Inflation der Umfragen

Bundestagswahl Mehrere Meinungsforschungsinstitute veröffentlichen erstmals aktuelle Umfragen sogar noch am Wahltag. Warum das keine gute Nachricht ist

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Inflation der Umfragen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

"Die Veröffentlichung von Umfragen kurz vor der Wahl ist ein Dienst an der Demokratie. [...]Bei einer Wahl ist der Wähler der Entscheider, und er hat das Recht auf Informationen, die der Entscheidungsfindung dienen", so rechtfertigt der Politologe Werner Weidenfeld den Tabubruch. Erstmals in der bundesdeutschen Geschichte wird nun am Morgen des Wahlsonntags eine aktuelle Umfrage erscheinen. Wenig verwunderlich ist, dass die Bildzeitung Auftraggeber dieser Last-Minute-Umfrage ist. Schließlich bemüht sich das Blatt auch sonst um möglichst sensationsheischende Berichterstattung im vermeintlichen Dienste ihre Leser.

Die Aussage Weidenfelds ist eine Reaktion auf die deutliche Kritik an den Meinungsforschern, angesichts der Aufweichung des ungeschriebenen Gesetzes, kurz vor der Wahl keine neuen Stimmungsbarometer zu veröffentlichen. Vor allem Gregor Gysi (die Linke) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatten zuvor ihren Unmut kundgetan. Während Gysi die "versuchte Beeinflussung" von Wählern geißelt, befürchtet Lammert "eine Verwechslung von Umfragen und Wahlergebnissen".

Beide Positionen zeugen zweifelsohne von Vernunft, zeigt doch schon ein einfaches Beispiel ,wie sehr der Wahlausgang möglicherweise durch solche Umfrage beeinflussbar ist: Angenommen die FDP läge in der morgen früh erscheinenden Erhebung bei 4, 7%, brächte dies potentielle FDP-Wähler dazu erst recht zur Wahl zu gehen, da der Abstand zur 5%-Hürde "aufholbar" scheint. Bei einer größeren Distanz, etwa bei prognostizierten 3,5 % hingegen zögen die Wähler andere Schlüsse: Es würde befürchtet, seine Stimme zu verschenken, sollte man FDP wählen. Stattdessen, so ist zu vermuten, würde viele FDP-Sympathisanten entweder zu Hause bleiben oder sich für eine andere Partei entscheiden. Zwar mag man argumentieren solche Verschiebungen gäbe es auch bei länger zurückliegenden Umfragen, doch hier haben die Parteien noch ausreichend Zeit die Stimmung zu ihren Gunsten zu beeinflussen und einen größeren "Spannungsmoment" zu erzeugen.

Zudem drängt sich die Frage auf, welcher Informationsgewinn für die Wahlbevölkerung entstehen soll. Falls es überhaupt einen gibt, dann ist er ledglich taktischer Natur. Angesichts der Tatsache, dass die mediale Aufmerksamkeit sich ohnehin schon viel zu oft auf das Für und Wider unterschiedlicher Koalitionsmöglichkeiten fokussiert, ist dies sicher kein demokratischer Gewinn. Es fördert vielmehr den Eindruck, die Bundestagswahl sei eine Art spieltheoretisches Experiment, bei dem es darum geht, durch kluges strategisches Verhalten den Nutzen des (politischen) Gegners zu minimieren. Eine Wahlentscheidung sollte aber auf gründlich abgewogener, inhaltlicher Basis erfolgen.

Wollten die Medien also wirklich einen wertvollen Beitrag zur Demokratie leisten, was im Falle der BILD sicher bezweifelt werden darf, so gäbe es eine einfache Lösung: Zurück zu einer Berichterstattung die Inhalte statt vermeintlicher Skandale zum Thema macht. Eine Berichterstattung, die Zukunftsvisionen der Parteien hinterfragt, satt täglich neue Wasserstandsmeldungen in Form von Umfragen anzubieten. Vielleicht hätte das auch positive Effekte auf die Wahlbeteiligung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

D. M.

Student mit Interesse für politische und volkswirtschaftliche Themen. Möchte gelegentlich auch selbst Beiträge schreiben.

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