TTIP ist nutzlos!

Leere Versprechungen. In der Öffentlichkeit gibt es derzeit kaum ein anderes Thema, das die Gemüter derart erhitzt: TTIP. Doch die Verspechen der Befürworter sind ein Mythos.

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Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA wird kontrovers diskutiert. Hinsichtlich der Vertragsbestandteile von TTIP und der intransparenten Verhandlungsführung regt sich Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung. Eine teilweise Absenkung von Arbeitsschutz- und Verbraucherstandards ist wahrscheinlich, die Investorenschutzklausel in ihrer derzeit diskutierten Form würde die Rechtsstaatlichkeit für internationale Konzerne de facto aushebeln und politisches Handeln spürbar erschweren, Kulturbetriebe sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Wenig verwunderlich also, dass eine Mehrheit der Deutschen dem Abkommen höchst skeptisch gegenübersteht. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov glauben nur 26% der Bundesbürger, TTIP werde Positives für ihr Land bewirken, 43% hingegen befürchten negative Auswirkungen für die Bundesrepublik.

Viele dieser Befürchtungen sind ohne Zweifel gerechtfertigt, manche, wie etwa im Falle des Chlorhuhns, überzogen. Doch inmitten der hitzigen Debatte um Arbeitsrecht, Verbraucherschutz und Kulturförderung wird häufig vergessen, mit welcher Begründung Verhandlungen zur Schaffung einer gemeinsamen Freihandelszone überhaupt aufgenommen wurden. Kanzlerin Merkel etwa glaubt, TTIP sei notwendig für Europa, um „nicht abgehängt“ zu werden. Deshalb müsse „zügig und entschieden“ verhandelt werden. Die EU-Kommission stützt ihre Argumentation dagegen auf eine Studie des Londoner Centre for Economic Policy Research (CEPR). Diese prophezeit unter TTIP eine Steigerung der Exporte der EU in die USA um 28%. Außerdem führe das Abkommen zu einer Erhöhung des europäischen BIP um jährlich 119 Milliarden, der Arbeitsmarkt werde ebenfalls profitieren. Alles gut also? Rechtfertigt der ökonomische Nutzen die potentiellen Nachteile? Mitnichten. Die wesentlichen Studien der TTIP-Befürworter basieren auf unrealistischen Annahmen oder sind methodisch fragwürdig. In einem Report der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt die Volkswirtin Sabine Stephan wesentliche Schwächen der bisher vorgelegten Forschungsarbeiten auf.

Die oben genannten Wachstumszahlen aus der CEPR Studie etwa beziehen sich auf den langfristigen Gesamteffekt des Abkommens. Das bedeutet, im Jahr 2027 wäre gemäß dem zu zugrunde liegenden Szenario das BIP der EU mit TTIP um 0.48% höher als ohne TTIP. Das entspricht einem jährlichen Wachstumszuwachs durch das Abkommen von 0.05 Prozentpunkten. Man muss kein Ökonom sein, um zu erkennen, dass es durch diesen minimalen Wachstumseffekt wohl kaum zu einer Verbesserung der konjunkturellen Lage kommen würde. Zu Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt macht die Studie im Übrigen keine konkreten Angaben. Das gewählte Simulationsmodell arbeitet lediglich mit einem konstanten Beschäftigungsniveau. Von neuen Jobs durch TTIP also keine Spur.

Bleiben noch die zwei Studien des Münchener Ifo-Institutes, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums und der Bertelsmann-Stiftung wahre Lobeshymnen auf TTIP singen. Stephan hat auch die Befunde dieser Arbeiten einer kritischen Würdigung unterzogen. Zunächst einmal basieren beide Studien auf der Annahme, das Außenhandelsvolumen der USA sowie der EU würde unter TTIP um durchschnittlich 76% zunehmen. Eine äußerst gewagte These, die in der Realität nicht einmal annähernd eintreffen dürfte. Die im Auftrag von Bertelsmann angefertigte Studie schätzt die Zahl der in Deutschland neu entstehenden Jobs durch TTIP auf über 180.000, im Auftrag des Wirtschaftsministeriums errechnet das Ifo-Institut jedoch nur 22.500 neue Arbeitsplätze. Auch hier handelt es sich wieder um einen Gesamteffekt, also die Summe aller durch TTIP neu entstandenen Arbeitsplätze innerhalb der ersten zehn Jahre nach Unterzeichnung.

Doch wie sind die unterschiedlichen Zahlen zu erklären? Im ersten Fall wird ein wichtiger Arbeitsmarkteffekt schlicht vernachlässigt. Nimmt im exportierenden Sektor die Produktivität und Profitabilität zu, so entstehen dort in der Tat neue Jobs. Gleichzeitig verlassen jedoch Mitarbeiter nun weniger profitable Firmen, beispielsweise solche Unternehmen, die eher auf dem heimischen Markt tätig sind und jetzt mit der wachsenden Anzahl von US-Importen konkurrieren müssen. Die gesamtwirtschaftlich entstehenden "neuen" Arbeitsplätze sind also lediglich die verbleibende Differenz der beiden Effekte. Die Wanderungsbewegung von Arbeitnehmern zwischen produktiver werdenden und vergleichsweise unproduktiven Unternehmen einfach zu ignorieren, führt zu falschen Ergebnissen und macht die Prognose von 180.000 neuen Jobs in Deutschland zu einem unseriösen Versprechen.

