Einbürgerung: Ihr Fachkräfte kommet, o kommet doch all?
Staatsbürgerschaft Die FDP will mehr Fachkräfte, aber bitte nicht mehr Deutsche aus dem Ausland? Die Liberalen und Konservativen leben in einer Fantasiewelt. So läuft das aber nicht. Denn: Internationale Fachkräfte sehen genau, was in Deutschland läuft
Willkommensgeschenk: Bei der Feier ihrer Einbürgerung bekommen alle eine Ausgabe des jeweiligen Landesgesetzes geschenkt
Foto: picture alliance/dpa/Marijan Murat
Jahrzehntelang wird in Deutschland nun schon darüber diskutiert, wer unter welchem Umständen eingebürgert werden darf. Und immer ist es die Union, die eine Erleichterung der Einbürgerung zu verhindern sucht. Die letzte große Debatte lief 1998/1999, als die damalige rot-grüne Koalition die doppelte Staatsbürgerschaft für alle ermöglichen wollte. Die hessische Union torpedierte diese Pläne erfolgreich mit einer Unterschriftenkampagne. Auch in der Großen Koalition sperrte sich die Union stets gegen die Anläufe der SPD, den Besitz mehrerer Pässe grundsätzlich zu erlauben. Und jetzt laufen Teile der Union Sturm gegen das Vorhaben der Ampel-Parteien: Der deutsche Pass werde „entwertet“.
Da in der Diskussion um Einb&
n um Einbürgerung und Einwanderung derzeit vieles durcheinanderläuft, zunächst eine kurze Lektüre des aktuellen Staatsangehörigkeitsgesetzes: Wer heute die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen möchte, muss seit acht Jahren legal in Deutschland leben und seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten – also nicht von Sozialleistungen abhängig sein. Er oder sie darf nicht vorbestraft sein und muss die deutsche Sprache beherrschen, muss einen Einbürgerungstest bestehen und in der Regel die bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben. Der bürokratische Aufgrund ist hoch, ein Einbürgerungsverfahren kann sich durchaus zwei Jahre hinziehen. Billig ist es auch nicht: Für Gebühren, Einbürgerungstest und Sprachzertifikat muss man oft mehrere Hundert Euro hinlegen.Die Bundesregierung will die Einbürgerung nun erleichtern. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien nichts weniger als einen „Paradigmenwechsel“ und „Neuanfang“ in der Migrations-, Flüchtlings- und Integrationspolitik angekündigt. Deutschland solle dadurch zu einem „modernen Einwanderungsland“ werden, so das Versprechen. Der Mindestaufenthalt für eine Einbürgerung soll nun auf fünf Jahre verkürzt, Mehrstaatlichkeit hingenommen werden: Wer Deutscher werden will, muss seinen bisherigen Pass nicht mehr aufgeben. Für Ausländer*innen über 67 Jahre sollen die Sprachanforderungen gesenkt werden. Das richtet sich an die Generation der ehemaligen „Gastarbeiter*innen“, die inzwischen das Rentenalter erreicht hat.Dabei dürfen schon jetzt die meisten Eingebürgerten, rund 60 Prozent, ihre bisherige Staatsbürgerschaft behalten, weil sie aus Ländern der EU stammen. Das Verbot einer doppelten Staatsbürgerschaft richtete sich schon immer nur gegen Menschen aus der Türkei und anderen Nicht-EU-Ländern, und so war es auch immer gemeint.Die Regelungen zur Einbürgerung betreffen dabei einen großen Teil der Bevölkerung: Derzeit leben rund 10,6 Millionen Menschen in Deutschland, die keinen deutschen Pass besitzen. Sie sind rechtlich gesehen Ausländer*innen, auch wenn manche von ihnen die meiste Zeit ihres Lebens in Deutschland verbracht haben. Bisher lassen sich jedes Jahr nur rund 100.000 Menschen einbürgern. Bei diesem Tempo wird es sehr lange dauern, bis Deutschland sein Einbürgerungspotenzial voll ausgeschöpft hat. Schweden schöpft es von allen Staaten der EU am besten aus: Dort ließen sich zuletzt 7,2 Prozent aller Ausländer*innen einbürgern. In Deutschland liegt die Einbürgerungsquote bei nur 1,4 Prozent, womit die deutsche Einwanderungsquote auf dem 19. Platz in der EU landet, knapp vor