Iran – Ahvaz: Menschen kämpfen ums Überleben

FEINSTAUBBELASTUNG Iranische Stadt Ahvaz ohne Strom – Wo ist das Geld aus dem Sanktionsabbau nach dem Atomdeal geblieben? / Staatliche Unterdrückung aus Furcht vor Volkserhebung

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Vor gut zwei Jahren beschlossen das iranische Regime und die P5+1 Weltmächte, ein Atomabkommen abzuschließen. Der Iran legt sein Atomprogramm auf Eis, im Gegenzug werden die internationalen Sanktionen abgebaut. Experten gingen damals davon aus, dass dadurch bis zu 150 Milliarden US Dollar an gesperrten Konten des Iran frei werden. Die Hoffnungen waren groß, dass dieses Geld für den Aufbau der Infrastruktur eines ökonomisch und ökologisch am Boden liegenden Iran benutzt wird und dass ausländische Investoren dort für eine ökologisch schonendere Öl- und Gasproduktion sorgen.

Doch diese Hoffnungen sind bitter enttäuscht worden und nirgendwo zeigen sie sich so drastisch, wie in der iranischen Stadt Ahvaz. Ahvaz befindet sich in der ölreichsten Region des Landes. Gewaltige Ölfelder liegen dort. Ihre grenzüberschreitenden Felder gelten mit zu den größten Öl- und Gasvorräten der Welt.

Die Stadt müsste nach dem Ende der internationalen Sanktionen und den Milliarden an frei gewordenen Konten des iranischen Regimes in Wohlstand erblühen und aufblühen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Stadt leidet an einer unfassbar hohen Feinstaubbelastung, die Natur ist vollkommen kaputt und die Stadt musste üble Stromausfälle von teils mehreren Tagen erleben. Auch die Wasserversorgung ist katastrophal und die Krankenhäuser sind mit Patienten überfüllt, die an den Folgen der Umweltverschmutzung leiden.

Die Ölproduktion brummt zwar in der Region und die Produktion des dort liegenden South Azadegan Ölfeldes in der Provinz Chuzestan wurde laut des iranischen Ölministers auf 80.000 Barrel pro Tag erhöht und für den März sind 110.000 Barrel pro Tag geplant, doch von all dem Geld und den Einnahmen sehen die Bewohner nichts.

Doch nun gehen die Bürger seit Tagen auf die Straße, um gegen die verheerende Situation in der Region und in Ahwaz zu protestieren. Sie werfen dem Regime nicht nur Missmanagement und eine vollkommen verfehlte Umweltpolitik vor, sondern sie fragen auch, wo das Geld aus den frei gewordenen Konten und den Öleinnahmen bleibt.

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In den mittlerweile seit sieben Tagen dauernden Protesten kommen viele Probleme zum Vorschein. Die Teilung der Flüsse Karoun und Karkheh, Dammbauten und Raubbau zur billigen Gewinnung von Rohöl sind nur einige der Probleme. Vor allem herrscht in Ahvaz eine dramatische Luftverschmutzung. Die Feinstaubbelastung ist so hoch, dass Tausende Menschen krank sind.

Hinzu kommt das Austrocknen der weltberühmten Sumpfgebiete Hur al-Azim und Lagune Shadegan. Die dadurch entstehenden Staubstürme wirbeln den Feinstaub auf und setzen die veralteten Stromgeneratoren und Wasserkraftwerke außer Betrieb. Dies spürte die Stadt kürzlich in einer nie dagewesenen Form und seitdem ist die Geduld der Bewohner erschöpft.

Die Regierung um Hassan Rohani reagierte zwar mit dem Entsenden seines Energieministers Es'haq Jahangiri, Innenminister Abdolreza Rahmani-Fazli und Chuzestan - Gouverneur Gholamreza Shariati zu einer Krisensitzung, aber die Frage bleibt, wohin eigentlich all die Zusatzeinnahmen nach dem Ende der internationalen Sanktionen gehen, denn nicht nur in Ahvaz brodelt es. In Teheran versagten kürzlich die Einsatzkräfte beim Brand des bekannten Plasco - Hochhauses und die Stadt löste mittlerweile gar chinesische Großstädte in Sachen höchste Luftverschmutzung in der Welt ab.

Die Antwort, wohin die Milliarden fließen, gibt der iranische Widerstand in zahlreichen Erklärungen zu dem Thema. Die einst gesperrten Konten sind in Besitz der Islamischen Revolutionsgarden, die sowohl politisch als auch wirtschaftlich ein mächtiger Faktor im Iran sind. Auch den religiösen Stiftungen um den religiösen Führer Ajatollah Chamenei gehört ein Großteil dieser Konten und sie profitieren auch vom Verkauf des Rohöls.

Das iranische Regime hat dieses Geld für andere „Projekte“ ausgegeben, vorrangig für das Finanzieren der Kriege in Syrien und im Irak, aber auch die Unterstützung der Hutis im Jemen und der libanesischen Hisbollah verschlingt viel Geld. Auch der Erhalt des absurd hohen Sicherheitsapparates, der Zensurbehörden und die Finanzierung der Propagandamaschinen des iranischen Regimes durch seine Lobbyisten in aller Welt verschlingt eine Menge Geld. Hinzu kommt eine enorme „Vetternwirtschaft“ durch Cliquen und Clans, die unter anderem auch für die Situation in Ahvaz verantwortlich ist.

Das iranische Regime hat also - wenn man es genau betrachtet - nur eine Sorge bezüglich Ahvaz und der Region. Es befürchtet den Ausbruch neuer Massenproteste wie 2009 nach der Scheinwahl, die das Regime an den Rand des Kollapses führte. Ein neuer Aufstand hätte unter den neuen politischen Verhältnissen in der Welt ganz andere Auswirkungen für das Regime und es wäre kein Abducken und Stillhalten wie 2009 durch die Obama Administration zu erwarten. Das Regime weiß, dass sein größter Feind das eigene Volk ist und es hat vor nichts mehr Angst, als dass sich das Volk gegen das Regime erhebt.

Deshalb antwortete das Regime auch bereits mit den üblichen Mechanismen auf die Proteste seines Volkes: Die Demonstrationen wurden für verboten erklärt, die Polizei drohte mit „Konsequenzen“ bei einer Fortsetzung der Proteste und zusätzliche berüchtigte paramilitärischen Bassidsch Einheiten (die bereits 2009 durch ihre exzessive Gewalt auffielen) wurden ebenso wie Spezialeinheiten aus benachbarten Regionen nach Ahvaz verlegt. Auch die Internetverbindung wurde drastisch reduziert, nachdem erste Videos von privaten Mobiltelefonen von Protesten in Ahvaz in sozialen Netzwerken auftauchten. Zudem gibt es erste Berichte über einen ersten erschossenen Demonstranten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Javad Dabiran

NWRI-Deutschlandsprecher - Iran- und Nahost-Experte.

Javad Dabiran

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