Und wenn Biden erst erkrankt!

USA Wie agieren die QAnon-Anhänger vor den Wahlen? Und was sagen sie zur Corona-Infektion ihres Idols Donald Trump?
Ausgabe 41/2020
Manche aus dieser Bewegung meinen, Trump hätte ruhig sterben können – um dann magisch wiederzukehren
Manche aus dieser Bewegung meinen, Trump hätte ruhig sterben können – um dann magisch wiederzukehren

Foto: Mandel Ngan/AFP/Getty Images

Zunächst schien Donald Trumps ganze Strategie für diesen Wahlkampf zu kollabieren: Vergangener Freitag, Breaking News, Donald Trump ist krank, infiziert mit dem Coronavirus, per Helikopter auf dem Weg ins Walter Reed Medical Center. So lange hatte er die Risiken von Covid-19 heruntergespielt und seine Feinde der Schwäche geziehen.

Doch schon am Montag war seine alternative Erzählung in der Welt – er habe sich vollständig von der Krankheit erholt, sie durch seine Stärke besiegt. Da konnten Mediziner von außen noch so sehr davor warnen, dass die Symptome des Präsidenten schwerwiegend gewesen zu sein scheinen und sein Gesundheitszustand fraglich. „Don’t let it dominate you“, verkündete er per Videobotschaft, lasst euch nicht von diesem Virus unterbuttern. „Wir haben die besten Medikamente. Alle wurden kürzlich entwickelt.“ Er sei ins Krankenhaus, habe sich nicht so gut gefühlt, „und vor zwei Tagen – ich hätte vor zwei Tagen gehen können –, vor zwei Tagen fühlte ich mich großartig, so gut wie schon lange nicht mehr“.

Viele der eifrigsten Online-Unterstützer des Präsidenten akzeptierten diese Version sofort; sie sind längst eingeschworen auf seine „alternativen Fakten“, wie Kellyanne Conway, die Trump bis vor Kurzem beraten hat, seine Rhetorik gegenüber den Mainstream-Nachrichtensendern 2017 genannt hat. Daran ändert auch die wachsende Zahl derer in Trumps engstem Umfeld nichts, die sich nun mit Covid-19 infiziert haben, darunter Kellyanne Conway.

Wichtig für die Wahl

Seit Trump 2015 auf die politische Bühne getreten ist, haben „alternative Fakten“ ein Paralleluniversum aus Unterstützern im Internet größer werden lassen, das bei der Wahl Anfang November eine ziemlich wichtige Rolle spielen wird. Viele, wie das Online-Forum „theDonald“, existieren nur, um Trump zu loben, zu mythologisieren. Aber die größte dieser Bewegungen, sie wird „QAnon“ genannt, erstreckt sich über Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Social-Media- und Internetseiten; sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Realität zugunsten von Pro-Trump-Botschaften völlig aufgegeben hat. QAnon-Anhänger glauben im Kern, dass Präsident Trump ein heldenhafter Geheimagent ist, der gegen ein geheimes Komplott Pädophiler kämpft, die Satan anbeten und sich aus prominenten Mitgliedern der Demokratischen Partei und Hollywood-Promis rekrutieren.

Die Ursprünge dieser bizarren und substanzlosen Verschwörungstheorie reichen bis ins Jahr 2016 zurück, als Trump-Fans im rechtsextremen Politikteil „/pol/“ eines Online-Forums namens 4chan Gerüchte zu verbreiten begannen, wonach Donald Trumps Gegnerin Hillary Clinton schwer erkrankt sei. Die Kampagne ging auf, zur großen Überraschung der Witzbolde, die sie erdacht hatten. Die Fehlinformation verbreitete sich über soziale Medien, dann über rechte Medienkanäle, schließlich über die Mainstream-Medien. Davon ermutigt erfanden „/pol/“-Nutzer bald ein weiteres Gerücht; sie nannten es „Pizzagate“ und stellten sich vor, Clinton sei in einen satanistischen pädophilen Sexkult verwickelt, dessen Mitglieder sich im Keller einer Pizzeria in Washington D.C. trafen. In den letzten Wochen des Wahlkampfes 2016 verbreitete sich diese Lüge im Netz.

