Die Affäre Hammelbein

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Es war einmal, once upon a time, vor dem Fall der Mauer, da wurde im schönsten und größten Park Berlins überall nach Herzenslust gegrillt, sich versammelt, Musik gemacht, Spiele gespielt, Drachen steigen gelassen, gelesen, gewandelt, geschlafen, geträumt, geradelt, getanzt.

Dann aber kam die Wende, Berlin wurde Hauptstadt, damit wurde die Bannmeile eingeführt, es folgte der erzwungene Umzug des Tempodroms, die Abschaffung des Senatsrockwettbewerbs direkt vor dem Reichstag, die Ausweisung einer Grillfläche auf einem vergleichsweise kleinen Areal zwischen Schloß Bellevue und dem Haus der Kulturen der Welt. Es wurden nicht hinreichend Müllbehälter aufgestellt, das Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg verfügt über 3 (drei) Außendienstmitarbeiter, das Ordnungsamt Mitte-Tiergarten-Wedding vielleicht über vier? Ob die am Wochenende oder am Abend arbeiten? Man weiß es nicht, es wurde jedenfalls über die Jahre in der Presse in immer selbstverständlicherer Weise gegen die Griller polemisiert.

Die Zeit Nr.35 leistete sich nun als Anreisser für ihr Dossier ' Die Affäre Hammelbein' auf der Titelseite Print folgenden Satz:

'Im Berliner Tiergarten lassen Muslime Müll zurück...'.
Da staunte die dame.von.welt nicht schlecht - die Griller sind alle Muslime? Aber nur Muslime räumen ihren Müll nicht weg? Sind alle nicht in Deutschland angekommen? Aha. Soso.

Furchterregend auch der Blick aus des Bundespräsidenten Fenster. 'Vor dem Schloss Bellevue sieht es aus wie in Neapel während des Müllkriegs mit der Camorra.''Würde der Bundespräsident jetzt aus dem Fenster schauen, könnte er denken, sein Amtssitz liege in einem Katastrophengebiet.'

Schön aber die Erwähnung des 'Poltergeist' Buschkowsky, Bürgermeister in Berlin-Neukölln. Es wurde allerdings vergessen, das absolute Grillverbot in Neukölln zu erwähnen. Was Aussagen wie 'Meiner Meinung nach ist der Tiergarten verloren.' grilltourimusmäßig in den passenden Kontext rückt. Immerhin erwähnt wurde der ewige Arbeitsgruppenleiter Heiner Steffenhagen und der Bürgerverein Hansaviertel, dem nicht nur die Griller, sondern auch die Loveparade in seinem persönlichen Vorgarten Dorn im Auge ist und war.

An jedem Wochenende hinterlassen 'muslimische' Griller also laut Dossier 15-20 Tonnen Abfall. Es hätte übrigens genau zum Erscheinungsdatum der Zeit Nr. 35 eine exzellente Gelegenheit gegeben, die Aussage 'Muslime hinterlassen Müll' auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, am 21.8. begann nämlich der Ramadan. Das kann man wirklich Timing nennen. Auch wirklich soviel Müll, bevor ein schwarzer nicht mehr von einem weißen Faden zu unterscheiden ist?

Zur Wiederherstellung der Proportion aber: Hundehalter (in der Regel nicht muslimisch) hinterlassen im schönen Berlin täglich über 50 Tonnen Hundekot.

Hier finden sich die Regeln des Ordnungsamtes zur Hundehaltung - ob das nicht mit etwas politischem Willen eine 1a Möglichkeit wäre, aus Scheiße Gold zu machen?

Pro Hundehaufen 35€ - ich versage mir hier das Umrechnen von 50 Tonnen in Einheiten Durchschnittsdeutscherhundehaufen. Oder lieber doch ein NeuesWahrzeichenfürBerlin?

