Europa muss die Realitäten im Iran sehen

Warum tatenlos zuschauen? Die Karte Hassan Rouhani ist längst verbrannt. Auf ihn zu setzen, ist so, als würde man bei einem Pferderennen auf ein totes Pferd setzen.

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Die Unruhen gehen im Iran in bisher ungekanntem Ausmaß weiter. Das iranische Volk hat genug von Jahrzehnten der Unterdrückung und der korrupten Politik der Mullahs. Es erhebt seine Stimmen in jeder Ecke des Landes. Dies erinnert stark an die Zeit Anfang 1978 im Iran. Am 31. Dezember 1977 sagte der damalige US Präsident Jimmy Carter noch: „Der Iran ist eine Insel der Stabilität in einer der instabilsten Regionen der Welt.“ Kaum jemand im Westen widersprach damals Präsident Carter. Doch es war eine falsche Einschätzung. An dieser falschen Einschätzung hielt sogar noch acht Monate später ein Bericht der CIA fest, wo das Land bereits tägliche Proteste gegen das Schah-Regime erlebte und schrieb: „Der Iran ist in keiner revolutionären oder vorrevolutionären Phase“. Der Westen lehnte es einfach ab, die Realitäten zu erkennen.

Am 27. Mai 2018 gab es eine große Zeremonie zur Beerdigung des berühmten iranischen Kinostars Nasser Malek Motiei. Selbst seine Beerdigungszeremonie verwandelte sich in Anti-Regime Demonstrationen und die Teilnehmer riefen: „Tod dem Diktator, Lang lebe Nasser“ und „Unser staatliches TV und Radio ist eine Schande“. Auch auf das von Chamenei oft benutzte Wort „Würde“ nahmen die Demonstranten Bezug und riefen: „Diktator, schau, die Würde wird von Gott vergeben“, womit man auf sarkastische Weise deutlich machte, dass der Oberste Führer keine Würde hat, Malek Motiei jedoch schon.

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27. Mai: Zeremonie zur Beerdigung des berühmten iranischen Kinostars Nasser Malek Motiei

Diese Woche lud Hassan Rouhani, der Präsident des Regimes, eine Reihe von Künstlern zum Fastenbrechen (Iftar) Empfang im Monat Ramadan ein. Mehrere Künstler veröffentlichten auf Instagram das Einladungsschreiben und teilten dann mit, dass sie an diesem Empfang nicht teilnehmen, weil die Menschen in diesem Land leiden und weil Rouhani keines seiner Versprechen erfüllt hat. Ein Künstler schrieb sogar, dass man lieber die politische inhaftierte Künstlerin Atena Daemi statt ihn hätte einladen sollte. Sie sitzt im Gefängnis für die Verteidigung der Menschenrechte im Iran.

Der landesweite Streik der Lastwagenfahrer dauert nun bereits über eine Woche. Die Lastwagenfahrer streiken mittlerweile in 242 Städten in allen 31 iranischen Provinzen. Es ist kein Ende des Streiks in Sicht und mehrere Bereiche der iranischen Wirtschaft spüren mittlerweile die Auswirkungen dieses Streiks.

Viele Tankstellen haben kein Benzin mehr und Dutzende und Hunderte von Autos stehen bei den Tankstellen Schlange, die noch Benzin haben. Die Menschen werden in den Schlangen wütend und dennoch unterstützen sie die Lastwagenfahrer in ihrem Streik. Im Iran gibt es keine unabhängige Gewerkschaft und daher ist ein landesweiter Streik der Beginn einer neuen Ära, wo die Proteste mehr und mehr organisierter werden.

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29. Mai: Der landesweite Streik der Lastwagenfahrer legt die Versorgung lahm.

