Die Hand auf der Waage

Edmund Dene Morel Journalismus und Menschenrechte vor der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://modernafrica.files.wordpress.com/2012/01/scales-photo1.jpg

Einband-Illustration von Morels Buch *Red Rubber*, Bild mit Dank entnommen aus dem Blog Modern Africa

Edmund Dene Morel wurde 1873 als Sohn einer englischen Mutter und eines früh verstorbenen französischen Vaters in Paris geboren, er wuchs bilingual auf. Seine Mutter arbeitete in Frankreich als Lehrerin, konnte jedoch durch Krankheit die Schulgebühren der Boarding School für ihren Sohn nicht länger zahlen, weswegen Morel als Bankangestellter zu arbeiten begann.

In seinen 20ern trat er eine Stelle im Büro der britischen Reederei Elder-Dempster an, die das Monopol der Kautschuk-Verschiffung aus dem Kongo nach Europa innehatte. Durch Einblick in die Frachtlisten der Reederei hatte Morel genaue Kenntnis der Ladungen: Kautschuk und Elfenbein nach Europa, in den Kongo keine Handelsgüter, sondern ausschließlich Ketten, Waffen, Sprengstoff.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts galt Leopold ll. als Philantroph und Reformer. °Den Bewohnern der Kongo-Region wollte er Frieden und Wohlstand bringen, sagte er - und versprach, den immer noch grassierenden Sklavenhandel zu bekämpfen, das Christentum zu verbreiten und das gesamte Land in eine Freihandelszone zu verwandeln. Sein verlogenes Schauspiel hatte Erfolg, 1885 übertrug ihm die in Berlin tagende "Kongo-Konferenz" aus 14 Staaten das gesamte Gebiet als Privatbesitz - ein Gebiet, das mehr als 80-mal größer war als Belgien°

Der Bedarf an Kautschuk explodierte, als der Luftreifen erfunden und die Elektrizität zunehmend etabliert wurde. Leopold ll. setzte sein im Kongo erbeutetes Privatvermögen in Belgien überaus sichtbar ein, er baute die Gileppe-Talsperre mit dem ersten Staudamm aus Beton in der Nähe von Eupen, die berühmten Gewächshäuser bei Schloß Laeken im Norden von Brüssel, zur Brüsseler Weltausstellung 1897 den Jubelpark, die Avenue Louizalaan, die Avenue de Tervuren, dort das Königliche Museum für Zentralafrika, in dem er den öffentlichen belgischen und internationalen Blick auf den Kolonialismus im Kongo verklärte und bannte. Das Museum feierte noch 2010 unter großem Aufwand Geburtstag, es wurde 2013 geschlossen, um das Konzept der Kolonialverklärung in einen kritischen Kontext zu setzen. 2017 soll wiedereröffnet werden, es enthält die größte Sammlung afrikanischer Artefakte weltweit.

Währenddessen, zwischen 1885–1908, wurden im Kongo für zu wenig geernteten Kautschuk Hände abgehackt, die Frauen der Kautschuksammler wurden als Freiwild in Geiselhaft genommen, Willkür und Nilpferdpeitsche regierten.

°Der belgische Richter Stanislas Lefranc sah um 1900 mit eigenen Augen, was Leopolds Vertreter im Kongo anrichteten. Lefranc war Zeuge einer Bestrafungsaktion, bei der "ungefähr 30 Bälger, von denen etliche erst sieben oder acht Jahre alt waren, aufgereiht und darauf wartend, dass die Reihe an sie käme, die, zu Tode erschrocken, mit ansahen, wie ihre Kameraden ausgepeitscht wurden. 25-mal sauste die Peitsche auf jedes Kind nieder." Das Vergehen der Kinder: Sie hatten in der Gegenwart eines Weißen gelacht°

In den 23 Jahren von Leopolds privat-kolonial-kapitalistischer Barbarei starben 10 Millionen Menschen, mindestens die Hälfte der Bevölkerung des Kongo.

Edmund Dene Morel schrieb, nachdem er anhand der Elder-Dempster Unterlagen realisiert hatte, welche Gräuel im Kongo stattfanden:

°Mir wurde schwindlig und übel, als mir die Bedeutung meiner Entdeckung bewußt wurde. Es ist schlimm genug, zufällig einen Mord aufzudecken. Ich aber war zufällig auf eine Gesellschaft von Mördern gestoßen, deren Komplize der König selbst war.°

Er veröffentlichte Bücher und Essays über Kolonialismus, Zwangsarbeit und Sklaverei, das bekannteste: Red rubber : the story of the rubber slave trade which flourished on the Congo for twenty years, erschienen 1906, oben im Blog das Originalcover - Die Hand auf der Waage.

°Sie hackten den Erschossenen die Hände ab, um den Mord zu belegen. Da nun aber auch jede Kugel, die bei der Jagd verschossen worden war, mit einer Hand zu belegen war, fielen regelmäßig marodierende Söldner über Unschuldige her, um ihnen die Hände abzuschlagen. Körbeweise lieferte die Force publique bei den Europäern abgeschlagene linke und rechte Hände ab, von Männern, Frauen und Kindern. Manch europäischer Offizier lebte ebenfalls im Kongo seine Grausamkeit aus: Léon Rom "verzierte" zum Beispiel seinen Garten mit abgeschlagenen Köpfen.

