eine halbe lizenz zum töten – mit nachspiel

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ich bin ja sonst eher hart im nehmen, was furchtbare nachrichtenmeldungen angeht. aber das hier hat mir heute morgen dann doch die socken ausgezogen: ein zivilpolizist erschießt einen wegen geringfügiger delikte gesuchten jungen mann aus nächster nähe, als dieser mit dem auto fliehen will. der beamte feuert aus ca. eineinhalb metern entfernung acht mal durch die windschutzscheibe und trifft den fliehenden in den brustkorb.

ein klassischer mordfall, sollte man denken. es gibt eine klare tötungsabsicht - der an der waffe ausgebildete beamte weiß genau was passiert, wenn er auf den brustkorb zielt. wenn es ihm nur darum gegangen wäre, die flucht zu verhindern, hätte er in die autoreifen schießen können. da das auto zum tatzeitpunkt noch stand und er sich in nächster nähe befand, hätte er dafür die besten chancen gehabt. eine gefährdung des schützen bestand nicht.

das landgericht neuruppin in brandenburg sieht das etwas anders. es geht nur von totschlag aus und billigt dem täter außerdem mildernde umstände zu, weil dieser unter stess gehandelt habe. die geringfügige haftstrafe wird daher zur bewährung ausgesetzt. das sieht nicht wirklich nach rechtsstaat aus und hinterlässt den eindruck, dass hier einem täter, der sich benimmt wie ein kopfgeldjäger im western und nach dem motto "dead or alive" den gesuchten offensichtlich für vogelfrei hält, ein freibrief ausgestellt werden soll. eine lizenz zum lynchen sozusagen. dafür spricht auch die andeutung in der urteilsbegründung, man wolle die karriere eines vorbildlichen polizisten nicht durch eine haftzeit zerstören.

leider ist das noch nicht alles. die urteilsbegründung geht außerdem davon aus, dass der getötete zu 50% (?!) selbst an seiner erschießung schuld sei, da er sich ja der ordnungsgemäßen festnahme durch flucht habe entziehen wollen. Das sieht dann doch eher danach aus, dass der zuständige richter sich die tatmotive des mörders zu eigen macht – jedenfalls "zu 50%".

das alles ist jetzt schon über eineinhalb jahre her, die taz berichtete damals. nun kommt etwas, das diese ganze horror-geschichte nochmal toppt:

als ob der prozess mit dem niederschmetternden urteil nicht schlimm genug für die angehörigen des ermordeten gewesen ist, bekommen diese über ein jahr später ein schreiben der polizei, in dem die reparaturkosten des bei der ermordung beschädigten pkw des zivilbeamten in rechnung gestellt werden. der getötete habe den schaden verursacht und die schuld gehe auf die angehörigen über. süffisant wird diese unverschämtheit mit der urteilsbegründung untermauert, der getötete trage schließlich 50% der schuld.

wer sich schon einmal mit der prosa deutscher ämter während des nationalsozialismus beschäftigt hat; insbesondere wenn es um die drangsalierung von minderheiten ging, wird beim anblick der im police-watch-blog "no justice no peace" in faksimile wiedergegebenen schreiben einige déjà vus haben. die minutiöse auflistung der bei der reparatur angefallenen kosten wie der menschenverachtende ton des anschreibens machen den eindruck, als ob sich in den letzten 65 jahren überhaupt nichts verändert hätte.

dass in bestimmten staatsapparaten noch immer der faschismus wütet, ist ja wirklich keine neuigkeit. wirklich beklemmend wird es aber, und das zeigt die geschichte um die ermordung von dennis j. deutlich, wenn die interessen verschiedener staatsapparate, die im rechtsstaat eigentlich unabhängig voneinander sein sollten, gleichgeschaltet sind.

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Geschrieben von

da5id

it worker, cyberpunk radical

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