Der Dönerspieß schwankt. Ramiz Meral schneidet mit dem Messer eine Ladung Fleisch ab und füllt sie sicher ins Fladenbrot – trotz der Wellen und des Handys, das er zwischen Ohr und Schulter geklemmt hat. Türkischer Pop dudelt, Fleischduft hüllt das rotweiße Boot ein. Meral wiederholt ins Telefon: „Zweimal Dorade, ohne Zwiebel, ohne scharf.“ Er klatscht Sauce auf einen Döner, packt ihn ein und ruft: „Bis gleich, Carsten!“ Dann legt er sein Handy ab, notiert die Bestellung und reicht den fertigen Döner aus dem Fenster. Geschafft. „Jeder Döner 30 Sekunden. Garantiert!“
Schnell muss es gehen, wenn mittags die Büromenschen hungrig ans Flussufer in Frankfurt kommen. Hier am Main liegt vor den Hochhäusern Merals Imbiss vor Anker. Das Boot ist eine große Kombüse, ausgestattet mit Dönerspieß, Fritteuse, Grill, Spüle. Auf dem Bug steht Istanbul.
Erinnerung an die Kindheit
Die türkische und die deutsche Flagge sind gehisst, beide vom Wetter ausgeblichen. An Deck hat Meral Partylampen befestigt, hier gibt es auch karierte Picknickdecken und Tischchen, die er zum Döneressen ausleiht. Bei Sonnenschein ist die ganze Wiese bunt gefleckt. Frauen in Kostümen und Anzugträger stehen am Bistrotisch, Studenten liegen auf den Decken, Radfahrer machen Pause. Fast alle haben etwas zu essen vom Dönerboot neben sich.
Meral will, dass sich die Gäste entspannen, dass sie Wasser, Sonne und Essen mitten in Frankfurt genauso genießen wie die Menschen an den schwimmenden Imbissen in Istanbul. Dort verbrachte der 45-Jährige seine Kindheit. Das Boot ist auch eine Erinnerung an diese Zeit. Mit 14 Jahren kam er nach Deutschland. Heute fühle er sich in Frankfurt zu Hause, sagt er.
Trotzdem schwärmt er von den Makrelen, die die Köche auf den Booten am Bosporus grillen. Auch Meral verkauft nicht nur Döner. Viele Kunden kommen wegen der Dorade oder der frittierten Sardellen, die er mit Rucola ins Brot packt. Für Vegetarier röstet er Peperoni und Auberginen, alles ohne Fertig-Gewürzmischungen. Außerdem hat er einen Geheimtipp: seine „Ominade“, die Limo, die er nach dem Rezept seiner Großmutter aus Zitronen, Orangen, Wasser und Zucker herstellt.
2004 entdeckte Meral ein ausrangiertes Marineboot, Baujahr 1942. Es gammelte vor sich hin. „Ich dachte: genau das, was ich brauche“, erzählt er. Der kleine Catering-Service, den er damals in Frankfurt betrieb, stellte ihn nicht zufrieden. Er wollte lieber draußen sein und viele Menschen um sich haben. Jetzt kümmern seine Frau und seine Tochter sich um das Catering. Er hilft im Winter, wenn das Dönerboot pausiert.
20.000 Euro musste Meral in seine ausgefallene Idee investieren. Gut vier Monate renovierten er und seine Helfer das Boot, schraubten aus Plexiglas Regale zusammen, mit Extra-Kanten, damit Börek und Schafskäseröllchen bei hohem Seegang nicht herausfallen. Sie installierten Drehspieß, Spüle und Grill. Zuletzt baute Meral noch niedrige Teetischchen. Und die Behörden? „Die haben mich zuerst ausgelacht.“ Fast ein halbes Jahr habe er für den Papierkram gebraucht, sagt er. „Wir sind schließlich in Deutschland.“
Von flussabwärts nähert sich ein Ausflugsboot, es tuckert bis auf weniger Zentimeter heran. Die Preisliste hängt auch zur Flussseite aus: Döner Swimm-In! Merals Bewegungen werden noch schneller. In seiner Schürze schwingt er sich durch die Luke aufs Deck, macht das andere Boot mit einem Seil fest und begrüßt den Kapitän. Dann hüpft er wieder in die Küche, Döner für die 15 Gäste des Ausflugboots fertig machen. Meral zeigt ihnen stolz ein paar laminierte Fotos von vergangenem Jahr. „Da ist ein 130-Meter-Frachter bis auf einen Meter herangefahren, und ich musste die Tüte mit dem Essen an einer Stange hochreichen“, ruft er. „Seitdem hupt der immer, wenn er vorbeifährt.“ Die Gruppe ist beeindruckt, fragt aber, ob er nicht andere Musik spielen könne. „Nee, hier ist Istanbul“, sagt Meral und lacht, schaltet aber dann doch auf einen deutschen Radiosender um.
Nickerchen in der Kajüte
Auf dem Boot helfen neben seinem Sohn auch Freunde mit. An Sommer-Wochenenden hat Meral oft von zwölf Uhr mittags bis weit nach Mitternacht geöffnet und bedient 200 bis 300 Menschen. Bei gutem Wetter arbeitet er zwischen zehn und zwölf Stunden an Bord. Dann ist er besonders froh, sich nachmittags kurz ablösen zu lassen und eine halbe Stunde in der Kajüte zu schlafen. Wenn jemand mit großem Hunger kommt, nachdem Meral mit seinem Schiff schon Richtung Liegeplatz für die Nacht abgelegt hat, macht er meist trotzdem nochmal kehrt. Und wer nicht genug Geld hat, bekommt die Limonade 50 Cent billiger.
In seiner Freizeit ist Meral für die Jugendarbeit im türkischen Fußballverein vor Ort zuständig. Für ihn gelingt ein Spiel nur, wenn alle Teamgeist zeigen. Wer foult, riskiert Ärger – auf dem Platz oder am Main. Bei einem rücksichtslosen Sportboot hat er schon mal die Verfolgung aufgenommen. Es war nicht das erste Mal, dass die hohen Wellen die Istanbul durchschüttelten. Also nahm er sein altes Fahrrad und holte das Sportboot an der Schleuse ein, um die Fahrer zur Rede zu stellen. „So klein waren die plötzlich“, sagt Meral und hält Daumen und Zeigefinger ein winziges Stück auseinander. Er grinst. „Seitdem ist es recht ruhig.“
So ruhig, wie es an einem belebten Flussufer in einer 700.000-Einwohnerstadt sein kann. Die Kundinnen hüpfen kreischend zur Seite, wenn das Wasser an stürmischen Tagen neben dem Rettungsring hochspritzt. Meral macht bei jedem Wetter auf, immer an der gleichen Stelle. Er braucht die Steckdose, die er sich für viel Geld an den Kai legen ließ. Zu trocken dürfen die Sommer dabei nicht sein. Wenn das Wasser im Fluss sehr niedrig steht, wird es für Meral schwierig zu bedienen, schon jetzt sieht er nur die Füße der Kunden, die anstehen. Aber dass er deswegen nicht öffnen konnte, ist noch nie vorgekommen in den sechs Jahren, die es den Schiffsgrill gibt. Und ins Wasser gefallen ist auch noch kein Döner.
Mehr Fotos von dem Besuch auf der Istanbul finden Sie in einer Bildergalerie auf freitag.de
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