Ein Flüchtlings-"Drama"?

700 Ertrunkene und der Wetterbericht zur Flüchtlings-Welle, -Flut, -Lawine

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Die Bilder gleichen sich: Ein Boot mit Flüchtlingen 2011 vor Lampedusa
Die Bilder gleichen sich: Ein Boot mit Flüchtlingen 2011 vor Lampedusa

Bild: ROBERTO SALOMONE/AFP/Getty Images)

In den letzten Tagen sind im Mittelmeer vor Malta etwa 500 und vor Libyen mindestens 200 Menschen ertrunken. Vor Malta rammten und versenkten Schlepper (laut zwei überlebenden Flüchtlingen aus Gaza) ein aus Ägypten kommendes Boot, als die Flüchtlinge sich weigerten, auf offener See in ein noch weniger seetüchtiges Boot umzusteigen. Das Boot vor Libyen kenterte, der Küstenwache fehlten die Mittel, Ertrinkende und Ertrunkene zu bergen, die Suche mußte mit Einbruch der Dunkelheit abgebrochen werden.

Als im Oktober vor einem Jahr etwa 390 Menschen in Sichtweite des Strandes vor Lampedusa ertranken, konnten die rund 150 Überlebenden noch in einem Meer von Krokodilstränen baden. Selbst der Papst besuchte sie auf seiner ersten Reise im Amt, während ihnen gleichzeitig das Betreten des italienischen Staatsgebiets als Straftat angelastet wurde.

Heute sind rund 700 tote Flüchtlinge, die den friedensnobelpreisverdächtigen Mühen der Seenotrettungsagenturen italienische Kriegsmarine und Frontex entgingen, den Medien kaum noch eine Erwähnung mit kaum mehr als der Agenturmeldung wert.

Wir haben uns im Verlauf eines knappen Jahres an den Umstand gewöhnt, daß zahllose Menschen auf der Flucht nach Europa sterben, wir haben uns gewöhnt an die Klagen aus den europäischen Mittelmeeranrainerstaaten, an die Verkürzungen und Lügen in den Medien und aus den Mündern unserer Politiker.

Der Tenor an den Stammtischen: °Macht die Grenzen dicht! Schickt sie zurück! Macht die Toten in den Herkunftsländern publik, nur das schreckt sie noch ab! Wir sind bedroht! Von Islamismus, Armut, Ebola, egal - Hauptsache: wir sind bedroht!°

Es ist keine Rede mehr vom Menschenrecht auf Asyl. Von den Menschenrechten als universale, unveräußerliche, unteilbare Rechte jedes Menschen ist ohnehin keine Rede mehr, die brauchen wir schließlich alle selber.

Und weil wir uns von der extremen Flüchtlings-Wetterlage so bedroht fühlen, müssen wir uns auch verteidigen. Wir liefern Waffen, führen Kriege, beuten aus, unterminieren, dehumanisieren, pönalisieren. Wir bekämpfen die Folgen der Globalisierung mit militärischen Mitteln und mit unserer Aufmerksamkeitsökonomie.

Weil wir schließlich die Aufklärung schon hinter uns und Werte zu wahren haben.

Wir sind Bessermenschen und das ist das Drama.

700 tote Flüchtlinge hingegen sind Alltag.

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