Als Leopold II. vom Händeabschlagen im Kongo hörte, sagte er entsetzt: "Hände abhacken, das ist idiotisch!" Mitleid hatte er allerdings keines: "Ich würde eher alles Übrige abschneiden, aber doch nicht die Hände. Genau die brauche ich doch im Kongo!"°

Morel vernetzte sich mit Missionaren, die seine Darstellung und seinen Rundbrief mit ihren Augenzeugenberichten und mit Fotografien unterstützten - zum Beispiel mit William Morrison, William Henry Sheppard (einer der ersten afro-amerikanischen Missionare in Afrika) mit John Hobbis Harris und der Fotografin Alice Seeley Harris, über jeden einzelnen von ihnen könnte man leicht drei Blogs schreiben. Morel gründete die Congo Reform Association, populäre Schriftsteller beteiligten sich an der Demaskierung des Philanthropen und Reformer Leopold ll.

Joseph Conrad, drei Jahre als Kapitän auf einem belgischen Flußdampfer im Kongo, veröffentlichte 1898 An Outpost of Progress und 1902 Das Herz der Finsternis.

°Das Wort ›Elfenbein‹ zitterte in der Luft, wurde geflüstert, wurde geseufzt. Man hätte glauben können, sie beteten es an. Ein Hauch törichter Raffsucht wehte durch all das, wie die Ausdünstung eines Kadavers. Bei Gott! Nie in meinem Leben habe ich etwas so Unwirkliches gesehen°

Booker T. Washington veröffentlichte 1904 Cruelty in the Congo Country

°And what is the result of it all? Not the improvement and uplifting of the black men, since wherever the white men has put his foot in the Congo State the black man has been degraded into a mere tool in the great business of getting rubber°

Samuel Langhorne Clemens aka Mark Twain (aka °Zwei Faden°, etwa 3,75m Wassertiefe), u.v.a.m. gelernter Lotse auf dem Mississipi, veröffentlichte 1905 King Leopold's Soliloquy.

°---- ----!! ---- ----!! If I had them by the throat! [Hastily kisses the crucifix, and mumbles] In these twenty years I have spent millions to keep the press of the two hemispheres quiet, and still these leaks keep on occurring. I have spent other millions on religion and art, and what do I get for it? Nothing. Not a compliment. These generosities are studiedly ignored, in print. In print I get nothing but slanders -- and slanders again -- and still slanders, and slanders on top of slanders! Grant them true, what of it? They are slanders all the same when uttered against a king.°

Arthur Conan Doyle reiste 1881 als Schiffsarzt nach Westafrika und veröffentlichte 1909 The Crime of the Congo Er schrieb mit gallebitterer Ironie:

°It is worth while to slaughter one-fourth of the population if the effect is to drive the others to frenzied and unceasing work.°

Der öffentliche Druck durch Morels Rundbriefe, durch regelmäßige Zeitungsberichte über Leopolds Unterlaufung der 1890 auf der Brüsseler Konferenz beschlossenen Abschaffung der Sklaverei in Afrika, durch den Protest der Kirchen wurde so groß, daß Leopold ll. 1908 den Kongo-Freistaat an den belgischen Staat verkaufte. Für 50 Millionen belgische Francs, der zugesagten Vollendung der initiierten Bauprojekten in Höhe von 45 Millionen Francs plus Übernahme der Staatsschulden des Freistaats in Höhe von 110 Millionen Francs. Leopold starb im Dezember 1909.

°Listen to the yell of Leopold’s ghost
Burning in Hell for his hand-maimed host
Hear how the demons chuckle and yell
Cutting his hands off, down in Hell°

(Nicholas Vachel Lindsay 1914)

Bis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fanden zwei Weltkriege statt, es vergingen 40 Jahre. Ohne Menschen wie Edmund Dene Morel wäre ihre Erklärung nicht vorstellbar.

Morel verlor die durch seinen Einsatz gegen Leopolds Barbarei gewonnen Sympathien, als er sich gegen den Kriegseintritt Großbritanniens einsetzte. Für sein pazifistisches Engagement wurde er zu 6 Monaten Zwangsarbeit verurteilt, von deren gesundheitlichen Folgen er sich nicht mehr erholte und 1924 mit 51 Jahren starb.

Welche Folgen Zwangsarbeit, Entrechtung, Gewalt und Ausbeutung für den heutigen Kongo haben, kann man u.a. bei Nathan Nunn, Andrea Böhm und Simone Schlindwein erfahren.

History of the Congo DRC - King Leopold II (leider gelöscht, hier der Trailer)

Black Heart, White Men

Weißer König, roter Kautschuk, schwarzer Tod

Adam Hochschild: Schatten über dem Kongo (Rezension von Mekonnen Mesghena im dradio)

Covering Human Rights Issues in the Congo Adam Hochschild, Professor at the UC Berkeley Graduate School of Journalism, speaks on covering human rights issues in the Congo.

Edmund Dene Morel Red Rubber

The Casement Report

'When Harmony Went to Hell'
Congo Dialogues: Alice Seeley Harris and Sammy Baloji

Held des Kongo Andrea Böhm über William Sheppard

Red Rubber: Atrocities in the Congo Free State

The William Morrison Project

Mark Twain King Leopolds Soliloquoy

Bouncing Balls Leopold ll., Ed Morel & the Kongo

Wie der Gummireifen den Kongo zerstörte

US Slave 'King Leopold's Ghost': Genocide With Spin Control

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden