Jim Hensons "Red Book" -- wie Twitter, 1965

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Mit einem "Was-wäre-wenn"-Einstieg macht man es sich sehr leicht, ja, und doch drängt sich der Konjunktiv diesmal auf. Also, was wäre denn nun, wenn es Twitter bereits 1965 gegeben hätte oder: Was wäre, wenn Jim Henson, ja der Jim Henson, noch am Leben wäre -- hätte sich der Erfinder der Muppets dem Netzwerk angeschlossen? Würde er 'tweeten'? Die Überlegung scheint zunächst abwegig, doch Hensons Journal Red Book ist im Grunde ein handschriftlich festgehaltenes Gezwitscher.

Hier nun aber die Auflösung der mysteriösen Hypothesen: Vor fast genau 46 Jahren begann Jim Henson -- einst Puppenspieler, dann Produzent der Muppet Show -- ein Tagebuch zu führen. "The life and times of The Muppets as documented by Jim Henson and begun this 7th day of June, in the year of our Lord 1965" war der offizielle Titel dieses Journals, in dem der damals 28-Jährige anfing, Aufzeichnungen zu Beruf und Privatleben zu machen. Und zwar, und das ist das Besondere, in knapper Form: Neben dem Datum trug Henson in sein Red Book nur das Nötigste ein. So ist einer der wichtigsten Tage seiner Tochter folgendermaßen vermerkt: "Lisa graduates Harvard Summa Cum Laude!" Nicht mehr, nicht weniger. Das rote Büchlein (hier ein Photo) war Hensons Begleiter bis 1988. Nur zwei Jahre später sollte der Verfasser sterben.

Letzten September hat die Jim Henson Company, die für den Nachlass verantwortlich ist, erkannt, dass sich die kurzen handschriftlichen Notizen auch im Online-Zeitalter verwerten lassen: Auf ihrer Internetpräsenz hat die Company die Seite Jim Henson's Red Book geschaffen, wo, dem aktuellen Datum folgend, jeden Tag ein entsprechender Journal-Eintrag zitiert und mit Hintergrundinformationen, Fotos und Skizzen aus Hensons Privatarchiv versehen wird. Die Kurzvariante, also nur den jeweiligen Eintrag Hensons, gibt es ebenso offiziell auf Twitter. Als Autor der Tweets ist Jim Henson eingetragen. Ob dies nach seinem Ermessen wäre, können wir nicht wissen, ebenso nicht, ob sich der amerikanische Muppets-Vater dazu bereit erklärt hätte, sein Tagebuch in ebenjener Form öffentlich zugänglich zu machen. Die 140-Zeichen-Begrenzung hätte ihm sicherlich nichts ausgemacht -- waren seine Vermerke doch präzise und auf so wenige Wörter wie nötig reduziert.

Die sogenannten 'one-line-journals' oder 'one-sentence-journals' sind natürlich altbekannt und wurden schon vor Jahrhunderten geführt, jedoch firmieren sie in der modernen Zeit unter diesen Bezeichnungen. Oftmals gibt es diese schon mit Datum und Linien bedruckt als 'five-year-journals' zu kaufen (ohne Werbung machen zu wollen: hier und hier gibt es Beispiele mit Fotos). Doch die persönlichsten Notizbücher sind selbstverständlich weder vorgefertigt, noch liniert, noch kariert, sondern blanko. Minimalismus und Pragmatismus sind zum Glück wieder populär.

Und nun sollte sich jeder ein solches Büchlein zulegen und seine Erlebnisse zu Papier bringen. Ohne Delete-Taste.

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Startseitenfoto: Mark Wilson / Getty Images

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Geschrieben von

D. Walasek

Vor sich hin dilettierender Schreiberling. Oder zumindest das, was auch immer man drunter verstehen mag, wenn man nicht drüber steht.

D. Walasek

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