Der Absprung vom toten Pferd

Ein Kommentar GroKo, Eurowahl, Klimapolitik, Rücktritt: Der Strauchel-Kurs der SPD

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Berlin Kreuzberg - Im Atrium des Willy-Brandt-Haus verhallen die spitzen Schritte der Reinigungskraft irgendwo in den anliegenden Gängen und Winkeln des Gebäudes. Ihren Weg ins Atrium zurück werden sie nicht finden. Unbeeindruckt schaut Willy Brandt in die Leere und scheint mir der rechten Hand auf irgendwas hinzuweisen, was dem Auge des Betrachters allerdings verwehrt bleibt. Die Statur, knapp 3,50 m hoch und 500 kg schwer, stilisiert Willy Brandt als Schwergewicht des politischen Kampfes. Gleichzeitig scheint dieses Denkmal zu mahnen: Achtet auf die Dinge, die da kommen werden!
Das Lockere, der entspannte Gestus und die Kraft dieser Figur könnten der SPD dieser Tage als eine Mahnung, ja eher noch als ein Memento an bessere Zeiten gereichen.

Die aktuelle Lage in der Partei scheint ein Lauffeuer, das in der Partei wütet und jeden zerreißt, der sich nicht schnell genug in den rettenden Fluss der Masse wirft. Aktuelle „Gegen-den-Strom-Schwimmerin“ Andrea Nahles forderte dieses Lauffeuer heraus, in der Hoffnung, wenn es schon nicht zu löschen, sich doch wenigstens zu eigen machen können.
Mit dem Versuch die Wahl um den Parteivorsitz vorzuziehen, versuchte Nahles einen Doppelzug: Die parteiinternen Kontrahenten hervorlocken und gleichzeitig darauf hoffen, dass der Rückhalt um die eigene Person in der Partei groß genug wäre, um sich im Parteivorsitz bestätigen zu lassen. In Anbetracht des Sturzfluges, den die SPD seit Beginn der großen Koalition begonnen und mit der Europawahl fortgesetzt hat, keine schlechte Strategie.
Die öffentliche Unterstützung wurde der Parteivorsitzenden von der Basis nicht zugesagt. Durch die Klärung der Machtverhältnisse in der Partei hoffte sie, sich wieder auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren zu können. Die dadurch entstandenen Verwerfungen innerhalb der Fraktion hatte sie nicht kommen sehen und für den daran anknüpfenden Diskurs war sie nicht gewappnet.

Mit ihrem angekündigten Rücktritt zieht die Vorsitzende eine Linie und schafft neue Möglichkeiten für die SPD. Die Zäsur sorgt nun dafür, dass sich die SPD neu ordnen muss, ungeachtet der Tatsache, dass es innerhalb der SPD keinen einheitlichen Kurs gibt. Durch ihren Rücktritt zwingt sie die Partei dazu in den Diskurs zu gehen: Was will man? Wo will man hin? Wie will man es schaffen?
Die Personalfrage, wer sich nun an das Steuer des schwankenden Schiffes stellt, bleibt davon gänzlich unberührt. Es geht allein um eine neue und inhaltliche Ausrichtung, die der SPD schon bei der letzten Bundestagswahl gutgetan hätte.

Nahles schreibt:

„Ich hoffe sehr, dass es Euch gelingt, Vertrauen und gegenseitigen Respekt wieder zu stärken und so Personen zu finden, die ihr aus ganzer Kraft unterstützen könnt. Unser Land braucht eine starke SPD! Meinen Nachfolgerinnen oder Nachfolgern wünsche ich viel Glück und Erfolg.“

Nahles vollzieht hier einen Schritt, der in der zeitgenössischen Polit-Kultur fast undenkbar erscheint: Sie verzichtet zum eigenen Geratewohl auf ihre Ämter, um ein Zeichen zu setzen, um zu zeigen, dass die Debatte um die Organisation und die Bestimmung der Zukunft der Partei weit wichtiger ist als ihre Person.

Indem die Vorsitzende ihre Koffer packt, übernimmt sie Verantwortung, etwas, das in den vergangenen Jahren politischer Diskurse schmerzlich unterlassen wurde. Zu sehr scheint es den Politikern darauf anzukommen, sich selbst in Lohn und Brot zu halten, an der Macht festzuhalten, die man ihnen zugesprochen hat. Persönliche Konsequenzen für sein politisches Handeln zu ziehen, scheint bei Politikern seltener und schwieriger zu finden als die Existenz eines Einhorns oder anderer mystischer Kreaturen.
Als solch eine Kreatur erscheint Andrea Nahles allerding, als ein Phönix, aus dessen Asche nun etwas Neus geformt werden kann. Inwieweit sich die SPD dieser Tat und vor allem dieser Chance bewusst ist, werden die nächsten Wochen zeigen.

Wünschenswert wäre es, wenn der linke Flügel in der Partei erstarkt und einen Bruch in der großen Koalition herbeiführt. Die Neuorganisation der Partei wäre dabei nach wie vor überschattet von der katastrophalen Europawahl. Dennoch könnte die SPD ein neues Profil gewinnen und zeigen, dass sie in der Lage ist, Politik dann aus der Opposition heraus zu machen – so wie es mit Sicherheit bereits bei der letzten Wahl der bessere Kurs gewesen wäre.
Vielleicht findet es sich in diesem Zuge auch, dass die SPD sich dem Thema des Klimawandels annimmt, vielleicht unter der schmerzlichen Erkenntnis, dass die aktuelle Umweltministerin aus ihren eigenen Reihen stammt. Wenn die SPD es schafft, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren und nicht mit jedem erdenklichen Mittel versucht ihre Macht durch das Aufrechterhalten der großen Koalition zu konservieren, kann der Rücktritt von Andrea Nahles zu etwas Neuem und Gutem führen: Ein politischer Neuanfang für die SPD.

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