Die mageren Jahre sind zurück

Ausstellung Umzug der legendären Fotosammlung "The Bitter Years". Vom Museum of Modern Art in New York nach Luxemburg

Sie gehören zu den bekanntesten Porträtfotografien des 20. Jahrhunderts: Walker Evans‘ Aufnahmen der Familie des Landarbeiters Floyd Burroughs und Dorothea Langes Bild der sorgenvollen Florence Owens Thompson, deren Kinder sich an ihre Schultern drängen. Entstanden sind sie 1936 während der großen Wirtschaftsdepression im Westen der USA. Was häufig vergessen wird: Evans und Lange fotografierten nicht alleine. Sie waren nur zwei von über einem Dutzend Fotografen, die von der Farm Security Administration (FSA) zwischen 1935 und 1944 losgeschickt wurden, um die Auswirkungen der „Great Depression“ zu dokumentieren.

Edward Steichen, damals Leiter der Fotografischen Abteilung am Museum of Modern Art in New York, widmete diesem umfangreichen Projekt 1962 eine eigene Ausstellung. Der Titel: The Bitter Years. Die Reaktionen waren kontrovers, heftig und emotional: Die einen sahen in den journalistischen Fotografien Kunst (was in den sechziger Jahren nicht selbstverständlich war), die anderen kommunistische Propaganda (was eher selbstverständlich war). Steichen selbst bezeichnete sie als „the most remarkable human documents ever rendered in pictures“.

The Bitter Years gilt als legendär, aber kaum ein heute noch Lebender hat die Ausstellung gesehen. Das soll sich nun ändern. Exakt 50 Jahre nach der Schau in New York hat die Ausstellung ein neues Zuhause erhalten: In einem alten Wasserturm in Dudelange, eine halbe Stunde südlich der luxemburgischen Hauptstadt, wird sie nun dauerhaft gezeigt – so, wie es der ausdrückliche Wunsch von Steichen selbst war. Der hatte 1967 veranlasst, dass The Bitter Years seinem Heimatland Luxemburg geschenkt wurde, wo sie seit 1989 das Kulturinstitut Centre National de l‘Audiovisuel (CNA) archiviert. Als das CNA schließlich 2007 seinen Neubau in unmittelbarer Nähe des Wasserturms bezog, entstand die Idee, das Wahrzeichen der Stadt für die Steichen-Ausstellung zu nutzen. Nach langen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen wurde sie nun eröffnet.

Humanistische Dokumentarfotografie

Die Präsentation haben die Macher möglichst nah am Original gehalten – so weit es der Platz zulässt. Denn zu sehen sind nur rund 80 der insgesamt 202 Originalabzüge. Die aber werden wie 1962 im Moma gezeigt: In Themenblöcken wie „Disaster“, „Exodus“ oder „Homeless – Rudderless“, auf schwarzen Wänden und mit denselben Zitaten darüber. Durch die reduzierte Beleuchtungsstärke auf nur 50 Lux wirkt die Inszenierung fast andächtig wie in einem sakraler Bau.

Zugleich lässt sich erstmals die Bandbreite des außergewöhnlichen Fotoprojektes erahnen, denn die bereits erwähnten Ikonen von Walker Evans und Dorothea Lange sind eingebettet in eine ganze Reihe von mitunter großartigen Fotografien – wie beispielsweise Arthur Rothsteins Bild eines Vaters und seiner beiden Kinder inmitten eines Staubsturmes oder Langes Aufnahme von zwei Obdachlosen, die auf einer staubigen Straße an einem Werbeschild vorbei gehen, auf dem „Next time try the train – relax“ steht. Dieser Zynismus mag überraschen, er ist aber nur ein Aspekt der vielschichtigen Herangehensweisen der Fotografen. The Bitter Years ist vor allem ein sehr eindrückliches Beispiel für eine humanistische Dokumentarfotografie, die gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krise berührt.

Damian Zimmermann betreibt einen Blog mit Fotos und Texten zu Fotografie

The Bitter Years Galerie Wasserturm Dudelange, Luxemburg

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