Worum ging es gleich im Dossier von Die Zeit? Um Integration? Aufgehängt an eine Müllfrage?Wie bitte? Worein bitte?
Der Verfall von Höflichkeit, Sozialverhalten, Übernahme von Verantwortung im öffentlichen Raum ist nur auf Seiten der Einwanderer zu finden?

Ich jedenfalls mußte bei meinem muslimischen Lieblingszeitungshändler (öffentlicher-Raum-Griller, Müll-Mitnehmer, in-Deutschland-Angekommener) für den Kauf von Die Zeit Nr.35 um Entschuldigung bitten, als er mich auf Anreisser wie Dossier völlig zu Recht empört aufmerksam machte. Veröffentlichte, wie eine ganze Reihe anderer Nutzer auch, einen Leserartikel bei Zeitonline, in dem ich um öffentliche Stellungnahme der Redaktion bat. Als gar nichts, null, nada, nothing geschah, entschloß ich mich zu einer Beschwerde beim Presserat.

Der sprach nun am 1.12.2009 einen nichtöffentlichen Hinweis wegen Verstoß gegen Ziffer 12 (Diskriminierungen) des Pressekodex aus:
Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Und zwar für den Anreisser auf der Titelseite von Die Zeit Nr. 35:
'Im Berliner Tiergarten lassen Muslime Müll zurück - und entfachen damit politischen Streit'.
Für problematisch hielt der Beschwerdeausschuß auch die Unterzeile des Dossiers selbst:
'Jeden Montag sieht die Grillwiese im Berliner Tiergarten aus wie ein Schlachtfeld. Die Stadt räumt den Müll der Migranten weg. Aber der Konflikt schwelt weiter.'

Ich möchte nicht das ganze Schreiben des Presserats zitieren, knapp zusammen gefaßt befand er, anders als ich, den Artikel selbst als 'durchaus differenziert'. Das liegt womöglich daran, daß der Presserat, anders als ich, die Situation im Berliner Tiergarten nicht seit mehr als 20 Jahren gut kennt.

Zitieren möchte ich aber die im Schreiben wiedergegebene Stellungnahme von Die Zeit:
'Mit Schreiben vom 19.11. antwortet der Stellvertretende Chefredakteur, dass in dem Beitrag nicht Hass gegen Migranten geschürt werde, wie die Beschwerdeführerin behauptete, sondern vielmehr das Versagen der deutschen Mehrheitsgesellschaft im Umgang mit den hier lebenden Migranten Gegenstand des Artikels sei. Der Artikel beschreibe zum einen den innerdeutschen Konflikt, dass nämlich alle Parteien das Problem um den Müll für sich zu nutzen versuchten. Außerdem werde deutlich, dass zwar der Müll anschließend beseitigt werde, sich jedoch niemand um die Menschen kümmere, die schlicht keinen anderen Platz zum Grillen fänden. Allein die von der Autorin getroffene Unterscheidung zwischen deutscher Mehrheitsgesellschaft und migrantischer Minderheitsgesellschaft könne nicht schon eine Diskriminierung sein. Zwar gebe die Ankündigung auf S.1 eine leicht zugespitzte Zusammenfassung, die aber nicht rügenswert sei, so der stellvertretende Chefredakteur.'

Halten Sie das auch für eine 'leicht zugespitzte Zusammenfassung' und für 'nicht rügenswert':
'Im Berliner Tiergarten lassen Muslime Müll zurück...'?

Kommen Ihnen auch Tränen der Rührung angesichts dieser Worte des stellvertretenden Chefredakteurs? 'Außerdem werde deutlich, dass zwar der Müll anschließend beseitigt werde, sich jedoch niemand um die Menschen kümmere, die schlicht keinen anderen Platz zum Grillen fänden.'



(Der Artikel ist als Ergänzung zum Vergleich 1+2 der Printausgaben von Die Zeit und Der Freitag von Jakob Fricke zu verstehen - für einen Kommentar bloß viel zu lang. Unbehagen löst derlei wohl aber nicht nur beim linken Leser aus.)







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