Sarrazins Lauf

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Was tun, wenn Volkswirtschaftler Amok laufen? Die „Debatte“ der Hetztiraden Sarrazins zeigt einmal mehr, wie der rechtspopulistische Diskurs die öffentliche Meinung überschwemmt, indem er Ressentiments bedient und das autoritäre Begehren, nach unten zu treten, anstachelt. Gegen diese Dynamik, die sich auf einer rein emotionalen Ebene entfaltet, hilft kein Widerlegen und Argumentieren. Das Begehren hat sich dem Zugriff des Verstandes längst entzogen – Aufklärung zwecklos.

Exemplarisch deutlich wurde diese Eigenschaft des Rechtspopulismus im Plasberg-Talk „Hart aber Fair“ am 1. September. Die 75-minütige Diskussion war geradezu daraufhin angelegt, Sarrazin sachlich zu widerlegen. Gleich in dreifacher Hinsicht wurde das auch umgesetzt – und doch waren am Ende die Äußerungen der Zuschauer, die das Studio via Web-Kommentar, E-Mail und Telefon erreichten, überwiegend zustimmend. Vier Millionen haben die Talkshow gesehen; die Zahl der Web-Kommentare lag mit 8000 fast dreimal so hoch wie im Durchschnitt der vergangenen „Hart aber Fair“-Sendungen.

Am gewichtigsten war wohl die Stellungnahme des Statistischen Bundesamtes, das anhand von Rechenbeispielen die Abenteuerlichkeit von Sarrazins Zahlenakrobatik verdeutlichte. Die Methoden, die er anwende, seien „mehr als zweifelhaft“. Man sollte annehmen, dass die Angelegenheit damit erledigt ist. Jede andere Publikation, die sich im Wesentlichen auf Zahlen des Statistischen Bundesamts bezieht, wäre nach einer solchen Beurteilung vom Tisch. Wer möchte schon Zahlenwerke studieren, die offensichtlich fehlerhaft recherchiert und statistisch unzulässig interpretiert sind. Sarrazins Buch kletterte wenige Tage nach Veröffentlichung auf Platz zwei der Spiegel-Bestsellerliste.

Auch das Statement der Psychologin Elsbeth Stern, die Sarrazin als wissenschaftliche Referenz für die Erblichkeit von Intelligenz angeführt hatte, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Er habe "Grundlegendes über Erblichkeit und Intelligenz nicht verstanden" und die Ergebnisse ihrer Forschung falsch interpretiert. Frank Plasberg sekundierte: „Die Frau hat Ihnen die Luft rausgelassen.“ Auch das lässt Sarrazin-Fans offensichtlich unbeeindruckt.

Gleich zu Beginn der Talkrunde demontierte sich der Autor selbst, indem er von der Entstehungsgeschichte des Buchs erzählte. Er habe sich bei der Lektüre des Integrationsberichts der Bundesregierung darüber gewundert, dass in der Präsentation die Ergebnisse nicht nach Volksgruppen getrennt aufgeführt seien. Unerhört, dass da jemand Zahlen präsentiert, ohne nach den von Sarrazin gebildeten Kategorien Osteuropäer, Asiaten, Türken und Araber, sowie Muslime und andere zu trennen. Nach ergebnisloser Beschwerde beim Bundeskanzleramt macht sich Sarrazin daran, selbst eine solche Kategorisierung vorzunehmen. Als Zahlenbasis dient ihm dabei der Mikrozensus des Statistischen Bundesamts. Worüber er nicht spricht: In Anlage und Methodik jeder Datenerhebung werden Themenfelder und Forschungsziele festgelegt. Die Ergebnisse lassen daher im besten Fall nur zuverlässige Aussagen über diese Themenfelder zu. Eine Übertragung der Zahlen auf andere Themenfelder muss zwangsläufig zu Verzerrungen und Fehlinterpretationen führen.