Nachdem Trump die Wahl gewonnen hatte, hörten „/pol/“-Nutzer nicht auf, Fehlinformationen zu verbreiten. Sie gaben häufig vor, Insider der Regierung zu sein, die Informationen über Pizzagate „durchsickern“ ließen, haben sich Namen wie „FBIAnon“, „White House Insider Anon“ oder „MegaAnon“ gegeben – auf 4chan nennen sich die Nutzer gegenseitig „Anons“, weil die meisten anonym posten. Keiner dieser Charaktere war außerhalb von 4chan sehr beliebt, und es schien, als würde Pizzagate bald verpuffen. Doch im Oktober 2017 trat auf 4chan ein neuer oder mehrere neue Nutzer mit dem Namen „Q“ oder „QAnon“ in Erscheinung, deren Aufschlag populärer als alle vorherigen 4chan-Streiche werden sollte. QAnon spielte die Rolle eines Regierungsinsiders, der Informationen über die Echtheit von Pizzagate durchsickern ließ; Hillary Clinton würde demnach in wenigen Tagen verhaftet werden. Obwohl sich dies nie bewahrheitete, schlossen 4chan-Nutzer im Nu Q’s einzigartigen kryptischen Stil, im Internet zu schreiben, in ihre Herzen, lauter Postings voller vager konspirativer Fragen und prophetischen Andeutungen. Im Januar 2018 war QAnon dauerhaft auf eine 4chan-Nachahmerseite namens 8chan umgezogen; rechte Nutzer begannen dort, die Botschaft auf Verschwörungs-Seiten wie InfoWars und gängigen Plattformen wie Reddit und Facebook zu verbreiten. Bald schwoll die QAnon-Glaubensstruktur an, nun ging es auch um frühere Verschwörungstheorien zu 9/11, den Kennedys und den Illuminaten.

Anstatt sich in den Untiefen des Netzes zu zerstreuen, wuchs die Anhängerschaft sprunghaft an, zunächst beschleunigt durch ältere Internetnutzer, die mehr Zeit auf Plattformen wie Facebook verbrachten, dann durch die Covid-19-Pandemie – denn in Folge der Isolierungsmaßnahmen zu deren Eindämmung verbrachten nun mehr Menschen nun noch mehr Zeit mit der Nutzung sozialer Medien. Dieses Spektrum ist zudem näher an den republikanischen Mainstream gerückt. Im Sommer gewannen mehrere Pro-QAnon-Kandidaten für den Kongress Vorwahlen der Republikaner; andere, auch Trump, hielten sich mit einer Verurteilung des Kultes zurück.

Q veröffentlicht weiterhin regelmäßig Beiträge auf 8chan (bzw., nach einer Umbenennung, auf „8kun“). Jede Woche sezieren Vlogger und Blogger die Äußerungen von Q vor einem wachsenden Publikum. Die Botschaften von Q werden von den großen sozialen Mediennetzwerken verbreitet; sie tolerieren die Verbreitung von QAnon auf ihren Plattformen. Monetarisiert wird das Phänomen durch Klicks auf Anzeigen, Apps, Spenden und T-Shirt-Verkäufe. Jetzt, im Vorfeld der Wahlen, fungiert Q weitgehend als Quelle für Pro-Trump-Memes und -Posts.

Brillanter Move!

Die Risiken durch Corona hat Q jüngst als übertrieben dargestellt und in Anlehnung an Trump China die Schuld in die Schuhe geschoben. Zuletzt versuchten dieselben Desinformationskanäle Joe Biden zu unterstellen, er verheimliche, dass ihn Gesundheitsprobleme schwächten.

Trumps Krankenhausaufenthalt hat die QAnon-Anhänger zunächst verblüfft. Doch bald schon fielen sie in vertraute Muster zurück: All dies sei Teil des von Q beschriebenen Plans. „Trumps Corona-Move war brillant“, schrieb ein typischer QAnon-Anhänger im rechtsextremen Forum Voat: „Wenn Biden sich das Virus einfängt und es ihn hart erwischt, wird er im Vergleich zu Trump schwach aussehen.“ Zugleich werde dieser „Move“ der Welt Zuversicht geben, dass dies gar keine ernsthafte Pandemie sei. „Ich wette darauf, dass der Präsident der Vereinigten Staaten von nun an das Narrativ kontrolliert!“

Ironischerweise hat die ursprüngliche Koalition rechter 4chan- wie 8chan-Nutzer, auf die der QAnon-Mythos zurückgeht, die Nachricht von Trumps Krankheit überwiegend gutgeheißen. Viele sind längst von Trump enttäuscht, identifizieren sich jetzt als Faschisten, die hoffen, dass die Pandemie der Demokratie noch mehr lähmende Schocks versetzt. „Ich hoffe, er stirbt“, schrieb ein 8chan-Nutzer zu Trumps Diagnose. „Ich möchte, dass alle Q-LARPer („Live-Action-Rollenspieler“) nach seinem Tod noch ein paar Tage durchhalten und warten, dass er auf magische Weise wiederkehrt.“

Dale Beran ist Autor des Buches It Came from Something Awful. How a Toxic Troll Army Accidentally Memed Donald Trump into Office

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden