Mit der Ermordung Zoran Djindjics am 12. 3. 2003 traten Gestalten aus der serbischen Schattenwelt unfreiwillig ins Rampenlicht, deren Namen und Biographien anmuten wie aus einem schlechten Kriminalfilm. Verfolgte man die Tageszeitungen, hatte man den Eindruck, einer Echtzeitversion von Aktenzeichen XY beizuwohnen: Auftragsmord, Waffenhehlerei und »Jugo-Banden« erhielten für einen kurzen, atemlosen Moment ein anderes Gesicht als das der drittklassigen Laiendarsteller aus Fernsehkrimis, die den osteuropäischen Akzent nur imitieren. Diese Räuberpistole war authentisch. Die abgebildeten Verbrecherporträts, eine Mischung aus harmlosen Privat- und blassen Passphotos wie aus Foto-Fix-Automaten, zeigten Gesichter, die Teile eines hinlänglich bekannten Netzwerkes sind: Auftragsmörder, Geheimdienst-Mitarbeiter, die Zigaretten- und Frauenschmuggel-Mafia, Bodybuilder und Paramilitärs, die im Zuge des Sturzes von Milosevic das im Krieg Erlernte auf die New Economy der Zeit danach anwendeten. Sie tauschten einfach Uniform mit Markenanzug; ihr Treiben war bekannt, aber bisher kaum beweisbar.
Oder, präziser formuliert: Der Versuch, den Beweis zu erbringen, war gefährlich und wurde aus Angst sowie Rücksicht auf das eigene Leben gemieden. So konnte der Eindruck entstehen, Serbien-Montenegro habe gar kein Interesse daran, dem organisierten Verbrechen Einhalt zu gebieten. Aus dieser Situation heraus gelang die Ausdehnung und strategische Verbreitung der mafiösen Strukturen in sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens um so widerstandsloser.
Unter den Bildern der Gesuchten oder bereits Verhafteten, findet sich ein Gesicht, das zumindest in »Restjugoslawien« das Rampenlicht gewohnt war. Der Popstar Ceca (sprich »Tsetsa«), im bürgerlichen Leben Svetlana Raznatovic, war, beziehungsweise ist der unangefochtene Star des serbischen Pop-Olymps - und nun Mitverdächtige im Djindjic-Mordkomplott.
In der Verhaftungswelle nach dem Attentat wurde die 29-Jährige in ihrer Belgrader Villa festgenommen. Im Keller fand sich ein beachtliches Waffenlager. Ceca, so weiß man jetzt, bildete das Verbindungsglied zu den Hintermännern des Attentats, besonders der Hauptverdächtige, der Chef der Geheimdienstsondertruppe Rote Barette, Milorad Lukovic, gilt als einer ihrer engen Freunde.
Im Westen kam die Sängerin erstmals nach dem Attentat auf ihren Ehemann Arkan in die Schlagzeilen, dem Prototyp des paramilitärischen Führers unter Milosevic. Doch weit darüber hinaus ist eine Deutung von Ceca als Symbolfigur in Ex-Jugoslawien ungeheuer aufschlussreich.
Zu gewissen Zeiten kamen ihr fast Erlöserqualitäten zu. In der Epoche des bürokratischen Nationalismus, als an der Seite des Staatsführers Milosevic dessen übermutterartige Frau Mira Markovic thronte, wurde sie, die reaktionäre serbische Variante Madonnas, zur Ikone des lokalen Pop, des »National Disco«. Ceca ist eine Akkumulation von Zeichen, die scheinbar absichtsvoll mehrdeutig gehalten wurden. Stellvertretend agierte sie die Sehnsüchte der unter dem Embargo leidenden Serben aus. Sie verkörperte Attraktivität, Erfolg und Sexyness am Rande des Pornografischen und stand gleichzeitig als patriotische Serbin und Ehefrau für »Anstand« und Unversehrtheit.
Pop, das hybride Monster, kann auch reaktionäre Botschaften transportieren. Jenseits von Harmlosigkeit in der ewigen Wiederkehr gleicher Themenkomplexe wie Liebe, Verlust, Sehnsucht und Freude formiert sich seine Botschaft stets neu und bleibt dennoch abhängig von dem Kontext, in den er gestellt wird. Cecas Musik ist der sogenannte »Turbofolk«, der eine nationalistische Variante westlicher Popmusik mit serbisch-traditionellen Anklängen darstellt. Dank seines politisch korrekten, weil nationalistischen Gewands ermöglichte »Turbofolk« westlichen Konsumgenuss in Zeiten der Isolation. Eigentlich wollten die Kids Madonna, aber da Amerika der Feind war, übernahm Ceca den Job.
Ihre Musik ist eine phantastisch anmutende Kombination verschiedenster Stile: Rap, Disco, Techno, Bauchtanz und serbische Folkore-Lieder mischen sich darin. Die Popularität des »Turbofolks« ist als direkte Folge des Embargos und des Re-Nationalisierungsprojektes Milosevics zu betrachten. Dank Ceca und ihren fleißigen Nachahmerinnen blieben die großen Gesten und Peinlichkeiten des Pop den eingeschlossenen Serben zugänglich. Mit ihnen war Hysterie und Fansein auf serbisch »politisch-korrekte« Art und Weise weiter möglich. Für Unterhaltung war gesorgt.
In Cecas exzessivem Outfit ist die radikale Bereitschaft zu erkennen, die eigene Person zum Objekt zu machen. Die Affirmation des Ich als Ware, seine Reinkarnation als bis in die Fingerspitzen sexualisiertes Produkt, all dies überhöht die Distanz zwischen dem Produkt und seinem Mehrwert für den Endkonsumenten fast ins Göttliche. Stellvertretend für alle Serbinnen betrieb sie während des Embargos Bodybuilding und Aerobic und trug die neuesten Kollektionen von Armani. Statt Empörung oder Neid rief sie Begeisterung hervor. Konsum wurde mit ihr zu einem Akt des Widerstandes, oberste Priorität in Kriegszeiten: gut aussehen.
In der bereitwilligen medialisierten Hingabe ihres Körpers an das serbische Volk, wurde sie, dem umstritteten »Kosovo Pole«, dem Amselfeld nicht unähnlich, zu einem Topos der Sehnsucht, der von staatlicher Seite zusätzlich emotional aufgeladen und instrumentalisiert wurde. Bereitwillig nährte Ceca die nationale Sehnsucht und hielt dem Mangel der Gegenwart ein Versprechen auf Überfluss entgegen und legte ihren Körper in allen nur erdenklichen Weisen bloß. Ihre Brüste wurden zum Fetisch; kaum ein Photo, das sie nicht, aus einer leichten Aufsicht heraus aufgenommen, ins Bild setzt. Das Verlangen nach Großserbien war gewissermaßen symbolisiert, wenn nicht gar aufgehoben im Verlangen nach diesem perfekten Körper.
Dass diese Phantasie gemäß der Logik artifizieller Paradiese immer unerreichbar bleiben muss, ging erst langsam in den Köpfen der Fans auf. Lange Zeit konnten beim Anblick der professionellen Schönheit von Cecas Körper die entstandenen Leichenberge der Kriege vergessen werden.
In ihrem »Turbofolk« fand auf diese Weise die Verrohung der serbischen Gesellschaft unter Milosevic ihren akustischen Ausdruck. Er verbindet Zitate des Traditionellen mit dem Labelfetischismus westlicher Popmusik. Das ironische Spiel mit den Attributen der Subkultur oder gar eine ästhetische Revolte im Sinne des Dandyismus, der nur aus dem Ekel an einer bürgerlichen Gesellschaft heraus entstehen konnte, war ihr dagegen völlig fremd. An die Stelle der Verwandlungs- und Verkleidungs-Subtilität, wie man sie etwa von Madonna kennt, setzt »Turbofolk« eine Eins-Zu-Eins-Kultur: Ich zeige, was ich sein will - heterosexuell, bewaffnet, stark, reich.
Diese Form der Übersexualisierung ist als Phänomen nicht allein an den Popstars wie Ceca zu beobachten, sondern wird bereitwillig adaptiert und als ästhetisches Projekt in den Alltag übersetzt. Seine Insignien sind - bei den Frauen - kurze Röcke, enge Hosen, knappe Tops, eine Art hemmungslose Übertreibung des heterosexuellen Codes.
Ceca, die Überfrau mit perfekt erarbeitetem Körper, ein Projekt, dem sie viel Aufmerksamkeit und Geduld schenkte, erschien noch bis vor kurzem als eine Art serbische Leni Riefenstahl im Dunstkreis der Mächtigen, die sie um so reiner und enthobener von jeglichem Anliegen des Alltags hervortreten ließen. Keinesfalls erfüllte sie das Bild der biederen serbischen Mutter. Ihre Funktion während des Krieges in Bosnien und Kroatien war es vielmehr, den narzisstischen sturen Stolz zu repräsentieren, der es den Serben weiterhin ermöglichte, Lieder zu singen. Ihre Schönheit war Aushängeschild und Motivation. Ihren unverletzten und vermeintlich glücklichen Körper galt es zu verteidigen und vor alternativen Frauenbildern zu schützen. Ihr Gegenbild waren die geschundenen, vergewaltigten und vertriebenen Bosnierinnen und Kosovo-Albanerinnen. Erst mit dieser Ergänzung ist das Bild von Ceca komplett. Ihre Ästhetisierungs- und Identitätspolitik im Zuge der Re-Nationalisierung ist auf perfide Weise auf das Engste verknüpft mit den Misshandlungen und Erniedrigungen, die serbische Paramilitärs an den Bosnierinnen und Kosovo-Albanerinen verübten. Die unantastbare, reine Ceca war das Gute - ihr Pendant bildete ein unreiner, fremder weiblicher Körper, der nicht »eigen« und »serbisch« war.
Jugoslawien, einst als »blockfrei« das offenste der europäischen sozialistischen Länder, hatte schon länger teil am Pop. Tito selbst ließ sich zu seiner Zeit gewissermaßen zur Pop-Ikone stilisieren. Die Ausbildung des musikalischen Geschmacks verlief nicht weniger differenziert als im Westen und kannte keine nationalen Grenzen. Im Einfamilienhaus in der Vojvodina wurde ebenso konspirativ The Cure, The Verve und Sonic Youth gehört wie im Münsterland. Subkulturelles fand sich ebenso wie Madonna oder George Michael. Die Kassettenrekorder und ihre Repeat-Taste bildeten die Verbindung zu den Identität suchenden Jugendlichen dieser Welt. Mix-Kassetten kursierten und ließen keinen Mangel erkennen. Platten waren relativ einfach zu bekommen. So mancher vergaß darüber, wo er eigentlich lebte.
Das Bewusstsein dafür kam für viele erst dann wieder zurück, als unter Milosevic plötzlich eine Unmenge von Hybridgestalten à la Ceca die Bildschirme bevölkerten. Zwar gab es keine offizielle Zensur westlicher Popmusik, aber irgendwie war klar, dass die anglo-amerikanische Popmusik die eigenen nationalistischen Bestrebungen nicht eindeutig genug vertonen konnte. Wenn es ein erstarktes serbisches Volk geben soll, so muss es auch Stimmen haben, die es repräsentieren und die in einer Sprache singen, die es versteht. »Turbofolk« war ein identitätstiftendes Genre. Man sollte annehmen, dass mit dem Ende Milosevics die Shakiras, Aaliyahs, Kylies, Whitneys, Madonnas ihre Turbofolk-Klone wieder vom Markt verdrängen würden.
Die Popularität Cecas aber blieb nach dem Ende des Milosevic-Regimes ungebrochen. Über 150.000 Fans pilgerten noch im August letzten Jahres in das Belgrader Marana-Stadion, um sie zu sehen. Obwohl sie mit dem Kriegsverbrecher Arkan verheiratet war, der bereits letztes Jahr von Unbekannten erschossen wurde und dessen Liebe Ceca in ihren Songs idolisiert, war sie weiterhin beliebt. Einerseits verbergen sich dahinter vielleicht die noch immer lebendigen nationalistischen Bestrebungen. Andererseits wird an Cecas fortwährender Popularität ein gewisser Stolz und das Bedürfnis nach Kontinuität sichtbar. Ceca verkörpert Dauer und Treue zu sich selbst. Musik und Diktatur in einen Zusammenhang zu bringen, weigert man sich schlichtweg. Woran man vielleicht auch ablesen kann, wie dünn die Schicht der Demokraten und Antinationalisten in Serbien-Montenegro ist.
Djindjic wird mittlerweile zum Märtyrer verklärt und eine positive Folge davon scheint zu sein, dass damit ein langsamer Reinigungsprozess der serbischen Gesellschaft in Gang gesetzt wird. Was Den Haag und die Nato-Bombardierungen nur verhärteten und verhinderten, scheint nun aufzubrechen: das lange Schweigen der Mehrheit angesichts der alltäglichen mafiösen Strukturen, die bis in den obersten Staatsapparat reichen. Über 2.000 Verhaftungen in den letzten Wochen lassen erkennen, dass man dem Schock und der Trauer mit Aktionen antworten will. Die Verkaufszahlen von Cecas neuem Album seit ihrer Verhaftung sind nicht bekannt. Und dann gibt es jetzt ja Jeca, die Tochter jenes Polizisten, der Ceca in ihrer Villa verhaftete. Ihre neue Single ist zur Zeit der große Hit.
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