Hilferuf aus EVIN-Gefängnis im Iran

OPPOSITION UNTERDRÜCKT Golrokh Iraee ergreift rechtliche Schritte, um das Leben ihres Ehemannes, des politischen Gefangenen Arash Sadeghi, zu retten

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Die politische Gefangene Golrokh Ebrahimi Iraee, die im Gefängnis sitzt, weil sie eine – unveröffentlichte – Geschichte geschrieben hatte, in der sie gegen die unmenschliche Strafe der Steinigung eintritt, hat aus dem Gefängnis Evin, wo sie festgehalten wird, einen offenen Brief geschickt. Darin zählt sie Fälle von Gesetzesbruch und Bruch von Versprechen auf, die der Staatsanwalt und die Justizbehörden des klerikalen Regimes begangen haben.

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Frau Iraee bittet jedermann dringend um Hilfe bei der Rettung ihres Ehemannes, des politischen Gefangenen Arash Sadeghi. Er muss Urlaub von der Haft erhalten, um im Krankenhaus behandelt werden zu können.

Frau Iraee wurde am 3. Januar 2017 vorübergehend freigelassen, nachdem ihr Ehemann 72 Tage lang im Hungerstreik gestanden war. Zu ihrem Hafturlaub hatte verbreitete öffentliche Unterstützung im Iran und im Ausland beigetragen. Nach dem Versprechen des assistierenden Staatsanwalts sollte ihr Urlaub verlängert werden, bis zum Abschluss einer erneuten Untersuchung ihres Falles. Her Sadeghi, der nach dem langen Hungerstreik an Darmadhäsion leidet und dessen Nieren weitgehend versagen, musste dringend behandelt werden.

Entgegen den gegebenen Versprechungen wurde Frau Iraee nach nur vier Tagen wieder ins Gefängnis gebracht und Herr Sadeghi ist noch nicht behandelt worden. Es folgt der Text von Frau Iraees Brief:

Fast einen Monat, nachdem mein Ehemann seinen 72-tägigen Hungerstreik abgebrochen hat, wird er immer noch nicht ins Krankenhaus geschickt oder wenigstens zur Behandlung beurlaubt, obwohl der Gerichtsmediziner auf der Basis von zwei Tests, die im Krankenhaus durchgeführt wurden und Stunden dauerten, die Notwendigkeit eines Krankenhausaufenthalts und der Behandlung unter Aufsicht von Fachärzten bestätigt hat.

Arash hat seinen Hungerstreik abgebrochen, aber der Staatsanwalt und andere Beamte haben ihre Versprechungen gebrochen.

Der Staatsanwalt hatte zugegeben, dass die Vorlage der Beweismittel bei Eröffnung des Verfahrens gegen mich nicht gesetzlich korrekt durchgeführt wurde. Mir wird Beleidigung heiliger Personen vorgeworfen.

Nach dem Gesetz muss der Vollzug meiner Strafe unterbrochen werden und ich bin frei, bis das Verfahren wiederaufgenommen wird. Mir wurde vom Staatsanwalt zuletzt versichert, mein Hafturlaub würde verlängert werden, bis die Vorbereitungen des Verfahrens abgeschlossen wären und mein Fall verhandelt würde.

In Anbetracht dessen, dass Arashs Zustand kritisch war, akzepierte ich die Bedingungen des Hafturlaubs und verließ das Gefängnis am 72. Tag seines Hungerstreiks. Arash beendete diesen an demselben Tag.

Schon vier Tage, nachdem ich vorläufig entlassen worden war, sagte mit Herr Haj Moradi, Stellvertreter des Staatsanwalts und für Haftangelegenheiten zuständiger Assistent, der Staatsanwalt sei trotz der gegebenen Versprechen mit der Verlängerung meines Urlaubs nicht einverstanden.

Entsprechend den Gesprächen, die ich früher mit Herrn Hajiloo, dem ehemaligen stellvertretenden Staatsanwalt und Gefängnisaufseher, geführt hatte, kehrte ich nicht ins Gefängnis zurück, nachdem der Staatsanwalt sein Versprechen gebrochen hatte. Nicht nur er, sondern auch Herr Hajiloo hatte mir in Gegenwart des Direktors von Evin zugesichert, der Vollzug meiner Strafe werde unterbrochen, ich könne Hafturlaub erhalten und er werde verlängert, bis die Wiederaufnahme meines Falles abgeschlossen sei.

Sie hielten nicht, was sie mir versprochen hatten und schickten Arash nicht ins Krankenhaus.

