Iran: Der Preis für Widerstand und Freiheit

Volksmudschahedin als Zeuge - Ein Bericht über den ersten europäischen Gerichtprozess zum Völkermord im Iran

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Derzeit wird in Schweden ein historischer Gerichtsprozess geführt, der einen Teil der Völkermordstaten und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter die Lupe nimmt, die seit vier Jahrzehnten gegen die Opposition im Iran verübt werden. In einer seltenen Ausnahme findet der Prozess zwei Wochen lang auf dem Balkan, in der albanischen Stadt Durrës statt.

Der Angeklagte vor diesem Gericht ist Hamid Nouri, ein ehemaliger Gehilfe des Stellvertreters des Staatsanwalts im Gohardasht-Gefängnis in der Stadt Karaj. Er ist einer der Angeklagten im Fall des Massakers an politischen Gefangenen im Jahr 1988. Mehr als 30.000 politische Häftlinge sollen bei diesem Massaker getötet worden sein.

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Laut Anklageschrift des schwedischen Staatsanwalts erließ Khomeini im August 1988 eine Fatwa (Dekret), wonach alle inhaftierten Sympathisanten und Mitglieder der Volksmudschahedin des Iran, welche ihren politischen Überzeugungen noch immer treu waren, hingerichtet werden sollten. Der Vollstrecker dieser Fatwa war ein vierköpfiges Komitee, bekannt als „Todeskomitee“. Eins seiner Mitglieder ist der von Khamenei zum Präsidenten ernannte Ibrahim Raisi. Menschenrechtsorganisationen berichten seit Jahren über das Massaker an politischen Gefangenen im Jahr 1988, jedoch wurde kein Beschuldigter in diesem Zusammenhang vor einem Gericht angeklagt.

Bei diesem Prozess handelt es sich lediglich um den kleinen Teil eines großangelegten Verbrechens. Dieser kleine Teil wurde im Gohardasht-Gefängnis in der Stadt Karaj unter direkter Beteiligung des Angeklagten dieses Prozesses, Hamid Nouri, durchgeführt. In diesem internationalen, zum ersten Mal von einem schwedischen Gericht übernommenen Prozess wurde aus der großen Anzahl von Klägern und Zeugen nur eine begrenzte Auswahl, es wurden 40 Kläger und 60 Zeugen zugelassen.

Bei der 33. Anhörung kündigte der Vorsitzende Richter an, dass der Prozess für zwei Wochen von Schweden nach Albanien verlegt werde, um sieben für den Fall entscheidende Kläger und Zeugen anzuhören.

Dieses Massaker wurde hauptsächlich an den Volksmudschahedin des Iran und deren Getreuen verübt, die neunzig Prozent der Opfer ausmachten. Da sich die Kläger und Hauptzeugen des Prozesses in Ashraf 3 in Albanien – dem Hauptquartier der Volksmudschahedin – befinden, ist die vorübergehende Verlegung des Prozesses erforderlich geworden. Mit diesem ungewöhnlichen Schritt wird der vielfältigen juristischen und politischen Bedeutung des Prozesses Rechnung getragen.

Zuvor hatten zahlreiche ehemalige politische Gefangene sowie Angehörige der Opfer des Massakers vor dem Gericht in Stockholm ausgesagt. Doch die sachkundigsten Personen, die die Ziele der Hingerichteten noch immer verfolgen, befinden sich in Albanien. Aus diesem Grund beschloss das Gericht, diese Zeugen vor Ort anzuhören. Davor hatten Kläger und Zeugen aus Ashraf 3 in Albanien bereits online vor Gericht ausgesagt.

Am 8. November 2021 begann die 36. Anhörung in Albanien. Am ersten Verhandlungstag in Albanien sagte einer der Kläger namens Mohammad Zand aus. Sein Bruder Reza Zand wurde in diesem Massaker hingerichtet. Mohammad Zand teilte dem Gericht Fakten bezüglich dieses Verbrechens mit genauen Angaben und Beweismitteln mit. Er selbst wurde 1981 im Alter von 16 Jahren festgenommen und nach zehn Jahren Gefangenschaft wieder freigelassen.