Bulgarien und der Slowakei. Das liegt auch an den hohen Hürden, die die Bundesregierung nun senken will.Nun lief aber nicht nur die CDU gegen diese Pläne der SPD Sturm. Auch dem Koalitionspartner FDP ging das zu schnell, ihr Generalsekretär sprach vom „falschen Zeitpunkt“. Erst müsse die „illegale Migration“ besser bekämpft, sprich, erst müssten mehr abgelehnte Flüchtlinge abgeschoben werden. Die Vorbehalte der FDP gelten auch dem „Chancen-Aufenthaltsrecht“, das langjährig bisher lediglich geduldeten Ausländer*innen eine langfristige Perspektive in Deutschland eröffnen soll. Zugleich will die FDP ihre eigenen Pläne für eine erleichterte Einwanderung von Fachkräften vorantreiben. Schon heute gebe es 1,8 Millionen offene Stellen, klagen die Arbeitgeberverbände. Und bis zum Jahr 2035 drohen sieben Millionen Arbeitskräfte verloren zu gehen, warnt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Laut Bundesagentur für Arbeit bräuchte Deutschland rund 400.000 qualifizierte Zuwander*innen pro Jahr, um den Bedarf zu decken – „von der Pflege über Klimatechniker bis zu Logistikern und Akademikerinnen“, wie BA-Chef Detlef Scheele sagt.Die FDP will das Fachkräfteeinwanderungsgesetz daher weiter lockern, um es noch mehr Menschen zu ermöglichen, auch ohne akademische Ausbildung und ohne bestehenden Vertrag zur Jobsuche nach Deutschland einzuwandern. Das soll auch über ein Punktesystem geschehen, bei dem Sprachkenntnisse, praktische Berufserfahrung, Bezüge zu Deutschland und Alter ins Gewicht fallen. Das Kabinett beschloss dazu jetzt ein Eckpunktepapier.Die Pläne der FDP sind von reinem Nützlichkeitsdenken getrieben, orientiert an den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft. Bei den Einbürgerungen geht es dagegen um eine Frage der demokratischen Gerechtigkeit: Wer hier lebt, der sollte auch hier wählen und das Land mitgestalten dürfen. Dass aber beides in der politischen und wirtschaftlichen Kultur eines Landes eng zusammenhängt, darauf wies jüngst der Unternehmensberater Chris Pyak hin. Der Geschäftsführer der Firma „Immigrant Spirit“ berät deutsche Firmen, die internationale Fachkräfte anwerben wollen.Designed für RassistenViele Deutsche lebten „in einer Fantasiewelt“, wütete er auf Twitter. Internationale Fachkräfte würden sehen, wie Ausländer*innen und Geflüchtete hierzulande behandelt würden – und daraus ihre Schlüsse ziehen. „Unser Einwanderungsrecht ist designed, um Rassisten zu besänftigen. Und NICHT, um die besten Talente für unser Land zu begeistern“, so Pyak. Das müsse sich ändern, und das neue Staatsbürgerschaftsrecht sei ein Schritt dorthin. Im Deutschlandfunk konkretisierte Pyak kürzlich, für die Anwerbung von Fachkräften sei die Frage der Einbürgerung zwar nicht relevant. „Aber sie ist relevant, um die Fachkräfte zu halten.“ Denn für diese Menschen stelle sich die Frage, wie willkommen sie in Deutschland seien, und daran machten sie ihre Entscheidung fest, hierzubleiben – oder nicht. Von Einwanderer*innen zu erwarten, alle Bindungen an ihre Herkunftsländer hinter sich zu lassen, sei unrealistisch. Mehrfache Staatsbürgerschaften zu erlauben, sei in klassischen Einwanderungsländern deshalb „der absolute Standard“, so Piyak.Deutschland muss also sein Staatsbürgerschaftsrecht reformieren. Es muss aktiv darum werben, dass Menschen zur Jobsuche nach Deutschland kommen und sich hier einbürgern lassen, ob sie nun als gesuchte Fachkraft nach Deutschland kamen oder als Geflüchtete. Es muss aber auch seine Behörden in die Lage versetzen, mehr Anträge auf Einbürgerungen oder auf Einwanderung zur Jobsuche in kürzerer Zeit zu bearbeiten und zu beantworten. Erst dann wird es das „moderne Einwanderungsland“ sein, das es nun nach langen, quälenden Diskussionen endlich sein will.Placeholder infobox-1
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