Im Mai gab es massive Anti-Regime Proteste in der südiranischen Stadt Kazerun. Und obwohl Revolutionsgarden und Sicherheitskräfte mit unterdrückenden Maßnahmen und gar mit Schüssen in die Menge, bei denen vier Menschen starben und viele verletzt wurden, ein Ende der Proteste erzwingen wollten, gingen diese weiter. Vor allem bei der Beerdigung der vier ermordeten Demonstranten aus Kazerun gab es weitere Anti-Regime Proteste.

Allein in der Woche vom 27. Mai gab es mehr als 489 Proteste gegen das Regime in verschiedenen Städten des Landes, was einen Schnitt von 69 Protesten pro Tag bedeutet. Es gab 33 Proteste der Arbeiter, neun von ausgeplünderten Anlegern, vier Proteste von Pensionären, einen Lehrerprotest, vier Studentenproteste, drei Proteste von politischen Gefangenen, 406 Proteste von Lastwagenfahrern und 29 Proteste aus anderen Bereichen der Gesellschaft.

Es gab zudem Berichte von Streikaktionen in einigen Teilen des Bazars von Teheran und in anderen Städten. Die Händler protestieren gegen eine Stagnation des Marktes, die von der Politik des Regimes verursacht wurde. Zu den Märkten, wo es Streikaktionen gab, zählen: Jafari Markt, Soltani Markt aud Amir-Kabir Markt sowie einige Einkaufszentren in Teilen von Städten Ghom, Isfahan, Jolfa und Maku. In Baneh und anderen Städten in Kurdistan sind Shopbesitzer seit drei Wochen im Streik und dort wurde das Regime gezwungen, einige der Forderungen der streikenden Händler zu erfüllen.

Und so ließe sich die Liste immer weiter fortsetzen.

Nach den Aufständen Ende Dezember und Anfang Januar, die plötzlich in mehr als 140 Städten im Iran ausbrachen, hat das Regime eine Atmosphäre des Terrors geschaffen. Es identifizierte die Demonstranten, verhaftete sie und ließ einige unter der Folter sterben. Doch die Krise sitzt viel zu tief, als dass sie damit zu beseitigen ist. Die Proteste haben ihren Ursprung in Armut, Arbeitslosigkeit, Dürre, Korruption und Unterdrückung und sie werden nicht aufhören, bis diese Probleme beseitigt sind.

Ein wichtiger Wandel ist zudem, dass es mehr und mehr Hoffnung im Volk gibt, dass dieses Mal der Sturz des Regimes gelingen wird. Die Menschen spüren, dass das Regime seinen Zugriff verliert. Und so ist es nicht verwunderlich, dass es mittlerweile eine offene Diskussion in den Bereichen des Regimes gibt, wie das Regime überleben kann.

Ein weiterer großer Unterschied ist, wie gut die Proteste organisiert sind. Die Vertreter des Regimes haben mehrfach ihre Sorgen über die Rolle der oppositionellen Volksmodjahedin (MEK) und seinem Netzwerk im Iran bei der Organisation von Protesten ausgedrückt. In einem internen Bericht über die Proteste in Kazerun gab es die Schlußfolgerung, dass das Netzwerk der MEK die Trauerfeier nutzte, um sie in einen politischen Protest gegen das Regime zu verwandeln.

Zu einem Zeitpunkt, wo die US Sanktionen gegen das Regime wieder aufleben, sollte Europa noch einmal darüber nachdenken, ob finanzielle oder politische Investitionen in diesen oder jenen Teil des Mullah-Regimes Sinn machen. Die iranischen Bürger sind längst zur Besinnung gekommen. Dieses Regime muss gehen und es wird gehen. Europa sollte nicht die gleichen Fehler wie die USA 1978 machen und weiter dieses Regime tolerieren. Die Karte Hassan Rouhani ist längst verbrannt. Auf ihn zu setzen, ist so, als würde man bei einem Pferderennen auf ein totes Pferd setzen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Javad Dabiran

NWRI-Deutschlandsprecher - Iran- und Nahost-Experte.

Javad Dabiran

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