Eine deutlich realitätsnähere Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des geplanten Freihandelsabkommens bietet dagegen eine Studie der US-Amerikanischen Tufts University. Die Autoren verwenden dabei ein anderes ökonometrisches Modell zur Simulation der Effekte von TTIP. Es handelt sich dabei um das Global-Policy-Modell der Vereinten Nationen. Dieses Modell zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass es die Ungleichverteilung Einkommen mit einbezieht. Schließlich wäre nicht jeder in gleichem Maße von den Auswirkungen des Abkommens betroffen. Darüber hinaus berücksichtigt das Modell umfassend die wirtschaftlichen Interaktionen mit anderen Regionen der Welt und geht davon aus, dass das Verhältnis zwischen Beschäftigung und Wirtschaftswachstum Schwankungen unterliegt. Wenig überraschend stellen sich die Ergebnisse nun völlig anders und deutlich weniger positiv dar.

Die Studie kommt zum Ergebnis, dass die EU - im Simulationszeitraum bis zum Jahr 2025 - einen Nettoexportverlust erleiden würde. In Frankreich beliefe sich dieser auf 1,90% des BIP, in Deutschland immerhin noch auf 1,14%. Erklärt werden kann dies möglicherweise durch einen steigenden Import von vergleichsweise einfachen Gütern in die EU, zum Beispiel aus den USA oder Asien. Auch der europäische Arbeitsmarkt könnte den Forschern zufolge unter Druck geraten. Prognostiziert wird ein Verlust von 583.000 Arbeitsplätzen in Europa. Man muss kaum betonen, zu welchen sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen diese Entwicklung führen könnte, gerade angesichts der ohnehin katastrophalen Beschäftigungssituation in weiten Teilen Südeuropas. Der mit dem sinken Beschäftigungsgrad einhergehende Konsumrückgang würde dann auch zu sinkenden Steuereinnahmen, etwa bei der Mehrwertsteuer, führen und gleichzeitig die Staatsausgaben, etwa für Arbeitslosengeld, erhöhen. Zusätzlich würde der Anteil des Arbeitseinkommens am BIP weiter sinken und Einkommen aus Vermögen weiter an Bedeutung gewinnen. Eine Zunahme der Ungleichheit und damit einhergehenden sozialen Spannungen wäre die Folge. Insgesamt bilanziert die Studie also einen negativen volkswirtschaftlichen Effekt für Europa. Solche Befunde schaffen leider viel zu selten den Weg in die öffentliche Diskussion.

Vielmehr wird häufig der Eindruck erweckt, übergroße Handelsschranken müssten endlich hinweggefegt werden, damit sich der ach so gehemmte Warenverkehr zwischen Europa und den USA frei entfalten kann. Das ist aber geradezu eine Karikatur der Realität. Bereits heute sind die USA wichtigster Handelspartner der Europäischen Union. Im Jahr 2013 exportierte Europa Waren im Wert von 289 Milliarden Euro in die USA und importierte im Gegenzug Waren im Wert von 196 Milliarden. Damit sind EU und USA nach Angaben des Auswärtigen Amtes die „weltweit am stärksten miteinander vernetzten Wirtschaftsregionen“. Trotz Finanzkrise sind die Importe aus den USA in den letzten zehn Jahren gestiegen, die Exporte in die USA erreichten 2014 sogar Rekordniveau. Angesichts dieser Faktenlage von nennenswerten Handelshemmnissen zu sprechen, erscheint reichlich grotesk.

Aus der Handelsstatistik ergeben sich also keinerlei Anhaltspunkte für die Notwendigkeit eines Freihandelsabkommens mit den USA. Auf die Prognosen der von der europäischen Politik propagierten Studien zu vertrauen ist ebenfalls keine gute Idee. Neben den bereits genannten Problemen werden die Kosten von TTIP meist nicht gegengerechnet. Außerdem wird von einer weitestgehenden oder sogar vollständigen Beseitigung aller Handelsbeschränkungen ausgegangen. Kaum ein Politiker in den USA oder Europa dürfte jedoch so weit gehen wollen. Durchsetzbar wäre das ohnehin nicht.

Es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass TTIP die europäische Wirtschaft nennenswert voran bringen könnte. Im Gegenteil: Es drohen Arbeitsplatzverluste und sinkende Steuereinnahmen. Die positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekte von TTIP sind ein Mythos.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

D. M.

Student mit Interesse für politische und volkswirtschaftliche Themen. Möchte gelegentlich auch selbst Beiträge schreiben.

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