Nun ist der Mikrozensus ausdrücklich eine Mehrzweckstichprobe, und das Statistische Bundesamt listet als Ziele der Untersuchung Aussagen über die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung, Erwerbstätigkeit, Arbeitsmarkt und Ausbildung auf. Aussagen über Themen wie Einwanderung und Integration werden nicht aufgeführt. Es gibt also in der Anlage der Erhebung überhaupt keine methodische Grundlage für Aussagen über Migrationsthemen, geschweige denn für Aussagen über einen so hochkomplexen sozialen Prozess wie die Integration von Immigranten.

Was macht also der Volksgruppen-Statistiker? Er nimmt einzelne Messergebnisse über Staatsangehörigkeit, Schulabschluss, Ausbildung und Berufstätigkeit und bastelt daraus ein neues Forschungsdesign ex post, also nach der Datenerhebung. Da im Mikrozensus Daten über Spracherwerb, Engagement in Vereinen und anderes mehr, was möglicherweise für die Messung von Integration relevant sein könnte, nicht erhoben werden, muss ihm sein Konzept von Integration etwas schmal geraten: Integration ist bei Sarrazin offensichtlich einfach identisch mit dem ökonomischen Erfolg einer Person. Wer Karriere macht, integriert sich; wer arbeitslos wird, ist integrationsunwillig. In Abgleich mit den Volksgruppenkategorien will er daraus Ergebnisse ableiten, die zu seinen bekannten Aussagen über Türken und Araber, sowie über Muslime im allgemeinen führen.

So hanebüchen und ganz offensichtlich von rassistischem Eifer getrieben das alles sein mag, die Sarrazin-Fans freuen sich und sind sichtlich erleichtert darüber, dass so etwas im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen kann. Zusätzlichen Drive erhält der Rechtsruck von einer diskursiven Umstülpung des Dominanzverhältnisses. Die dominante rassistische Position erscheint als unterlegene und repressiv niedergehaltene Position, die von einer kleinen aber mächtigen politischen Elite mit Hilfe von Political-Correctness-Zensur, moralischer Verdammung, etc. beherrscht wird. Die Geste rassistischer Diskriminierung wird als Tabubruch hingestellt, als rebellische Heldentat – als wäre sie nicht ohnehin Bestandteil alltäglicher opportunistischer Praktiken im Dominanzverhältnis. Gleichzeitig werden in den Debattenpositionen die Bezeichnungen „sachlich“ und „emotional“ vertauscht. Der Mann der Statistik erscheint als sachlicher kühler Kopf, während seine Kritiker als aufgeregt schimpfende Gefühlsmenschen dargestellt werden; etwa von Cora Stephan in einem Kommentar im Deutschlandradio Kultur am 3. September.

Was tun? Gibt es ein Mittel, Sarrazins Lauf zu beenden? Wenn die Versuche der Aufklärung offensichtlich nur dazu beitragen, das Ressentiment im Mittelpunkt des öffentliches Interesses zu halten und zu verstärken, weil auf diese Weise die emotionale Ebene, auf der der autoritäre Diskurs funktioniert, nicht zu erreichen ist, was geht dann noch?

Möglicherweise fand die Band „Die Ärzte“ bereits vor mehr als fünfzehn Jahren eine passende Antwort: Man sollte diese Leute als die beschränkten Idioten, die sie sind, ansprechen und der Lächerlichkeit preisgeben. Das funktioniert nicht nur gegen Stiefelnazis. Und es kann Anwendungen davon geben, die so vielfältig sind, wie die Gesellschaft, die man mit Recht multikulturell nennt. Auch gegen die, die verbogene Statistiken mit der selben Absicht einsetzen, mit der Anfang der 90er Jahre Naziskins ihre Stiefel eingesetzt haben: um denen, die sie als abweichend definiert und ausselektiert haben, ins Gesicht zu springen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

da5id

it worker, cyberpunk radical

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