Modellbau des Gohardasht-Gefängnisses

Mohammad Zand brachte einen originalgetreuen Modellbau des Gohardasht-Gefängnisses mit zur Gerichtsverhandlung und veranschaulichte den Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern seine Erlebnisse und den Tatort des Massakers. Dieser Modellbau soll bis zum Ende des Prozesses im Gerichtssaal stehen bleiben.

Mohammad Zand rekonstruierte die Szenen, die er miterlebt hatte. Indem er sich vor Gericht die Augen verband, zeigte er, wie er durch den unteren Rand der Augenbinde sehen konnte und wie er mit den im Gefängnis verfügbaren Mitteln die eisernen Fensterläden bog und so die Sichtbarrieren beseitigte.

Am zweiten Verhandlungstag sagte der Volksmudschahed Majid Saheb Jam, der 17 Jahre im Gefängnis verbracht hat, über die Verbrechen des iranischen Regimes während des Massakers an politischen Gefangenen aus.

Er schilderte die Qualen und Folter, die er im Gefängnis erlebt hatte. Er war Zeuge, als seine Freunde in den Todessaal gebracht wurden, und sagte: „Ich habe einige meiner besten Freunde an einem einzigen Tag verloren, jene, die am Vormittag noch bei uns waren. So wie ich wurden sie zum Todeskomitee gebracht, mit einem Unterschied: Als sie gefragt wurden, ob sie noch immer mit den Volksmudschahedin sympathisierten, haben sie dies bejaht. Dies habe ich nicht getan. Das war der entscheidende Unterschied zwischen ihnen und mir. Deshalb wurden sie vor meinen Augen in den Todessaal geführt.“

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Der dritte Verhandlungstag in Albanien

Der Staatsanwalt stellte Asghar Mehdizadeh vor und erklärte, er sei wegen Unterstützung der Organisation der Volksmudschahedin (MEK) 13 Jahre lang in den Gefängnissen Evin und Gohardasht inhaftiert gewesen und im Jahre 1994 freigelassen worden.

Asghar Mehdizadeh ist der Einzige, der ohne Augenbinde Zeuge der Erhängung von 12 Volksmudschahedin am Hinrichtungsort gewesen ist und dort das Bewusstsein verloren hat. Dies ist ein historisches Zeugnis.

„Ich wurde in den Todessaal gebracht. Durch den unteren Rand der Augenbinde sah ich die Leichen derjenigen auf dem Boden liegen, die in der vorherigen Serie hingerichtet worden waren. Ein Revolutionswächter kam und nahm mir die Augenbinde ab …“

„Ich sah auf der Bühne des Todessaals 12 Volksmudschahedin mit Stricken um den Hals und Stühlen unter den Füßen. Währenddessen schleppten zwei Revolutionswächter zusammen einen bereits hingerichteten Volksmudschahed an den Beinen und brachten ihn zum Ausgang…“

„Ich sah drei der Zuständigen des Gefängnisses auf der Bühne des Todessaals, Moghisei (Naserian), Davood Lashgari und Hamid Nouri …“

„… Diejenigen, die einen Strick um den Hals hatten, begannen zu skandieren: "Es lebe die Freiheit, viva Rajavi und nieder mit Khomeini."

Zuerst ging Naserian hin und zog einem der Opfer den Stuhl unter den Füßen weg. Danach zogen Lashgari und Nouri jeweils einen Stuhl unter den Füßen anderer Opfer weg. Die anderen, also vom vierten Opfer an, sprangen selbst vom Stuhl und riefen: 'Es lebe die Freiheit!‘“

In den kommenden Tagen werden weitere Bewohner von Ashraf 3 vor Gericht aussagen: Akbar Samadi, Mahmoud Royaei, Hossein Farsi und Hassan Ashrafian. Diese waren viele Jahre in iranischen Gefängnissen inhaftiert, darunter im Gohardasht-Gefängnis in Karaj.

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Javad Dabiran

NWRI-Deutschlandsprecher - Iran- und Nahost-Experte.

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