Iran: „Wahlen“ unter der religiösen Diktatur

WAHLBOYKOTT – enger Vertrauter Chameneis: „In der Islamischen Republik hat das Votum des religiösen Führers Vorrang vor den Stimmen des Volkes.“

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Am Sonntag fand in Frankreich die erste Runde der Präsidentenwahl statt. Kandidaten aus mehreren Parteien mit höchst unterschiedlichen politischen Richtungen stellten sich zur Wahl. Am Ende zogen mit Marine Le Pen und Emmanuel Macron zwei Politiker in die Stichwahl, die ganz andere politische Richtungen vertreten als die Kandidaten der Stichwahl von 2012 (Hollande und Sarkozy).

Am 19. Mai 2017 wird die Präsidentenwahl im Iran stattfinden. Dort kandidieren sechs Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Islamischen Republik. Es ist viel zu lesen von so genannten „Moderaten“ und „Hardlinern“. Größte Chancen auf die Stichwahl scheinen der amtierende Präsident Hassan Rohani und Ebrahim Raeissi zu haben, letzterer ein Mullah, der 1988 beim Massaker an 30.000 politischen Gefangenen im Todeskomitee von Teheran saß, welches die Gefangenen im Schnellverfahren hinrichten ließ. Rohani hat in seiner Amtszeit weit über 3000 Menschen hinrichten lassen.

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Doch auch abgesehen von den kriminellen Karrieren der beiden Spitzenkandidaten, die sich weit von den Kandidaten in Frankreich abheben, sind einige zentrale Unterschiede zwischen der Wahl in Frankreich und der im Iran zu konstatieren. Das iranische Wahlsystem ist vom System der freien Wahl – wie in Frankreich praktiziert – weit entfernt, es ist das genaue Gegenstück zu demokratischen Wahlen.

Schauen wir uns einmal an, wie eine Wahl im Iran abläuft.

Wie stellt die Verfassung der Islamischen Republik Wahlen dar? Der Souverän im Iran ist laut Verfassung nicht das Volk, sondern Gott höchstselbst und als sein Vertreter der religiöse Führer.

Der oberste religiöse Führer des Iran ist zurzeit Ali Chamenei. Er ist der wahre Präsident des Landes. Er hat die volle Entscheidungsgewalt über die Streitkräfte, entscheidet über zentrale außenpolitische Themen wie den Verlauf der Atomverhandlungen und ist auch sonst in allen zentralen Themen der Islamischen Republik der oberste Entscheidungsträger.

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Chamenei hat erheblichen Einfluss auf die Zulassung der Kandidaten. Diese werden nicht von den Parteien aufgestellt, die dem Grundkonsens einer demokratischen Ordnung folgen und auf dieser Basis an der Wahl teilnehmen, sondern es kann sich jeder um die Kandidatur bewerben und ein so genannter Wächterrat entscheidet, wer zur Wahl zugelassen wird. Dieser Wächterrat setzt sich ausschließlich aus Persönlichkeiten zusammen, die Chamenei entweder selbst bestimmt oder auf Vorschlag anderer ernennt. Hinzu kommt, dass der Wächterrat von jedem potentiellen Kandidaten unter anderem die Loyalität dem „obersten Führer“ gegenüber in Praxis und Karriere verlangt und ein klares Bekenntnis zum „velayat-e faqih“ (der obersten Herrschaft des Klerus) zur Bedingung der Kandidatur macht.

Diese Grundbedingungen dafür, dass man zur Wahl des Präsidenten (wie übrigens auch zur Parlamentswahl) als Kandidat zugelassen wird, weichen von den Grundbedingungen einer Demokratie weit ab. Es kommt hinzu, dass laut Verfassung Frauen, Sunniten, Angehörige anderer Religionen (z. B. Christen, Juden, Bahai, Anhänger des Zoroastrismus usw.) und sogar ein Teil aller Schiiten, die anderen Abspaltungen angehören, prinzipiell nicht zugelassen werden. So wird fast 60 % der Wahlberechtigten laut Verfassung das Recht entzogen, sich zu den Wahlen zu stellen. Trotzdem verlangt das Regime von diesen Bevölkerungsgruppen, an den so genannten Wahlen teilzunehmen und die Mullah-Kandidaten zu „wählen“. Das muss jeder iranische Mensch als reine Diskriminierung, Beleidigung und Erniedrigung ansehen.

