermittelt wird. Für viele Türken sind die Hauptnachrichten aus der Türkei viel wichtiger und interessanter als die Tagesschau. Dies mag vielleicht für die bildungspolitische Entwicklung nicht förderlich sein, dennoch hatte man die Tatsache, dass die Türkeistämmigen in Deutschland medial in einer anderen Welt lebten, bisher einfach als natürliche Gegebenheit hingenommen. Diese Gleichgültigkeit gegenbüber dem Medienkonsum der Deutschtürken rächte sich, als dann Erdogan seine mediale Macht benutzte, um seine Anhänger in der europäischen Öffentlichkeit zu mobilisieren, den innertürkischen Konflikt dadurch nach Deutschland brachte und so die türkischsprachige Community in Deutschland spaltete. Aufgewacht aus einem bösen Traum, bemerkten deutsche Politiker und Journalisten, dass die deutsche Politik für die Deutschtürken nach Jahrzehnten des türkischen Medienkonsums so gut wie kaum existent war. Alle in Deutschland lebenden Türken, ob mit oder ohne deutschem Pass, konnten sich zum Beispiel wunderbar über die Aussagen Erdogans vom Tag zuvor streiten, jedoch kaum über etwas, das Merkel gesagt hatte.

Ebenso haben es die deutschen Parteien nicht geschafft, den Großteil der türkischsprachigen Migranten für die deutsche Politik zu Gewinnen und sie gar zur Mitarbeit in den Parteien zu bewegen. Natürlich, der deutsche Politikbetrieb ist bunter geworden. Die meisten etablierten Parteien von der CDU bis hin zur Linken, haben ihre eigenen innerparteilichen Migrantenorganisationen, die wunderbare Arbeit leisten. Ebenso darf nicht vergessen werden, dass etwa mit Serap Güler bei der CDU oder Cem Özdemir bei den Grünen türkeistämmige Deutsche wichtige Stufen in der Parteihierarchie erklommen haben und so auch zum öffentlichen Gesicht der Parteien sind. Nur wird das von der Mehrheit der Community kaum wahrgenommen und türkeistämmige Politiker eher als Fremdkörper angesehen. Insbesondere konservative Türken pflegen zudem das Bild von einem türkischstämmigen Politiker, wonach dieser seine Politik bitte für die Interessen der Türkei richten solle. Wenn solch ein Politiker sich dann zum Beispiel nicht gegen die Armenienresolution des deutschen Bundestages ausspricht und gar für sie stimmt, oder sich gegen die Politik der Regierung Erdogan wendet, wird er oder sie als Verräter betrachtet.

Die deutschen Parteien haben es versäumt zu erkennen, dass sie sich in einem Wettbewerb mit den konservativ türkischen Migrantenorganisationen und hier insbesondere den türkischen Moscheeverbänden, allen voran die DITIB, und der Auslandorganisation der AKP, der UETD, befinden. Diese bilden nicht nur die beiden Säulen der Politik der AKP gegenüber den im Ausland lebenden Türken, sie sind auch sehr erfolgreich in der Rekrutierung und Mobilisierung von politikinteressierten, zumeist jungen, türkischsprachigen Migranten. UETD, DITIB, aber auch die nun mit der türkischen Regierung zerstrittene Gülenbewegung bieten jungen, talentierten Menschen eine Möglichkeit, ihre Energie auf ein höheres Ziel zu richten und geben ihnen dabei auch ein Gemeinschaftsgefühl. Diese Menschen bekommen Aufgaben von Menschen, welche dieselbe Herkunft wie sie haben, was wiederum ihrem Leben einen Sinn gibt und ihnen Ansehen in der eigenen Community verschafft. Bewähren sie sich, können sie in diesen Organisationen Karriere machen und vielleicht einen gut dotierten Job beim türkischen Staat bekommen. Natürlich könnten sie auch Karriere in einer deutschen Partei machen, Beispiele gibt es ja genug. Aber warum sollten sie? Insbesondere wenn sie sich eigentlich nie für deutsche Politik interessiert haben, da deutsche Politik medial für sie nie existierte.

Es braucht neue Strategien

Salopp gesagt, haben die Satellitenschüssel und die Moschee die jungen türkischstämmigen Neudeutschen von der deutschen Politik herausgerissen. Aber wenn diese jungen Menschen sich politisch von Deutschland entfernt haben, wie sollen sie denn was für das Schicksal ihrer Community was beitragen? Es ist ja nicht so, dass sich diese jungen Menschen für die Probleme in ihrer Umgebung nicht interessieren. Aber die Institutionen der AKP, sind so erfolgreich, dass sie sie glauben machen, dass nicht die deutsche Politik, die sie ja angeblich nur assimilieren will, sondern nur die Türkei und Erdogan die Lösung für alle Probleme ist.

Die deutsche Politik und insbesondere die deutschen Parteien, müssen in der Lage sein, diesen Wettbewerb um die Herzen der Türkeistämmigen aufzunehmen und zu gewinnen. Es muss jedem türkischstämmigen Deutschen klar gemacht werden, dass nicht Ankara, sondern Berlin die Adresse für die Lösungen seiner Probleme ist. Parteien müssen sich überlegen, wie sie auf die türkischstämmigen und insbesondere konservativen Migranten besser zugehen können. Ebenso müsste die deutsche Politik sich fragen, ob man nicht einen öffentlich rechtlichen deutsch- und türkischsprachigen Sender, im Sinne von Arte, aufbauen sollte – sozusagen als Gegenpol zu der medialen Dominanz des Türksat Satelliten.

Die Ereignisse und Konflikte in der türkischstämmigen Community während des türkischen Wahlkampfes haben uns gezeigt, wie sehr die bisherige Vernachlässigung der Community durch die deutsche Politik und das Versagen der deutschen Parteien im Wettbewerb mit der AKP um die fähigen Köpfe innerhalb der türkischsprachigen Gemeinschaft sich nun rächt. Deshalb muss jetzt auch die deutsche Politik eine andere Strategie im Ringen um diese Menschen vorlegen. Sonst wird Deutschland in diesem Wettbewerb mit der Türkei der Verlierer sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Cüneyd Dinc

Lebte und arbeitete als Soziologe in Istanbul. Jetzt arbeitslos in der hessichen Provinz

Cüneyd Dinc

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