Die Beamten hatten ja den Krankenurlaub meines Mannes genehmigt. Daraufhin erledigte ich die Schreibarbeiten, die für die Erteilung des Urlaubs nötig waren, damit er seiner Behandlung außerhalb des Gefängnisses nachgehen könnte. Wieder stellte ich fassungslos fest, dass alle Türen verschlossen worden waren, während ich alles für die Erlegung der Kaution vorbereitet und die Dokumente aufgesetzt hatte. Davor hatten die Tageszeitungen Sharq und Iran ausdrücklich berichtet, Arash Sadeghi werde Urlaub erhalten. Bis heute sitzt Arash immer noch im Gefängnis. Er erhält keinerlei fachärztliche Betreuung und sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag.

Mein Mann hat seine Gesundheit für immer verloren und das liegt daran, dass die Beamten ihre Versprechen gebrochen haben. Jetzt muss ich befürchten, dass er ihres Treuebruchs und ihrer Gleichgültigkeit wegen stirbt.

Am Sonntag, dem 22. Januar 2017 kamen Beamte morgens zu unserem Haus, um mich festzunehmen, da ich mich nicht im Gefängnis gemeldet hätte. Es waren Leute von der Staatsanwaltschaft und aus der Garnison Sarallah des IRGC. Bei der Gruppe vom IRGC befand sich auch die Person, die am 24. Oktober 2016 in unser Haus eingedrungen war. Er sollte mich jetzt wieder festnehmen, obwohl ich mich über sein beleidigendes und demütigendes Verhalten beschwert hatte. Nicht nur dass mein Protest missachtet worden war, ich sah dieselbe Person vom IRGC wieder mit anderen zu meinem Haus kommen. Einen Haftbefehl hatten sie nicht.

Diesmal nahmen sie nicht nur mich fest, sondern auch einen Freund, auch für ihn hatten sie keinen Haftbefehl oder entsprechenden Gerichtsbeschluss. Sie fuhren mit ihm in dem Auto des IRGC-Teams weg.

Ich wusste nicht, wohin sie meinen Gast brachten. Ich wusste nur, dass sie für meinen Freund auch keinen Haftbefehl hatten. Sie hatten nicht einmal gewusst, dass er sich bei mir aufhielt.

Der unflätige Agent, der mich auf jede erdenkliche Art beleidigte, drang ein paar Tage später ins Haus von Atena Daemi ein und nahm sie fest. Er beleidigte sie auf die gleiche Art. Jetzt war er wieder in unserem Haus.

Jeder weiß, dass die Festnahme von Menschen zur Abbüßung einer Strafe nicht irgendwelchen Gremien zusteht. Sie ist allein Aufgabe des Strafvollzugsamtes. Leider musste ich in meinem Falle und in dem meines Freundes feststellen, dass die Garnison Sarallah des IRGC meine Anklage wie ein privater Ankläger betreibt. Dann nehmen Leute aus dieser Garnison mich fest und weiterhin führen sie Verhöre durch und fällen Urteile über die Vorwürfe.

Was während meines ersten Prozesses, dem Richter Abdolghassem Salavati vorstand, geschah, spricht klar dafür, dass die erwähnte Agentur (also die Garnison Sarallah des IRGC) auf die Erteilung von Urteilen und dann auf den Vollzug Einfluss nimmt, – an letzterem ist sie aktiv beteiligt.

Auch die Bedingungen, unter denen jeder Häftling lebt, werden von den Verhörern völlig bestimmt. Sie sagen zu jedem Fall ihre Meinung. Einerlei wie man sich die Sache zurechtlegt, man kommt immer zu dem Schluss, dass Justiz und Strafverfolgungsbehörde keineswegs unabhängig sind.

Man ist wachsend besorgt, dass die Unterdrückung verschärft wird. Dazu wird Anklage gegen Angehörige von Gefangenen und zur Hinrichtung bestimmte Gefangene erhoben. Die Leute drängen ihre persönlichen, subjektiven Ansichten dem Gericht auf. Wenn gegen jemanden, wer es auch sei, ein Verfahren geführt wird, ist immer damit zu rechnen, dass seine Angehörigen ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden.

Arash hat schon seine Mutter verloren, nachdem Agenten in Zivil in ihr Haus eingedrungen waren. In den letzten Jahren haben wir oft gesehen, wie Angehörige von Gefangenen festgenommen, vor Gericht zitiert, zu Gefängnis oder Geldstrafen verurteilt und – bis vor ganz kurzer Zeit – ausgepeitscht wurden. Sie haben keine Sicherheit und keine geschützte Privatsphäre, und kein verantwortlicher Beamte nimmt dazu Stellung.

Shahnaz Akmali, deren Sohn Mostafa Karimbeigi am 27. Dezember 2009 bei den Unruhen erschossen wurde, ist eine der Mütter, die nicht einmal Feiern zum Andenken ihres Sohnes halten kann, da sie ständig mit Druck seitens der Sicherheitskräfte rechnen muss. Ihre Forderung, die Täter des Mordes an ihrem Sohn festzustellen, ist immer noch nicht erfüllt worden.