Jegliche Form der Opposition wird unterdrückt. Politische Strömungen wie die Volksmojahedin Iran (MEK), die eine Trennung von Kirche und Staat fordern, sind im Iran verboten und ihre Mitglieder werden, soweit man sich ihrer bemächtigen kann, zum Tode verurteilt oder mit langen Haftstrafen belegt.

Die Bewerber um das Präsidentenamt, die vom Wächterrat zugelassen werden, lassen sich den „Moderaten“ oder den „Hardlinern“ zuordnen. So werden zwei rivalisierende Flügel des Regimes genannt. Doch es gibt im Iran keinen Fraktionszwang. Abgeordnete und Kandidaten wechseln oft die Seiten. In Wahrheit ist die Unterscheidung in Gemäßigte und Hardliner eine reine Irreführung. Die politische Richtung, die der ganze Apparat des Regimes vertreten muss, wird vom obersten geistlichen Führer vorgegeben. Er sagt, mit welcher Härte Aufstände und Proteste niedergeschlagen werden; er bestimmt, dass die Revolutionsgarden zu Zehntausenden nach Syrien marschieren; er ordnet es an, wenn UN-Resolution 2231 mit ballistischen Raketentests gebrochen wird.

Zu beachten ist weiterhin, dass die Mullahs hochkorrupt und von Vetternwirtschaft durchsetzt sind. Die Revolutionsgarden und ihre Unternehmen und die religiösen Stiftungen (unter Leitung von Chamenei) haben in der Wirtschaft das Sagen im Iran. Der iranische Präsident ist nichts anderes als eine politische Marionette. Er tritt auf, um dem Westen einen bestimmten Weg des Iran vorzugaukeln. Sein Einfluss ist sehr gering; bei der Bestimmung der politischen Richtung des Iran spielt er eine untergeordnete Rolle. Sowohl Rohani als auch Raeissi unterwerfen sich bedingungslos Chamenei, wenn dieser es fordert. Die Moderaten spielen den Reformer, aber sie sind keine. Unter Rohani rückte der Iran an den obersten Platz der Länder, in denen die Todesstrafe praktiziert wird. Der Iran mischte sich u.a. militärisch in 14 Nationen der Region ein, unterdrückte die iranischen Frauen und seine Opposition und schlug brutal Aufstände nieder, verfolgte religiöse und ethnische Minderheiten und blockierte massiv Internetseiten und soziale Netzwerke. Die Wirtschaft liegt am Boden, weil Korruption und Veruntreuung ebenso wie das Finanzieren des internationalen Terrorismus unter Rohani unvermindert weitergingen. Überall im Iran ist nur die Handschrift von Ali Chamenei zu sehen und diese war unter Rohani ganz gleich wie unter Ahmadinejad.

Kommt ein „Hardliner“ an die Macht, geht das Regime offen auf Konfrontation mit dem Westen, kommt ein „Moderater“ an die Macht, versucht man, Sanktionen zu umgehen. Es ist kein Wunder, dass im Iran immer zu den Zeiten ein „Moderater“ an die Macht kam, da Teheran unter Sanktionen litt. Wenn diese gelockert wurden, waren die „Hardliner“ an der Reihe. Für das Volk hingegen hat sich in 38 Jahren der Mullahdiktaur weder unter den „Moderaten“ noch unter den „Hardlinern“ je etwas geändert.

Die Wahl im Iran wird vom Volk abgelehnt. Spätestens seit 2009, als dem Volk deutlich gezeigt wurde, dass Ali Chamenei und nicht der Wahlzettel bestimmt, wer der neue Präsident des Iran wird, weiß das iranische Volk, dass die Mullahs nur eine Scheinwahl abhalten, die von den Wahlen westlicher Demokratien nicht weiter entfernt sein könnte. Dementsprechend prangen an den Häusern in Teheran auch bei dieser Wahl wieder Schriftzüge wie: „Wir sagen zu den Wahlen ‚NEIN‘ – Nieder mit der Diktatur". Und Freitagsprediger Alam-ol-Hoda (ein enger Vertrauter von Ali Chamenei) brachte es bei einer Predigt auf den Punkt. Er sagte ganz offen: „In der Islamischen Republik hat das Votum des religiösen Führers Vorrang vor den Stimmen des Volkes.“ Mit diesem einen Satz machte er deutlich, was die Wahl im Iran wirklich bedeutet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Javad Dabiran

NWRI-Deutschlandsprecher - Iran- und Nahost-Experte.

Javad Dabiran

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