Die Drangsalierung und Terrorisierung der Angehörigen geht so weit, dass sogar die Gräber der Opfer öfters geschändet und ihre Grabsteine durch Schüsse oder auf andere Weise zerstört werden. Und wieder ist kein Beamter für diese Sakrilegien verantwortlich und für die Narben, die sie in den Herzen der Angehörigen hinterlassen.

Neuerdings ist unser Privatleben noch unsicherer, die Unterdrückung ist noch schärfer geworden: sogar unsere Gäste werden festgenommen und verhört.

Diese Gesetzlosigkeit, diese undurchsichtigen Machenschaften, die (unbegrenzte) Macht der IRGC-Einheiten und der Institutionen, die Tatsache, dass der Justiz jede Unabhängigkeit fehlt, dass sie ihre Versprechen und Pflichten nicht halten will und kann, – all dies zeigt, dass es eine Macht gibt, deren Einfluss stärker ist als alle anderen Beteiligten und ihnen keine Unabhängigkeit, keinen Handlungsspielraum lässt. Das heißt, dass die Beschränkungen, unter denen die Aktivisten und ihre Angehörigen leiden, von Tag zu Tag schlimmer werden.

Das Beispiel aus unserem Fall: Der Staatsanwalt gab der Forderung meines Mannes statt, widerrief aber nach ein paar Tagen sein Versprechen ohne Erklärung. Er willigte auch ein, Arash Urlaub zu geben: Der Vertreter des Staatsanwalts unterschrieb die Dokumente, der Vorgang war in allen Einzelheiten abgeschlossen, die Kaution war erlegt, aber schließlich wurde er trotz seines kritischen Zustandes nicht in den Urlaub (zu medizinischer Behandlung) geschickt.

Ich muss darauf hinweisen, dass mein Mann am 7. Januar dieses Jahres ins Krankenhaus Taleghani geschickt wurde. Es wurden eine Endoskopie und andere nötige Untersuchungen angestellt. Die Ärzte stellten fest, er müsse ins Krankenhaus eingewiesen werden. Einige Stunden danach, um Mitternacht wurde mein Mann zu meiner Überraschung aus dem Krankenhaus entlassen und von Agenten in Zivil ins Gefängnis zurückgebracht. Denken Sie daran: Arashs Zustand war sehr ernst und die Ärzte hatten sich geweigert, ihn zu entlassen. Schließlich waren sie eingeschüchtert und ein junger Praktikant wurde gezwungen, die Entlassungspapiere zu unterschreiben.

Nach all dem, was ich gesagt und erläutert habe, werden Sie verstehen, wie besorgt ich um Arashs Zustand bin. Nicht nur die Ärzte des Krankenhauses haben es gesagt, die am Krankenhaus Shohada in Tajrish (Nordteheran) durchgeführten Tests bestätigen es, sogar der Gefängnisarzt von Evin hat bekräftigt, dass mein Mann schwer krank ist und im Krankenhaus behandelt werden muss.

Er aber wird im Gefängnis festgehalten, ohne Behandlung, ohne besondere Pflege, eine Situation, in der er von Tag zu Tag weitere irreparable Schäden erleidet.

Ich erwarte, dass die medizinische Welt auf die schleichende, ungerechte Tötung meines unschuldigen Mannes reagiert. Die Justiz, die unabhängig sein sollte, und das Korps der Revolutionsgarden tragen die Verantwortung, wenn meinem Mann etwas Schlimmes passiert.

Eine Woche ist seit meiner letzten Inhaftierung vergangen. Ich habe die offizielle Erlaubnis, Arash jede Woche zu besuchen und von Abteilung zu Abteilung mit ihm zu telefonieren. Dennoch weiß ich nichts von ihm. Die Genehmigungen sind von Herrn Hajiloo, dem ehemaligen stellvertretenden Staatsanwalt und Gefängnisaufseher, unterschrieben worden.

Ich kann nicht begreifen, wer stärker sein soll als der Vertreter des Staatsanwalts, wer sich über unsere Bedingungen hinwegsetzt, uns unsere Rechte nimmt und uns im Gefängnis noch ein zweites Gefängnis baut.

Wir werden voller Wut,

wir stehen auf,

und unsere Schreie

werden die Pfeiler der Unterdrückung zerschmettern.

Ihr werdet die Massen vor euch haben,

die Nation steht gegen euch auf.

Dann

werdet ihr keinen Weg finden,

auf dem ihr weglaufen könnt.

Golrokh Iraee

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Javad Dabiran

NWRI-Deutschlandsprecher - Iran- und Nahost-Experte.

Javad Dabiran

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